Letzte Woche Donnerstag fand die zweite Infoveranstaltung für die vom Tunnelbau im Stuttgarter Osten betroffenen Anwohner und Eigentümer statt, zu der die städtische Bürgerbeauftragte Alice Kaiser in Kooperation mit der Bezirksvorsteherin für Stuttgart-Ost, Tatjana Strohmeier, eingeladen hatten. Der Stadtbezirk soll von jeweils zwei Röhren des Obertürkheimer Tunnels und des Fildertunnels unterfahren werden. Die ersten Vortriebsarbeiten vom Verzweigungsbauwerk sind seit Februar 2016 angelaufen. Der erste Vortrieb von Wangen aus wird bald Gablenberg erreichen.
Im Nachhinein ist es klar, warum die Veranstaltung so verhältnismäßig kurzfristig angekündigt stattfand. Wenige Stunden später war in den beiden Stuttgarter Zeitungen von den zu erwartenden Zeitverzögerung von zwei Jahren, einer erneuten Kostensteigerung von 623 Millionen Euro und einem kümmerlichen Puffer von 15 Millionen zu lesen. Doch Manfred Leger, Vorsitzender der Geschäftsführer der DB Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm GmbH, erwähnte in seiner Begrüßungsrede kein Wort von der prekären Situation bei Stuttgart 21 , die in der Presse in den darauf folgenden Tagen als „Planungsdesaster und „Finanzkollaps“ tituliert wurde und zu einer hohen Nervosität im Aufsichtsrat und Vorstand der DB AG führte (Welt).
Wie seit einigen Veranstaltungen sprach der Projektchef nicht mehr von der Inbetriebnahme zum Ende 2021 und dieses Mal auch nicht mehr von der Einhaltung des Kostenrahmens, sondern einen wachsweichen Satz, der bei Deutschlands teuersten Milliarden-Bauprojekt aufhorchen ließ: „Wir haben eine Budget- und eine Terminvorgabe und wir versuchen diese auszufüllen“. Noch vor einem Jahr auf der ersten Infoveranstaltung für den Stuttgarter Osten war „alles im Plan“. Der Projektchef erwähnte in seiner Begrüßung den aktuellen Tunnelvortrieb bei Stuttgart 21 von rund 15 Kilometern mit 25 % und den der Neubaustrecke, bei der rund die Hälfte aufgefahren sei. Selbstverständlich fehlte nicht der obligatorische Hinweis auf die finanziellen Belastungen durch den Artenschutz beim Großprojekt. Konkrete Teilziele wurden nicht mehr genannt. Stattdessen nur der Hinweis, dass dieses Jahr eine „ganze Menge Tunneldurchbrüche“ anstehen würden.
Auf die Frage aus dem Publikum nach einem Projektabbruch bei Stuttgart 21, reagierte er „not amused“. Innerhalb der DB AG bestünde nicht ein irgendwie geartetes Interesse dieses Projekt einzustellen. Schließlich seien 50% des Budgets für Stuttgart 21 durch Vergaben gebunden und bereits 1,5 Milliarden ausgegeben. Dass aber der vom Aufsichtsrat freigegebene Kostenrahmen bereits überschritten bzw. die 6,5 Milliarden bis auf lächerliche 15 Millionen Puffer ausgeschöpft und damit weitere Kostensteigerung bei dem Milliardenprojekt zu erwarten sind, erwähnte er nicht.
Auch bei der Präsentation über die anstehenden Bauarbeiten, die der Abschnittsleiter für den bergmännischen Teil des PFA 1.2. und 1.5., Günther Osthoff hielt, blieb einiges im Unklaren. Die Präsentation, die sie auf der Webseite der Projektgesellschaft abrufen können, enthielt im Gegensatz zur Veranstaltung im Vorjahr oder in Degerloch 2014 bezeichnenderweise keinen Zeitplan für den Bau der beiden Tunnel unter dem Stuttgart Osten. Wahrscheinlich aufgrund der Erfahrung, dass bislang kein einziger auf den Anwohnerveranstaltungen präsentierter Zeitplan eingehalten werden konnte. Wie dies zur Aussage des Aufsichtsratspapiers passt, nachdem nur der Feuerbacher Tunnel ein Jahr in Verzug sei, können wir uns nicht erklären.
