Keine steilen Erfolgskurven: zum aktuellen Vortriebsstand Anfang Juli 2016 für Stuttgart 21

Im letzten Beitrag haben wir darüber berichtet, dass die Bahn im Lenkungskreis die Vertreter der Projektpartner von Stadt, Land und Region nicht einmal über den prozentualen Stand des Tunnelfortschritts informiert. Statt konkrete Zeitpläne über die geplante Realisierung des Vortriebs der geplanten 59 Tunnelkilometer sowie der Innenverschalung und eisenbahntechnischen Ausrüstung im vorgesehenen Zeitraum präsentiert die Bahn schlichte Diagramme über den Tunnelvortrieb mit steil ansteigenden Kurven in Metern. Als vom Tunnelbau betroffene Anwohner werden uns weiterhin damit nicht abspeisen lassen, sondern wie jeden Monat einen Überblick über den Baufortschritt bzw. Vortriebsstand bei Stuttgart 21 geben und die „steilen Erfolgskurven“ der Bahn hinterfragen. Die wöchentlich von der Projektgesellschaft veröffentlichten Vortriebsstände der einzelnen Röhren seit Mai 2014 finden Sie in unseren Übersichten ab Oktober 2015 / bis September 2015.

Nach der Lenkungskreissitzung erklärte Bahnvorstand Volker Kefer, dass „40 Prozent der Tunnelbauwerke fertiggestellt“ seien. Da liegt er mit seiner Aussage auf seiner wahrscheinlich letzten Pressekonferenz in Stuttgart doch ziemlich daneben. Zweieinhalb Jahre nach dem Baubeginn sind mit 27% etwas mehr als ein Viertel der Tunnel im schwierigen Stuttgarter Untergrund vorgetrieben und auch nicht „fertig gestellt“. Die bergmännischen Strecken, die immerhin 75% der 59 Tunnelkilometer ausmachen, müssen nachdem der Tunnel aufgefahren ist,  in einem zweiten, aufwendigen Arbeitsgang mit Beton innenverschalt werden. Erst danach kann die bahntechnische Ausrüstung starten. Beide Arbeitsvorgänge kosten Zeit und Geld. Bei den längeren Tunneln liegen die Prozentzahlen zwischen 24% (Fildertunnel), 30% (Obertürkheimer Tunnel) und 53 % (Bad Cannstatter Tunnel). Insgesamt 12,2 Tunnelkilometer, darunter die Tunnel für den nicht planfestgestellten Filderabschnitt, befinden sich noch nicht im Bau. Hier die Übersicht über den Vortriebsstand in den einzelnen Tunneln zum 4. Juli 2016:

Monatstand bis 4 Juli 2016

Wie berichtet, hat die Bahn beim letzten Lenkungskreis nur beim Feuerbacher Tunnel ein Jahr Bauverzug wegen der zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen beim Anhydrit eingeräumt. Dies ist aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar.Doch bei näherer Betrachtung der Lenkungskreisunterlage hat die Bahn ohne nähere Angaben die Fertigstellungstermine für den Rohbau einiger Tunnel, wie beispielsweise den Obertürkheimer Tunnel, nach hinten verschoben. Dennoch versucht die Bahn noch den Zeitverzug am Obertürkheimer Tunnel durch einen schnelleren Sprengvortrieb aufzuholen. Von den 32 Metern Vortrieb, die durchschnittlich täglich in den letzten vier Wochen erzielt wurden, entfallen allein 13 Meter bei den aktuell vier Vortrieben für den Bau dieses Tunnels.

