Bahn-Chef Rüdiger Grube reagiert auf die immer stärker werdende öffentliche Kritik und Zweifeln an Stuttgart 21 mit einem Interview (hier) in den Stuttgarter Nachrichten. In diesem Interview betont Grube, „S 21 bleibt im Finanzierungsrahmen“.
„Ja, es gibt neue Kostenrisiken, für die wir aber Vorsorgepositionen im Finanzierungsrahmen getroffen haben. Ich sage es aber klipp und klar: Selbst wenn alle neuen Kostenrisiken eintreffen würden, bliebe das Projekt innerhalb des Finanzierungsrahmens von 6,526 Milliarden Euro. Angebliche Prognosen des Bundesrechnungshofs, wo von bis zu zehn Milliarden Euro die Rede ist, sind uns nicht bekannt und nach unserer jüngsten, umfassenden Bestandsaufnahme des Projekts absolut nicht nachvollziehbar. Obwohl wir uns intensiv bemüht haben, weigert er sich, uns über seine Zahlen zu informieren. Hier ist noch viel Raum für eine bessere Kommunikation und Transparenz“.
Dass sich der Bahn-Chef über mangelnde Kommunikation und Transparenz der Kontrollbehörde beklagt, ist angesichts der sehr erschwerten und eingeschränkten Prüfungsbedingungen des Bundesrechnungshofes beim „eigenwirtschaflichen“ Bahnprojekt Stuttgart 21 mehr als fragwürdig.
Die Stuttgarter Zeitung (hier) berichtete Anfang Juli, dass der Bundesrechnungshof nach mehr als dreijährigen Prüfungen für Stuttgart 21 mit Kosten in Höhe von bis zu zehn Milliarden Euro kalkuliert, „die auf die Steuerzahler und die bundeseigene Deutsche Bahn AG zukommen. Die Kontrollbehörde hat nach Informationen unserer Zeitung die Bundesregierung gewarnt, dass die Finanzierung drastischer Mehrkosten in Milliardenhöhe völlig ungeklärt sei.“ Die StZ schrieb auch, dass eine letzte Stellungnahme des Bundesverkehrsministeriums noch vor dem Bericht an die Bundesregierung eingearbeitet werde. Dass dem Bundeverkehrsministerium ein so kritischer Prüfbericht zum größten Bauprojekt der Bahn vorliegt, ohne dass der Bahnvorstand darüber nicht informiert ist, ist kaum vorstellbar.
Doch auch den letzten Prüfungsbericht des Bundesrechnungshofes aus dem Jahr 2009, der damals bereits eine Kostensteigerung vorsagte, wollte der damals frisch ernannte Bahn-Chef bei der symbolischen Prellbockanhebung zum Baubeginn von Stuttgart 21 nicht gekannt haben. Dies räumte er damals auf Nachfrage in einem Interview mit Frontal21 ein, betonte die Einhaltung des Kostenrahmens von 4,5 Milliarden Euro und watschte den Reporter mit den Worten ab, das dies doch eine „ganz billige Fragestunde“ sei. Dass diese Nachfrage sehr berechtigt war, zeigt die von der Bahn im Dezember 2012 eingeräumte Kostenexplosion auf 6,5 Milliarden Euro. Daher kann man sich angesichts der neuen Beteuerungen von Rüdiger Grube einem „Dejavu-Gefühl“ nicht verschließen. Man muss nur einen Blick in die Zitatesammlung der SPDler gegen Stuttgart 21 werfen.
Doch zurück zum Interview von Bahn-Chef Rüdiger Grübe mit den Stuttgarter Nachrichten und was uns dabei auffällt:
- Der Bahn-Chef geht auf die Frage der Einhaltung des offiziellen Zeitplans bei Stuttgart 21 nicht ein und antwortet ausweichend: „Der Zeitplan ist unbestritten anspruchsvoll. Aber es geht stetig voran.“
- Als Beweis dafür nennt er die 1.000 Meter, die monatlich vorgetrieben werden und die erreichten 17 Kilometer bei Stuttgart 21. Dass der Juli 2016 der erste Monat ist, in dem diese Marke wahrscheinlich erreicht wurde, nennt er nicht. Auch nicht wie noch weitere 42 Kilometer Tunnelvortrieb und die Innenverschalung der bergmännischen Strecken bis spätestens Mitte 2019 realisiert werden sollen.