Hier die Zusammenfassung des Vortrages ergänzt mit unseren Anmerkungen:
1. Bau des Verzweigungsbauwerks Süd und Tunnelvortrieb Richtung Wangen und Wendekaverne
- Weiterhin laufen die Bauarbeiten am aufwendigen Verzweigungsbauwerk unter der Jugendherberge. Hier die auf der Veranstaltung präsentierte Übersicht:
- Aktuell sind die beiden südlichen Pfeiler gebaut. Der Vortrieb der beiden Oströhren 902/62 Richtung Wangen und 802 Richtung Wendekaverne läuft seit Februar 2016, der Vortrieb der ersten Weströhre 801 Richtung Wendekaverne seit Mai 2016.
- Der Bau der zweiten Weströhre 901 Richtung Wangen soll erst 2017 starten. Auf Nachfrage des Netzwerks Kernerviertel erklärte Günther Osthoff, dass sich der Vortrieb Richtung Wangen auf die Röhre 902/62 konzentrieren soll. Für die Röhre 62 zwischen dem Verzweigungsbauwerk und Wangen hatte er mehrfach in den letzten Anwohnerveranstaltungen in den Neckarvororten den Tunneldurchbruch auf Ende diesen Jahres angekündigt. Dass aber der Vortrieb des Weströhre 901 erst 2017 starten soll, überrascht. Zumal Eigentümer in der Haußmannstraße im September 2015 wegen der Unterfahrungsrechte angeschrieben wurden. Dies deutet eher auf Probleme beim Tunnelbau hin.
- Am Pfeiler Nordost laufen noch die Betonarbeiten. Der Pfeiler Nordwest ist noch nicht im Bau. Wann die Tunnelvortriebsarbeiten Richtung dem Anfahrbereich Süd (Kernerviertel) starten, blieb auf der Veranstaltung offen.
- Dabei sollten die Bauarbeiten für die Herstellung des Verzweigungsbauwerks nach dem auf der letzten Infoveranstaltung präsentierten Zeitplan (Folie) bis Ende des Jahres 2015 abgeschlossen sein und der Tunnelvortrieb des Anfahrbereich Richtung Kernerviertel starten. Jegliche Nachfragen betroffener Eigentümer im Kernerviertel zu den Hebungsinjektionen wurden vom Abschnittsleiter auf der Veranstaltung abgeblockt.
- Wegen der Geologie (Übergang ausgelaugter Gipskeuper zu teilweise anhydritführenden unausgelaugten Gipskeuper) und der Nähe zu den betonierten Pfeilern kommen die Vortriebsarbeiten im Bereich des Verzweigungsbauwerk nur mit durchschnittlichen täglichen Abschlagslängen von 60-80 cm voran. Wie viele Sprengungen am Tag unterhalb des Kernerviertels durchgeführt werden, erwähnte Günther Osthof nicht.
- Nach den Staubwolken, die aus dem Tunnelportal an der Rettungszufahrt neben dem Wagenburgtunnel immer wieder nach Sprengungen austreten, sind die Vortriebsarbeiten seit längerem im quellfähigen Anhydrit angelangt.
- Ein Zeitplan, wann die Vortriebsarbeiten welches Wohngebiet im Osten erreichen, wurde nicht genannt.
- Die auf der Veranstaltung präsentierte Grafiken zeigen den Vortriebsstand Ende Mai 2016 unterhalb des Gebietes oberes Kernerviertels / Uhlandshöhe :
2. Bau der Wendekaverne
- Damit die Tunnelvortriebsmaschine nach ihrer dritten Schildfahrt von Degerloch Richtung Innenstadt wenden und wieder zurückfahren kann, ist im Bereich der Gerokstraße eine riesige Wendekaverne vorgesehen. Diese soll 18 Meter hoch und eine Grundfläche von 40 x 20 Meter haben.
- Günther Osthoff präsentierte auf der Veranstaltung die folgende Folie mit der Bemerkung, dass die Wendekaverne falsch eingezeichnet sei und etwas weiter rechts gebaut werden würde:
- Wir fragen uns, was das auf einer Informationsveranstaltung soll. Wenn aus geologischen Gründen die Verlagerung der Wendekaverne erforderlich ist, dann muss dies gegenüber den Betroffenen transparent kommuniziert werden. Aber nicht mit dem Hinweis, dass das riesige unterirdische Bauwerk versehentlich auf dem Plan falsch eingezeichnet sei.
