Zeitplan auf den „Tage der Baustellen“ weist Bauverzögerungen für Stuttgart 21 und SSB aus. Inbetriebnahme von S 21 ist erst 2022/23 realistisch


Anfang November musste die Bahn im Lenkungskreis einräumen, dass für den Südkopf/Kernerviertel (Baufeld 19-25, Nesenbachdüker, neue SSB-Haltestelle Staatsgalerie)Optimierungsbedarf zur „Stabilisierung der Inbetriebnahme 12/2021“ bestehe. Verzögerungen könnten mit erheblichen Gegensteuerungsmaßnahmen zwar noch aufgeholt werden. Es bestehe großer Handlungsbedarf, um die Inbetriebnahme in sechs Jahren zu schaffen. Konkrete Maßnahmen wurden jedoch nicht genannt. Die Einschätzung des Gutachterbüros Vieregg-Rösler GmbH, dass Stuttgart 21 vor allem wegen der komplexen Bauarbeiten am „Tiefbahnhof“ frühestens Ende 2024 in Betrieb gehen kann und damit auch deutlich teuerer wird, wies die Bahn klar zurück.

Doch wegen des schleppenden Baufortschritts an den Trogbaufeldern des „Tiefbahnhofs“ müssen Achtel-Muster-Kelchstützen oder die Betonierung einer 10 cm hohen Sauberkeitsschicht im Startbaufeld 16 ab Januar 2016, über die die Stuttgarter Zeitung Ende Dezember sogar auf der Titelseite (hier) berichtete,  vorerst als Meilensteine herhalten. Über den Bauverzug am Startbaufeld 16 als Teil der Bahnhofshalle hatten wir zuletzt Anfang Dezember berichtet.

In den Berichterstattungen zu den „Tagen der Baustellen“ war davon die Rede, dass in fünf Jahren, also 2020, Züge im neuen „Tiefbahnhof“ fahren werden. Doch wer auf der Baustelle aufmerksam unterwegs war, konnte am Planetarium eine Schautafel entdecken, auf der erstmals der geplante Bauablauf aller geplanten Baumaßnahmen am Südkopf/Kernerviertel in den einzelnen Bauphasen mit Zeitangaben (!) dokumentiert ist. Und zwar einschließlich der nachfolgenden Bauarbeiten zur  Tieferlegung der B14 im Zeitraum Juli 2021 bis Juli 2023 für die Neugestaltung des Südausgangs des „Tiefbahnhofs“. Auf der Parkschützerseite (hier) wurde ein Foto der Schautafel eingestellt:

Die einzelnen Bauschritte finden Sie hier. Der Bauablauf der eng verzahnten Bauarbeiten der Bahn und der SSB am Südkopf ist äußerst komplex. Darüber hatten wir im Mai 2015 beim Baustart des Nesenbachdükers berichtet. Auf Nachfrage bei der Veranstaltung, warum der Zeitplan bis 2023 ginge, kam die Antwort, dass dies durch die Umgestaltung der B 14 bedingt sei. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die für Ende 2021 geplante Inbetriebnahme von Stuttgart 21 nach diesem der Zeitplan wegen Verzögerungen beim Bau des Südkopfes nicht haltbar ist. Auch die U-Bahn-Linien werden länger als bislang angekündigt unterbrochen bzw. umgeleitet:

  1. Fertigstellung des Tiefbahnhofs:

Nach diesem Bauzeitenplan kann der Rohbau des letzten Trogbaublocks, des Baufeldes 23, für den „Tiefbahnhof“ erst im Januar 2021 fertig gestellt werden:

Fertigstellung BA 23

Um die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 zu gewährleisten, muss der Rohbau des „Tiefbahnhofs“ jedoch knapp 2 Jahre früher, d.h. spätestens bis Ende 2019 fertig gestellt sein. Anschließend ist bis Ende 2020 ein Jahr für die eisenbahntechnische Ausrüstung und  bis Ende 2021 ein weiteres Jahr für den Testbetrieb erforderlich.  Dieser Zeitplan findet sich auch in den Lenkungskreisunterlagen der Bahn vom November 2015, nach denen weiterhin von einer Inbetriebnahme von Stuttgart 21 Ende 2021 ausgegangen wird:

Bauverzug Südkopf

Daher ergeben sich Zeitverzögerungen für die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 von mindestens einem Jahr Testbetrieb plus die Zeit, die noch für die eisenbahntechnische Ausrüstung des Baufeldes 23/Südkopfes erforderlich ist.  Nach dem auf den „Tage der Baustelle“ vorgestellten Bauzeitenplan der Bahn für den Südkopf wäre daher eine Inbetriebnahme von Stuttgart 21 incl. einem Jahr Testbetrieb frühestens erst 2022/23 möglich. Denn bereits zum aktuellen Zeitpunkt (Januar 2016) ist der Zeitplan im Hintertreffen. Weder sind bei dem Baufeld 22 die Pfähle gesetzt, noch die Bauarbeiten am Baufeld 25 gestartet, noch das Oberhaupt des Nesenbachdükers in diesem abgebildeten Baustadium hergestellt. Anfang Dezember hatten wir in einem Beitrag über die wegen erforderlichen Planänderungen bereits eingetretenen Bauverzögerungen am Südkopf in den Baufeldern 22 und 25 berichtet. Der Bauabschnitt des PFA 1.1. / Südkopf ist nach dem neuen Zeitplan auf dem „kritischen Pfad“, d.h. der Fertigstellungstermin von Stuttgart 21 im Dezember 2021 nicht mehr haltbar. Dies hatte die Bahn jedoch vor zwei Monaten in der Lenkungskreisunterlage nicht ausgewiesen:

http://digitales-magazin.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/2015/20151104-Lenkungskreis/files/pages/large/5.jpg

2. Bauverzögerungen bei der SSB

Die SSB will ab diesem Mai für 15 Monate den veränderten Linienplan „Netz 2016“ in Betrieb nehmen. Die Stammstrecke Staatsgalerie- Charlottenplatz soll während dieser Zeit wegen der Baumaßnahmen für die neue Tunnelführung gesperrt und die U-Bahnen unterbrochen bzw. über den Hauptbahnhof umgeleitet werden. Anschließend ist – so die derzeitigen Planungen der SSB- die Inbetriebnahme des „Netzes 2017“ mit der Sperrung der Stammstrecke Richtung Hauptbahnhof und Umleitung über den Charlottenplatz vorgesehen. Die SSB nannte einen Zeitraum von 2 Jahren, in dem die neuen U-Bahn-Tunnel zusammen mit dem Nesenbachdüker von Mitte 2017 bis Mitte 2019 realisiert werden sollen. Auf der letzten Infoveranstaltung für die Anwohner des Kernerviertels im letzten Oktober hieß es jedoch von Seiten der SSB der bisher genannte Zeitraum der Sperrung der Stammstrecke Staatsgalerie-Hauptbahnhof von 2 Jahren sei vorläufig. Es hinge zum einen vom Zeitplan der Baufirma ab, die den Zuschlag erhält. Zum anderen sei die SSB vom Baufortschritt der Bahn beim Bau des Nesenbachdükers und des Tiefbahnhofs abhängig. Infrastrukturleiter der SSB für Stuttgart 21, Winfried Reichle, kommentierte dies bei seiner Präsentation mit einem Nebensatz, „bis wir fertig sind“.

Dass dieser Kommentar nicht unbegründet ist, zeigt der Zeitplan. Dieser sieht die Fertigstellung der beiden neuen U-Bahntunnel bzw. ein Lückenschluss des Gleises 34 Richtung Hauptbahnhof erst im Januar 2020 vor:

Fertigstellung BA 21 + SSB

Das hätte zur Konsequenz, dass die Sperrung Richtung Hauptbahnhof nach dieser Planung nicht nur zwei, sondern eine weiteres halbes Jahr andauern würde. Auch hier wieder unter dem Vorbehalt, dass sich nicht weitere Bauverzögerungen am Südkopf auf die SSB-Bauten auswirken.