Um die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 einschließlich des Filderabschnitts noch bis Ende 2021 zu realisieren, müssten jedoch weitere 42,6 Kilometer bis spätestens Ende 2018/19 durch den schwierigen Stuttgarter Untergrund aufgefahren und zur Fertigstellung des Rohbaus bis auf die maschinell hergestellten Strecken noch innenverschalt werden. Bislang wurde die vor mehr als einem Jahr von Bahnvorstand Volker Kefer im Verkehrsausschuss angekündigte 1.000 Meter-Marke  bis auf den Monat Oktober, als Schächte und Stollen nacherfasst wurden, noch in keinem Monat erreicht. Sobald die Tunnelvortriebmaschine, die Anfang Juni wieder vom Filderportal gestartet ist, Fahrt aufgenommen hat, wird die monatliche 1.000- Meter-Marke mit dem Start des maschinellen Tunnelvortrieb sicherlich deutlich überschritten werden. Die Probleme liegen jedoch in den bergmännischen Stecken. Auf Basis des durchschnittlichen monatlichen Vortriebs in 2016 bräuchte die Bahn nach einer groben, vereinfachten Hochrechnung noch weitere 3,7 Jahre, um die restlichen 32 Kilometer bergmännischen Tunnel aufzufahren. Wohlgemerkt ohne Innenverschalung und eisenbahntechnische Ausrüstung. Hier unsere aktuelle Monatsübersicht zum Juni 2016:

http://netzwerke-21.de/wordpress/wp-content/uploads/Monatlich-bis-Juni-2016.jpg

Für die beiden Monate Januar und März hatten wir einen ausführlichen Überblick über den Stand beim Tunnelbau von Stuttgart 21 veröffentlicht. Gegenüber diesem Stand hat sich folgendes getan:

  1. PFA 1.2./1.6a Kernerviertel / Gänsheide / Gablenberg

a) PFA 1.2./Fildertunnel :

b) PFA 1.6a./  Obertürkheimer Tunnel:

2. PFA 1.2./Fildertunnel / Fasanenhof / Möhringen / Hoffeld / Degerloch:

  • 2015 wurde die Oströhre des oberen Fildertunnels zwischen dem Filderportal und Hoffeld in der ersten Schildfahrt maschinell aufgefahren.
  • Sehr dürftige Informationen zum Tunnelvortrieb des Fildertunnels findet man in einer Folie der aktuellen Lenkungskreisunterlage.
  • Die Tunnelvortriebsmaschine hat sich seit 7.Juni in Bewegung gesetzt. Seither hat sie ungefähr 125 Meter aufgefahren und das bebaute Gebiet am Fasanenhof erreicht. Dies sind pro Tag durchschnittlich ca. 5 Meter. Die geringe Anfangsleistung wird mit dem erforderlichen Druckluftvortrieb, über den Dr. Wittke in seinem Vortrag berichtete, zusammenhängen. Mit dieser Technik soll die knappe und dennoch schadlose Unterfahrung der Gebäude an der Schelmenwasenstraße realisiert werden.
  • Parallel dazu laufen seit ein paar Wochen die eigentlich für Ende 2015 angekündigten bergmännischen Vortriebsarbeiten für den Bau des mittleren Fildertunnels. Der Grafik zufolge, stockt der Vortrieb an der Gemarkung Degerloch. Allerdings sind die Sprengungen am südlichen Ortsrand von Degerloch trotz der hohen Überdeckung von mehr als 110 Metern im Umkreis  zu spüren.
  • Bahnvertreter erklärten auf der vor letzte Woche stattgefundenen Bezirksbeiratssitzung, dass die beiden jeweils 1,1 Kilometer langen Röhren des bergmännischen Zwischenabschnitts in insgesamt 15 Monaten vorgetrieben werden sollen. Dies bedeutet, dass ein durchschnittlicher Vortrieb von ca. 5 Metern pro Tag geplant ist. Dieser durchgängig hohe Wert ist bislang im geologisch schwierigen Untergrund noch nicht erreicht worden. Zumal im Übergang zu den anhydritfühenden Schichten die Abdichtungsbauwerke zusätzlich noch gebaut werden müssen. Mehr dazu finden Sie im Vortrag von Dr. Martin Wittke zum Bau des Fildertunnels.