3. Tunnelvortrieb Obertürkheimer Tunnel (Wangen Richtung Verzweigungsbauwerk)
- Von Wangen aus läuft seit Anfang 2013 der Vortrieb Richtung Innenstadt/Verzweigungsbauwerk. Zum aktuellen Stand Ende Mai wurde folgende Folie präsentiert:
- Zum Zeitpunkt der Präsentation befand sich der Tunnelvortrieb der weitesten Röhre ca. 70 Meter von der Gemarkung Ost. Diese würde in ca. 14 Tagen erreicht. Wann genau der Stadtteil Gablenberg unterfahren wird, blieb offen.
- Der Vortrieb in der Röhre 62 kommt pro Tag – je nachdem ob 3 bzw. 4 Sprengungen am Tag durchgeführt werden – 3,90m bzw. 5,20m voran. Pro Sprengung wird ein Abschlag von 1,30m erreicht.
- Unerwähnt ließ Günther Osthoff in seiner Präsentation, dass der Tunnelvortrieb zwischen Wangen und dem Verzweigungsbauwerk zwei große Abschnitten im Anhydrit (Längsschnitt Overtürkheimer Tunnel) durchfährt und jeweils unmittelbar vor und nach diesen Abschnitten Abdichtungsbauwerke gegen den Wassereintritt gebaut werden müssen.
4. Vortrieb Fildertunnel
- Von dem über 9 Kilometer langen Fildertunnel wurde 2015 die Oströhre des oberen Abschnitts zwischen dem Filderportal Fasanenhof und kurz vor der Gemarkung Degerloch mit der Tunnelvortriebsmaschine aufgefahren.
- Erst war der Start der zweiten Schildfahrt für Mitte Mai geplant, jetzt soll sich die Tunnelvortriebsmaschine ab Montag, 7.Juni, zum Bau der Weströhre in Bewegung setzen.
- Aktuell ist der bergmännische Vortrieb für den Bau der ersten Röhre des 1,1 Kilometer langen mittleren Fildertunnel gestartet. Im Übergang zum Anhydrit sollen Abdichtungsbauwerke den Eintritt von Wasser verhindern.
- Sobald die erste bergmännische Röhre aufgefahren ist, soll die Tunnelvortriebsmaschine durchgezogen werden und dann ihre dritte Schildfahrt von Degerloch zur Wendekaverne auf Höhe der Gerokstraße starten. Damit sei erst Mitte 2017 zu rechnen.
- Im Unklaren ließ der Abschnittsleiter die anwesenden Anwohner, dass auf der gesamten Strecke zwischen Degerloch und der Wendekaverne der Tunnelbau im Anhydrit erfolgen wird und damit auch entlang der Gänsheide. Auf die Frage einer Eigentümerin von der Gänsheide, ob unter ihrem Haus Anhydrit vorkomme, verwies Günther Osthoff sie schlicht auf Anlagen zur Planfeststellung, die allerdings nicht im Internet zu finden sind. Frau Kaiser bot schließlich an, ihr diese Daten zur Verfügung zu stellen. Doch das wäre in erster Linie die Aufgabe der Projektgesellschaft. Eine transparente Informationspolitik gegenüber den Betroffenen sieht anders aus.
- Nach Aussage von Günther Osthoff sind wegen der hohen Überdeckung keine Setzungen oder Senkungen zu erwarten. Er sieht auch kein Risiko durch den Tunnelbau im Anhydrit für die darüber liegenden Häuser. Schließlich würden mit den Abdichtungsbauwerken und dem“staubtrockene“ Vortrieb die Quellprozesse verhindert werden. Bei den Sprengungen würde statt Wasser Kalziumhydrit den Staub binden.
- Zudem würden im Anhydrit die Tunnelwände mit einer verstärkten Innenschale ausgestattet und ein stabiles Gebirge sei darüber gelegen. Daher würde er sein Monatsgehalt verwetten, dass der Fernsehturm bei der Unterfahrung nicht in die Schieflage geraten wird.
