Lenkungskreis: Bahn sieht S-21-Start Ende 2021 in Gefahr. Steuerkreis soll Terminplan sichern. Finanzierung der Mehrkosten über 2,3 Milliarden ab 2018 ungeklärt

Heute tagte der Lenkungskreis zwischen der Bahn und den Projektpartnern von Stadt, Land und Region. Die beiden Stuttgarter Zeitungen berichteten ausführlich darüber: StZ:Bahn sieht S-21-Start Ende 2021 in Gefahr / StZ:Weiteres Gremium soll Terminplan sichern / StZ: „Im Kreis herum“ / StN: 2018 endet bei Stuttgart 21 reguläre Finanzierung. Die Überschriften machen schon deutlich, dass die Bahn von ihren bisherigen Durchhalteparolen abkehrt. Projektchef Manfred Leger hatte bislang  zu jeder Gelegenheit – auch auf den Anwohnerveranstaltungen- versichert, eine Inbetriebnahme von Stuttgart 21 sei zum Ende des Jahres 2021 bis auf den Filderabschnitt nicht gefährdet. Jetzt hört sich das etwas anders an. So schreibt die Stuttgarter Zeitung in ihrer morgigen Ausgabe:

Bei der Deutschen Bahn wachsen die Zweifel, ob der Starttermin für das Projekt Stuttgart 21 im Dezember 2021 eingehalten werden kann. „Die Inbetriebnahme zu diesem Zeitpunkt ist das heikelste Thema“, sagte der Bahn-Infrastrukturvorstand Volker Kefer am Mittwoch nach einer Sitzung des Lenkungskreises mit den Projektpartnern Land, Region und Stadt im Stuttgarter Rathaus. Aus heutiger Sicht könnten die Verzögerungen mit „erheblichen Gegensteuerungsmaßnahmen“ zwar noch aufgeholt werden, es bestehe aber „großer Handlungsbedarf“, um die Inbetriebnahme in sechs Jahren zu schaffen. Wenn die Maßnahmen nicht greifen würden, „dann verhagelt es uns den Termin“, sagte Kefer. Fragen, wie hoch er die Chancen für eine Inbetriebnahme beziffere, beantwortete Kefer nicht.“

Die Stuttgarter Nachrichten weisen auf die zahlreichen Planänderungsverfahren hin, die neben den Planfeststellungsverfahren am Filderabschnitt PFA 1.3. und dem Abstellbahnhof PFA 1.6b noch die Situation verschärfen:

Während die Tunnelbauarbeiten auf der Alb für die weitere Strecke von Wendlingen bis Ulm dem Zeitplan stellenweise um bis zu sieben Monate voraus sind, gibt es bei Stuttgart 21 erhebliche Probleme. Sie werden durch immer mehr Umplanungen verschärft. Zurzeit gibt es insgesamt 16 Änderungsverfahren. Weitere 24 werden vorbereitet. Dazu brauche es jetzt eine „intensive Steuerung“, sagte Kefer. Um schneller Genehmigungen zu erlangen, sei mit den Partnern am Mittwoch ein Steuerungskreis vereinbart worden. Kefer hat am Dienstag die Genehmigungsbehörde Eisenbahn-Bundesamt (Eba) um Mitwirkung gebeten. Das Eba soll bis März 2016 die Baufreigabe am Flughafen erteilen. Das scheint unmöglich, denn die DB muss 40 Einwendungen abarbeiten.“

Der angekündigte „Steuerkreis für Planrechtsverfahren“ soll die Probleme mit dem Zeitplan in den Griff bekommen. Frei nach dem Motto: „Wenn ich nicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis“. In dem Gremium sollen neben den Projektpartnern auch Gutachter und das Eisenbahn-Bundesamt als Genehmigungsbehörde sitzen. Die StZ berichtet jedoch, dass das EBA vor 2 Tagen lediglich schriftlich über diesen Steuerkreis informiert wurde, eine Zusage liege noch nicht vor und kommentiert dies mit den Worten:

Fest steht: auch diese Runde kann ein geordnetes Genehmigungsverfahren nicht ersetzen oder gar aushebeln. Dass diese pure Selbstverständlichkeit gleich mehrfach im Rathaus betont wurde, lässt tief blicken… Und dass die Bahn auf Nachfrage einräumen muss, dass die Genehmigungsbehörde Eisenbahn-Bundesamt zwar über die Absicht zur Schaffung eines solchen Steuerkreises immerhin mit zwei Tagen Vorlauf informiert worden sei, deren Zustimmung aber eben nicht vorliegt, ist ein Foulspiel Richtung Behörde.“

Auch die ungeklärte Frage der Finanzierung von 2,3 Milliarden Mehrkosten wird sich nicht mehr auf die allzu lange Bank schieben lassen. Nach Einschätzung der Bahn werden Anfang 2018, so die StN, „die vertraglich fixierten 4,5 Milliarden ausgeschöpft sein. Die Deutsche Bahn muss dann auf Eigenmittel zurückgreifen, um ihr Projekt Stuttgart 21 bis Ende 2021 fertig bauen zu können. Der Bahn-Aufsichtsrat hatte Vorstandschef Rüdiger Grube aufgefordert, das Land auf die weitere Mitfinanzierung zu verklagen.“