3. Bauverzögerungen bei der Tieferlegung der B 14

Im Oktober 2013 stellten Vertreter der Bahn, der SSB und des Tiefbauamtes der Stadt im Umwelt- und Technikausschuss einen Zeitplan für die Bauarbeiten am Südkopf vor. Danach sollten die Bauarbeiten zur Tieferlegung der B14 zur Verkehrsberuhigung des Südausgangs des Tiefbahnhofs Mitte 2017 nach Fertigstellung der neuen SSB-Haltestelle Staatsgalerie starten. Die Stuttgarter Zeitung (hier) berichtete darüber. Nach dem neuen Bauzeitplan würden diese Bauarbeiten zur Tieferlegung der B 14 frühestens im Januar 2019 beginnen und bis Mitte 2023 gehen.

Fazit: Die Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm GmbH und der Vorsitzende des Vereins, der Ex-MdB Georg Brunnhuber, hatten Transparenz versprochen. Dieses Versprechen wurde auf der Veranstaltung „Tage der Baustelle“ für die Bauarbeiten des Südkopfes, die fast ein Jahrzehnt die Anwohner des Kernerviertels belasten werden, zumindest auf einer Schautafel eingelöst. Diese Transparenz kommt  erst einmal überraschend. Der auf den „Baustellen-Tage“ präsentierte Zeitplan widerspricht dem von der Bahn heftig gegen Kritiker verteidigten Inbetriebnahmetermin von Stuttgart 21 im Dezember 2021. Soweit der Bauablauf am Südkopf nicht doch noch „optimiert“ und der bereits gegenüber dem Zeitplan zusätzlich eingetretene Bauverzug eingeholt werden kann, ist die Inbetriebnahme nach einem Jahr Testbetrieb frühestens 2022/23 realistisch.

Nach der versprochenen Transparenz müsste die verzögerte Inbetriebnahme von Stuttgart 21 eigentlich längst den Projektpartnern, der Öffentlichkeit und damit auch den betroffenen Anwohnern kommuniziert sein.  Doch Projektchef Manfred Leger nutzte jede Gelegenheit, auch auf den Anwohnerveranstaltungen in 2015, um gebetsmühlenhaft zu betonen, dass man bei Stuttgart 21 voll im Zeitplan läge. Und sowohl beim Lenkungskreis vor zwei Monaten als auch auf den „Tagen der Baustelle“ war von zu erwartenden Verzögerungen bei der Inbetriebnahme von Stuttgar 21 keine Rede. Allerdings müsste die Stadt Stuttgart über diesen neuen Zeitplan allein schon wegen der geplanten und mit dem Tiefbauamt abzustimmenden Eingriffe in den Straßenraum der B 14 und der Schillerstraße bereits informiert sein.

Die Argumentationslinie der Bahn für die Bauverzögerungen am Südkopf ist schon jetzt erkennbar. Bereits in der Lenkungskreisunterlage wird in erster Linie die SSB dafür verantwortlich gemacht. In dem o.a. Papier heißt es: „Optimierierungsbedarf Südkopf v.a. [vor allem] in Folge Schnittstelle/Abhängigkeit zu Baumaßnahme SSB Staatsgalerie“. Den „schwarzen Peter“ bzw. diesen Ball müsste die SSB, deren Vorstand sich von Beginn an für Stuttgart 21 eingesetzt hat,  der Bahn jedoch wieder zurückspielen. Denn die jahrelangen Bauverzögerungen am „Tiefbahnhof“ und dessen Anfahrbereiche durch die Planänderungen am Nesenbachdüker, Grundwassermanagement, Brandschutz und Entrauchungskonzept sowie die damit verbundene neue statische Genehmigung der Bodenplatte hat die Bahn selbst zu verantworten. Bis heute hat die Bahn die Gründungsarbeiten am Trogblock 22 nicht einmal begonnen, auf dem die SSB ab Mitte 2018 die neue Haltestelle betreiben will. Auch die völlig unrealistische Planung im Rahmen der Planfeststellung, nachdem die SSB nur 14 Tage unterbrochen werden muss, kam von der Bahn. Und nach dem jetztigen Zeitplan sind es bereits 4 Jahre, in dem das Stuttgarter U-Bahn-Netz mit Streckensperrungen und -unterbrechungen zusätzlich belastet wird. Eine solide Planung sieht anders aus.

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