5. Erschütterungsmessungen
Während des Tunnelvortriebs werden ausgewählten Eigentümern Erschütterungsmessgeräte angeboten. Günther Osthoff zeigte für das Wohngebiet Uhlandshöhe/untere Gänsheide einen Übersichtsplan der Gebäude:
6. Unterfahrungsrechte
- Bei dieser Veranstaltung übernahm Dr. Peter Schütz als Rechtsanwalt der Projektgesellschaft den Part zu den Unterfahrungsrechten. Bernd Sievers, der kaufmännsiche Geschäftsführer der PFA 1.2. und 1.6a war an dem Abend nicht anwesend.
- Bei der letzten Veranstaltung für den Stuttgarter Osten war noch von einem sechsmonatigen Vorlauf die Rede. Jetzt hieß es, dass die Bahn in einem ausreichenden Abstand auf die Eigentümer wegen den Gestattungsverträgen bzw. -erklärungen zukommen würde. Der zeitliche Rahmen würde „variieren“. Nach den Erfahrungen zahlreicher Eigentümer kann dies auch nur wenige Wochen vor der Unterfahrung sein.
- Es wurde auf der Veranstaltung weder erklärt, wie sich die Entschädigungshöhen berechnen, noch wurden die von der Projektgesellschaft ursprünglich einmal versprochenen Gruppengespräche für Eigentümer angekündigt.
- Frank Schweizer vom Netzwerk Kernerviertel wies daraufhin, dass die Projektgesellschaft entgegen der gesetzlichen Regelung die Entschädigungen nicht nach dem realen Bodenwert eines Grundstücks, sondern an dem durchschnittlichen Bodenrichtwert eines ganzen Gebietes bemisst. Dr. Schütz entgegnete, dass es bei geringen Überdeckungen von unter 30 Metern bereits abweichende Sonderbegutachtungen gemacht wurden. Nur seien die Gebäude im Stuttgarter Osten durchweg höher unterfahren.
- Wegen der hohen Überdeckung von mehr als 70 Meter seien auch keine Senkungen an der Oberfläche zu erwarten. Während des Vortriebs wird regelmäßig gemessen. Doch nur in diesem unmittelbaren Zeitfenster gilt für die Eigentümer, die einen Gestattungsvertrag mit der Projektgesellschaft abgeschlossen haben, die Beweiserleichterung eines Anscheinsbeweises. Davor und danach muss der Eigentümer im Schadensfall nach den gesetzlichen Bestimmungen die Verursachung durch den Tunnelbau nachweisen.
- Nicht erwähnt wurde, dass die Eigentümer entlang der Tunnelstrecken im Stuttgarter Osten eine erhöhte Beweislast tragen, da für diese im Rahmen der Planfeststellung keine Beweissicherungszone ausgewiesen wurde.
- Die Bahn strebt die Eintragung im Grundbuch II an erster Stelle an, soweit der Grundschuldner damit einverstanden ist.
Update 13.06.2016: Im Parkschützerforum war folgende Kritik eines Teilnehmers der Veranstaltung zu lesen:
jason »Frau Strohmeier: „Es ist mir besonders wichtig, dass die Bahn die Fragen ausführlich beantwortet“. Danach hat Frau Kaiser dafür gesorgt, dass noch nicht mal die Fragen vorgelesen wurden. Die Originalfrage lautete: “ Wie geht es mit dem Fildertunnel weiter, wenn in zwei Jahren die finanzierten 4,5 Mrd. verbraucht sind und der Bahn die Mittel für den Weiterbau fehlen, werden dann die Tunnelbohrungen vorerst gestoppt oder streckt die Bahn das fehlende Geld trotz tiefroter Bilanzen für den nahtlosen Weiterbau vor?“
Es wurde also nicht nach dem Totalabbruch gefragt, wie es Frau Kaiser verkürzt wiedergab.
Meine zweite Frage (Aus welchem Grund sind zusätzliche Bohrungen beim Großmarkt erforderlich?) wurde nicht verfälscht, sondern überhaupt nicht vorgelesen.
Sie hat auch wohlweislich nicht gefragt, ob ich meine Frage eigenständig vorlesen möchte, wie es sonst üblich ist, mein mehrfaches Strecken hat sie beharrlich ignoriert.“