Das rund 80-seitige, lesenswerte Informationspapier der Bahn zum Lenkungskreis ist bereits heute im Internet abrufbar (hier). Unter anderem kann man daraus folgende Informationen entnehmen:

  • Südkopf / Kernerviertel: Die Übersicht auf Seite 5 des PDF zeigt, dass neben dem Filderabschnitt 1.3. auch die Bauarbeiten am Südkopf/ Kernerviertel u.a. wegen der Abhängigkeiten von den SSB-Baumaßnahmen im Zeitverzug ist. Es besteht hier laut Unterlage „Optimierungsbedarf“. Jedoch ohne Angabe, wie der Zeitverzug eingeholt werden soll.
  • Bahnhofshalle/ Tiefbahnhof: Die Statik sei jetzt für das Baufeld 16 freigegeben. Die Bodenplatte könne Anfang 2016 betoniert werden. Die Bahn sieht auf Seite 7-9 den Terminplan im PFA 1.1. der Bahnhofshalle für den „Tiefbahnhof“ durch  Gegensteuerungsmaßnahmen, die derzeit geprüft werden, nicht in Gefahr. So soll beispielsweise mit den Baufeldern 13-15/18 früher gestartet werden und zum Teil die Kelche parallel hergestellt werden. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit den Zeitplänen der Bahn, die oft bereits nach kurzer Zeit  im Verzug waren, ist Skepsis angesagt.  Mehrere Seiten später findet man im Abschnitt zur Verlegung der Fluchttreppenhäuser auf Seite 24 den Hinweis: „Eventuell Mehrkosten und Terminverzug“.
  • Tunnelbau PFA 1.5. Killesberg/ Feuerbach/Cannstatt: Die Verzögerung beim Zwischenangriff Ehmannstraße soll durch eine offene Bauweise ausgeglichen werden. Beim Tunnel Feuerbach sollen u.a. eine  optimierte Herstellung Abdichtungsbauwerke, der Einsatz zusätzlicher Schalwagen für Innenschale den Zeitverzug aufholen.
  • PFA 1.6 a/b  Wangen/Ober-/Untertürkheim: Vergeblich sucht man beispielsweise in den Lenkungskreisunterlagen Informationen, wie die Bahn den massiven Zeitverzug im PFA 1.6.a am Tunnel Obertürkheim aufholen will. So sind seit fast 2 Jahren Bauzeit gerade einmal 11% der Tunnelstrecke vorgertrieben worden. Auch der noch nicht einmal planfestgestellte Abstellbahnhof im PFA 1.6b, für den noch ein öffentliches Verfahren durchgeführt werden muss, ist auf Seite 14 lediglich mit dem Hinweis „Antragsunterlagen überarbeiten“ erwähnt.
  • Planungsänderungen: Weitere Termin- und Kostenrisiken könnten mit der umfangreiche Liste der eingereichten und laufenden Planänderungsverfahren für Stuttgart 21  (S.15-18) verbunden sein. Aktuell sind allein 12 Planänderungsverfahren für Stuttgart 21 ohne die Neubaustrecke am laufen. Weitere 14 sind nur für Stuttgart 21 in Vorbereitung. (Wir möchten angesichts dieser Zahlen an unseren gestrigen Vergleich erinnern.)
  • Grunderwerb: In den Lenkungskreisunterlagen sind auf Seite 12 die aktuellen Zahlen genannt. Aktuell sind danach für 1.439 von insgesamt 3.570 Grundstücke die Gestattungsverträge abgeschlossen/ vorzeitige Besitzeinweisung durchgeführt („baufrei“). Weitere 1.175  seien in Verhandlungen („in Bearbeitung“). Es überrascht jedoch dass die Bahn bereits erneut im Lenkungskreis mit einer höheren Zahl von benötigten Flurstücken operiert. Man fragt sich, ob die Bahn den Überblick über ihr Grunderwerbsmanagement hat oder ob die Planänderungen einen deutlichen Mehrbedarf an Flächen nach sich ziehen. So war noch im Oktober 2014 von 3.168 Grundstücken die Rede. Im April 2015 bereits von 3.362 und jetzt im Oktober 2015 erhöht sich jetzt die Gesamtzahl der benötigte Flurstücke im Lenkungskreis erneut um 200  auf 3.570.
  • Immissionsschutz: Die Unterlagen  enthalten auf S.58-68 nicht viel Neues. Die geplanten Schallschutzmaßnahmen für das Kernerviertel und dem Zwischenangriff Prag (einschließlich Förderband) wurden vorgestellt. In Wangen war im Lenkungskreis weiterhin davon die Rede, nachts sprengen zu dürfen. In den Unterlagen findet sich ein Zeitplan zu den Vortriebsarbeiten in Wangen für die West-Röhre:Wangen Überdckung

Ob wegen des harten Gesteins der Lärm tatsächlich mit der steigenden Überdeckung auf ein erträgliches Maß sinkt, bezweifeln die Anwohner. Und ein Ende ist nicht absehbar. Spätestens beim Vortrieb der Ost-Röhre, die laut Unterlage um 11 Wochen (=1/4 Jahr) zeitversetzt erfolgt, sind die gleichen massiven Belastungen, die den Anwohnern seit Monaten den Schlaf raubt, zu erwarten. Für viele Anwohner in Wangen sind angesichts des langen Belastungszeitraums von über einem halben Jahr die angebotenen Hotelübernachtungen keine Lösung mehr.

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