3. PFA 1.5./ Killesberg / Feuerbach / Bad Cannstatt

a) Bad Cannstatter Tunnel:

b) Feuerbacher Tunnel:

4. PFA 1.6a./  Obertürkheimer Tunnel/ Wangen/ Unter- und Obertürkheim:

  • Die Vortriebe der Ost- und Weströhre des Obertürkheimer Tunnels Richtung Innenstadt haben das unbebaute Gebiet der Wangener Höhe erreicht. Die Sprengungen sind noch im Wohngebiet an der Jägerhalde spürbar.
  • Die Landesbergdirektion hat mittlerweile für einige Tunnelabschnitte den nächtlichen Sprengvortrieb zwischen Wangen und der Innenstadt genehmigt (siehe auch Folie Lenkungskreis). Wir werden noch darüber berichten.
  • Der Vortrieb der Weströhre 62 Richtung Innenstadt steht kurz vor der Gemarkung zum Stadtbezirk Ost. Als nächstes soll Gablenberg unterfahren werden. Einen konkreten Zeitplan konnte der Abschnittsleiter Günther Osthoff auf der Infoveranstaltung für den Stuttgarter Osten nicht nennen. Pro Tag würde der Vortrieb je nach Anzahl der Sprengungen zwischen 3,90 und 5,20 Meter vorankommen. Dass entlang dieser Strecke zur Innenstadt mehrfach anhydritführendes Gestein durchfahren wird, ließ er unerwähnt. Hier könnten sich nach den Erfahrungen beim Feuerbacher und Cannstatter Tunnel die Arbeiten wegen des Baus der Abdichtungsbauwerke und anderer Schutzmaßnahmen verzögern.
  • Statt wie auf den im Frühjahr stattgefundenen Anwohnerveranstaltungen angekündigt, soll der Tunneldurchschlag der ersten Röhre des Obertürkheimer Tunnels zwischen Wangen und  der Innenstadt laut Lenkungskreisunterlage nicht Ende diesen Jahres, sondern im März 2017 erreicht werden.
  • Der Tunnelvortrieb der Oströhre Richtung Neckar stockt weiterhin. Nach unerwartet hohem Wasserandrang hat die Projektgesellschaft weitere Erkundungsbohrungen im Gebiet des Wangener Großmarkts beauftragt.
  • Der Vortrieb der Weströhre hat die Wohngebäude des Lindenschulviertels in Untertürkheim, das noch immer nicht auf den grafischen Übersichten der PSU eingezeichnet ist, erreicht.
  •  Seitdem die Tunnelvortriebsarbeiten auf der Untertürkheimer Neckarseite angekommen sind, ist jede Sprengung in den Gebäuden im Lindenschulviertel zu hören und zu spüren. Besonders der sekundäre Luftschall durch den nächtlichen Meißelvortrieb ist für die Anwohner eine extreme Belastung. Die Bahn bietet seit Juni den Anwohnern Hotelunterbringungen an.
  • Eine Eigentümerin im Lindenschulviertel hat vor dem Verwaltungsgerichtshof einen Eilantrag auf Einstellung der nächtlichen Meißelarbeiten gestellt, den der VGH jedoch ablehnte. Die Anwohner müssen den sekundären Lärm durch die nächtlichen Meißelarbeiten zu dulden. Dieser, so der VGH,  sei nicht von der Planfeststellung erfasst. Daher sei auch das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) nicht verpflichtet, im Vorfeld der Bauarbeiten über die Schutzmaßnahmen zu entscheiden.
  • Die starke Übertragung der Erschütterungen deutet für die Anwohner daraufhin, dass auch im Bahnverkehr jeder Zug erhebliche Immissionen für die Anwohner des Lindenschulviertels erzeugen wird. Das Netzwerk Wangen/Untertürkheim machte in einer Presseerklärung auf das gegenüber der Innenstadt vergleichsweise niedrige Schutzniveau aufmerksam.
  • Die Bahn will jetzt die auf den Infoveranstaltungen angekündigte Planänderung zum Wegfall des Einschubbauwerks in Obertürkheim einreichen.
  • Weitere Informationen zu den anstehenden Baumaßnahmen im PFA 1.6a Ober- und Untertürkheim enthalten die beiden Folien (Folie 1 / Folie 2) des Lenkungskreises.
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