- Als „Erfolgsgeschichten“ vermischt der Bahn-Chef ständig „Baufortschritte“ bei der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm mit Stuttgart 21. Ein Zitat dazu: „Und ebenfalls Anfang nächsten Jahres rechne ich mit dem Durchbruch des 5,7 Kilometer langen Albab-stiegstunnels am Ulmer Hauptbahnhof. Das alles zeigt doch: Stuttgart 21 ist nicht mehr aufzuhalten.“
- Auch der Hinweis auf die ersten Tunneldurchbrüche bei den Cannstatter und Obertürkheimer Tunnel für Anfang nächsten Jahres ist keine Neuigkeit, sondern wurde vom Projekt-Chef Manfred Leger wiederholt auf den Anwohnerveranstaltungen im Frühjahr verkündet. Dass die beiden Tunneldurchbrüche auch nicht die Herstellung einer jeweils vollständig aufgefahrenen Tunnelröhre bedeuten, erwähnte er nicht. Beim Cannstatter Tunnel kann wegen dem Artenschutz bzw. einer noch nicht genehmigten Planänderung der kritische Abschnitt zwischen der Ehmannstraße und der geplanten Neckarbrücke noch nicht vorgetrieben werden. Beim Obertürkheimer Tunnel fehlt wegen einer gerade erst eingereichten Planänderung zum Wegfall des Einschubbauwerks die Baugenehmigung für ein Stück des Tunnelabschnitts zwischen Unter- und Obertürkheim.
- Nach den massiven Zeitverzögerungen beim Bau des „Tiefbahnhofs“ wird Rüdiger Grube erst gar nicht gefragt. Stattdessen nach dem Termin der Grundsteinlegung. Kein Wort davon, dass nach dem zum Baustart im August 2014 vorgestellten Bauzeitenplan die Bodenplatte im Startbaufeld 16 bereits ab Januar 2015 betoniert werden sollte.
- Der Abbruch des von Fußgängern und Radfahrern viel benutzten Neckarstegs bei der Wilhelma wird im Interview auf das Stichwort „Erfolgsgeschichten“ genannt. Dass der Baubeginn der neuen Neckarbrücke am Neckarhang von einer noch ausstehenden Genehmigung des Eisenbahn-Bundesamtes und der EU in einem streng geschützten Naturschutzgebiet abhängt, erwähnt er nicht.
- Auch auf den Hinweis der StN, dass in der Bevölkerung wieder das Misstrauen wächst, dass die Bahn Stuttgart 21 wirklich finanziell stemmen kann und im Zeitrahmen bleibt, weicht der Bahn-Chef aus. Seine Antwort, dass 30.000 Besucher an den „Tagen der Baustelle“ kamen, nimmt die wachsende Skepsis angesichts des mehr als schleppenden Baufortschritts nicht ernst. Dass an den Tagen der Baustelle im Januar auch eine große Schautafel für den Bauablauf des Südkopfs bis 2023 (!) aufgestellt war, den die Projektgesellschaft nachträglich dementierte, fördert nicht gerade das Vertrauen.
- Dass die Kostenkalkulation der Bahn für Stuttgart 21 angesichts der erst vor wenigen Wochen eingestandenen zusätzlichen Risiken von einer halben Milliarde Euro „absolut plausibel“ ist, ist ein schlechter Witz. Bis zur Aufsichtsratssitzung im September sollen wie oft in der Geschichte des Projekts Gegensteuerungsmaßnahmen präsentiert werden. Bahnvorstand Volker Kefer verlängerte nicht mehr seinen Vertrag.
Fazit: dieses Interview ist wieder einmal eine „Beruhigungspille“. Angesichts der Kluft zwischen den im Interview geschilderten „Erfolgsgeschichten“ und der Baurealität von Stuttgart 21 sind auch die Zusicherungen des Bahn-Chefs zur Einhaltung des Kostenrahmens von Stuttgart 21 und die beklagte Intransparenz des Rechnungshofsberichts mit Vorsicht zu genießen.