Das Aktionsbündnis hat bei dem renommierten Beratungsunternehmen für Infrastrukturprojekte Vieregg-Rössler GmbH eine neue Kostenschätzung in Auftrag gegeben und heute in Berlin dem Pressesprecher der Deutschen Bahn AG überreicht. Nach Hochrechnungen anhand von vergleichbaren Projekten bzw. Baugewerken gehen die Gutachter davon aus, dass Stuttgart 21 frühestens 2024 fertig gestellt wird und die Kosten von den aktuell angesetzten 6,5 Milliarden auf 9,8 Milliarden steigen werden.
Als Hauptkostentreiber sehen sie weniger die 59 Kilometer Tunnelbauten als die schwierige Geologie und die anspruchsvolle Architektur des „Tiefbahnhofs“ mit den baulich sehr anspruchsvollen Lichtaugen und die Zeitverzögerungen durch den schleppenden Baufortschritt. Aber auch die erforderlichen Schallschutzmaßnahmen tragen u.a. zur Verteuerung des Projektes mit bei. Die Stuttgarter Zeitungen (StZ 1 / StZ 2 / StN) und der SWR berichten heute ausführlich über das Gutachten. So schreibt die StZ:
„Als ausgeprägter Preistreiber entpuppt sich in der Arbeit dabei der eigentliche Durchgangsbahnhof im Stuttgarter Talkessel. Setzte Vieregg in seiner Studie von 2008 für den Bau der Station noch 757 Millionen Euro an, schlägt die Bahnsteighalle nun mit 1,6 Milliarden Euro zu Buche. Den Preissprung, der mehr als eine Verdopplung der Kosten darstellt, führt Vieregg auf die komplexe geologische und hydrologische Situation vor Ort, auf den hinter dem Zeitplan herhinkenden Baufortschritt und die Anforderungen, die sich aus dem Brandschutz ergeben, zurück. Allein die Kosten für das Bahnhofsdach, die in der Prognose von 2008 noch mit 1200 Euro je Quadratmeter angesetzt waren, beziffert das neue Papier nun auf 4800 Euro pro Quadratmeter. Nach Viereggs Ansicht liege das auch an der Architektur. „Die Kelchstützen, die das Dach tragen und zum Teil auch bilden, sind unkalkulierbar“. Die Stützen würden als das schwierigste gelten, was je in Beton gegossen wurde, sagte Vieregg.“
Das lesenswerte Gutachten, die Präsentation, die Kurzfassung und die Pressemeldungen finden Sie hier. Die Videos der Pressekonferenz, auf der die Kostenrechnung vorgestellt wurden, können Sie hier abrufen. Für die Recherche über den aktuellen Baustand haben die Gutachter nach eigenen Angaben auch unsere Seite www.netzwerke-21.de ausgewertet. Wir hatten wiederholt auf die bereits eingetretenen Bauverzögerungen beim Bau des „Tiefbahnhofs“ und der Tunnel hingewiesen und dass die Anwohner von den Stuttgart 21-Bauarbeiten höchstwahrscheinlich länger als von Bahn-Seite eingeräumt belastet werden. Die Berichte finden Sie über die Kategorien Baufortschritt, Zeitplan und Vortriebsstand.
Bereits 2008 hatten die Gutachter die später eingetretene Kostenexplosion auf über 6,5 Milliarden prognostiziert. Die Bahn kalkulierte damals noch mit 2,8 Milliarden Euro. Die Pressemitteilung des Aktionsbündnisses weist auf den unglaubwürdigen Umgang der Deutschen Bahn AG bei den Kosten(risiken) von Stuttgart 21 in der Vergangenheit hin:
„Der unabhängige Sachverständige Dr. Martin Vieregg ist sehr renommiert, so dass sein Gutachten über die zu erwartende Kostenexplosion bei Stuttgart 21 auch aufgrund seines 2008 erstellten Gutachtens zur Wahrheitsfindung entscheidend beitragen dürfte. Anders lag es bisher schon beim Bauträger Deutsche Bahn AG. Sie hat gehäuft unglaubwürdige, später als selbst verschuldet eingestandene Tricksereien begangen. So hat der Bahn- Vorstand die Einhaltung der Kostenobergrenze immer wieder beschworen, in Wahrheit aber damit jahrelang in Milliardenhöhe getäuscht. Das geschah vor Jahresende 2009 mit manipulativen sogenannten „Einsparpotentialen“. Damit hat die Bahn 2010 den Baubeginn erschlichen, die 121 Risiken des damaligen Projektleiters Azer verschwiegen und die Volksabstimmung zu S 21 vom November 2011 massiv verfälscht. …“
Die folgende Folie aus der heutigen Präsentation von Dr. Martin Vieregg verdeutlich die Mehrkosten gegenüber seiner Kostenkalkulation von 2008:
Als teilweise nicht eingepreiste Kostenrisiken schätzen die Berater ein:
Peter Sturm, Vorstand der Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm und für das Risiko- und Vertragsmanagement zuständig, weist die Zahlen „als nicht haltbare Spekulation“ zurück. Dabei unterscheiden sich die Pressemitteilungen der Bahn aus dem Jahr 2008 und die Aktuelle kaum in ihrem Duktus:
[presseservice.pressrelations.de]: Zitat: „(Stuttgart, 18. Juli 2008) Die Deutsche Bahn AG und das Land Baden-Württemberg weisen Aussagen des Ingenieur-Büros Vieregg-Rössler zu angeblichen Kostensteigerungen beim Projekt Stuttgart 21 als rein spekulativ zurück. Tatsache ist vielmehr: Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm ist eines der am besten und umfassendsten geplanten Projekte der Deutschen Bahn AG. Daher ist davon auszugehen, dass der derzeit vorgesehene Kostenrahmen eingehalten wird.“
[www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de]: Zitat: (Stuttgart, 14. Dezember 2015) Die DB Projekt Stuttgart–UlmGmbH weist eine von Projektkritikern behauptete drohende Kostensteigerung bei Stuttgart 21 als nicht haltbare Spekulation zurück. Aufgrund des bereits weit fortgeschrittenen Stands der Vergaben für das Projekt betont die Bahn die Plausibilität ihrereigenen Kostenkalkulation und ist davon überzeugt […] „Ein solches Szenario ist fernab der Realität“ […].“
Das neue Gutachten von Vieregg-Rössler wird jedoch auch von politischer Seite ernst genommen. Verkehrsminister Winfried Hermann will eine fachliche Überprüfung der Zahlen in Auftrag geben und die Bahn zur Stellungnahme auffordern.
Weitere Presseberichte über das Gutachten der Vieregg-Rösler GmbH: Kontext: Schweineteuer / FAZ: Bruddeln am Bauzaun / Deutschlandfunk