„Alles im Plan und transparent“ – Zur Informationsveranstaltung zum Tunnelbau in Stuttgart-Ost

Letzten Mittwoch fand die Informationsveranstaltung der Bahn für die vom Tunnelbau bei Stuttgart 21 betroffenen Bürger im Stadtbezirk Ost statt, zu der die Bürgerbeauftragte Alice Kaiser und die neue Bezirksvorsteherin Tatjana Strohmaier eingeladen hatten.  Die StZ hat darüber (Meldung 1/ Meldung 2) berichtet. Ton- und Bildaufnahmen sowie Fotos der Folien waren nicht zugelassen. Cam 21 hat dies in einem Kommentar (hier) zur Veranstaltung massiv kritisiert. Die Twitter-Tweets, die auf der Parkschützer-Seite veröffentlicht wurden, finden Sie hier.Wir möchten noch über die folgenden Punkte berichten:

  • Vorneweg: Gut die Hälfte der Sitze blieb frei. Möglicherweise war dies der gleichzeitig stattfindenden Veranstaltung zum Brandschutz bei Stuttgart 21 (Video Teil 1 / Teil 2 / Teil 3) im Stuttgarter Rathaus geschuldet.
  • Vortrag Manfred Leger: Manfred Leger, Vorstand der Geschäftsführung der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH, eröffnete von Seiten der Bahn die Veranstaltung mit seiner Einschätzung der aktuellen Lage des Gesamtprojektes einschließlich dem aktuellen Baustand der Neubaustrecke Richtung Ulm. Im Projekt Stuttgart 21 seien –  so Leger – deutliche Baufortschritte in allen Bereichen, auch im PFA 1.1., zu verzeichnen. Einzig auf dem kritischen Pfad wären der Filderbereich und im PFA 1.5. der Bereich Rosenstein. Dennoch sei die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 zum Dezember 2021 und die Kostenprognose weiterhin im Plan (Folie). Man kann dazu nur anmerken, dass die Bahn bislang bei Stuttgart 21 solange die Einhaltung der Zeit- und Kostenpläne postuliert, bis neue Zahlen dem Aufsichtsrat zur Genehmigung vorgelegt werden. Von daher warten wir einmal auf die Zeit nach der Landtagswahl ab.
  • Leger lobte die neue Qualität der Zusammenarbeit der Projektpartner Stadt und Land im Verein Stuttgart-Ulm e.V. und die positiven Ergebnisse zur Flughafenanbindung. Unerwähnt blieben die Bedenken des Landes zur Aufspaltung des Filderbereichs, über die zeitgleich die StZ (hier) berichtete.
  • Er verwies auch darauf, dass kein anderes Bauprojekt in Deutschland so transparent kommuniziert werde. Allerdings sind bis heute nicht die Folien seines Vortrages auf der Seite des Kommunkationsbüros veröffentlicht. Auch die Folien zu fotografieren wurde im Laufe der Veranstaltung untersagt.
  • Vortrag Matthias Breidenstein: Auch Matthias Breidenstein, Abschnittsleiter der Tunnelstrecken der Abschnitte PFA 1.2. / Fildertunnel und PFA 1.6a / Tunnel Richtung Unter-/Obertürkheim berichtete über die geplanten Baumaßnahmen entlang der von ihm verantworteten Tunnelstrecken.  Den unerwartet hohen Wasserandrang in Wangen erwähnte er, den deshalb erforderlichen Planänderungsantrag zur Tieferlegung der Tunnel, der erst noch vom EBA genehmigt werden muss, jedoch nicht. Die Folien seines Vortrages und die seines kaufmännischen Partners Bernd Sievers, der kurz auf die Unterfahrung einging, können Sie hier auf der Seite des Kommunikationsbüros abrufen.
  • Zeitpläne: Die Eigentümer werden ca. ein  halbes Jahr vor der Unterfahrung wegen eines Gestattungsvertrages angeschrieben. Allerdings wurden auf der Veranstaltung für die Tunnelstrecken PFA 1.2. und PFA 1.6a nur sehr grobe Gesamtzeitpläne vorgestellt. Wann genau die Vortriebsarbeiten die jeweiligen Wohngebieten des Stuttgarter Ostens erreichen, wurde nicht erwähnt.
  • Aktueller Vortriebsstand: Angesichts des tatsächlichen Baufortschrittes ist dies auch kein Wunder. Zum 10.März 2015 sind gerade einmal 5 % der Tunnelstrecken gegraben. Eine Aufstellung der Netzwerke über die veröffentlichten Vortriebsstände finden Sie hier.
  • Fildertunnel: Zwar erreichte die Tunnelbohrmaschine auf der Strecke des oberen Fildertunnels seit ihrem Start Ende November 2013 heute die 1.000 Meter-Marke. Dennoch werden nur 16 der insgesamt 59 Tunnelkilometer für Stuttgart 21 maschinell aufgefahren und die 120 Meter lange Maschine muss zwischendurch technisch aufwendig im oberen Abschnitt zurückgezogen bzw. im unteren Abschnitt gewendet werden. Den auf der Infoveranstaltung im September in Degerloch vorgestellten Ablauf und Zeitplan für den Bau des Fildertunnels finden Sie hier.
  •  Tunnel Hbf-Wangen: Auf der Tunnelstrecke zwischen Hauptbahnhof und Wangen, die einmal unter dem Stuttgarter Osten verlaufen soll, sind auch über ein Jahr nach Beginn der Bauarbeiten kaum Baufortschritte zu verzeichnen. Seit Ende November 2013 wurde unterhalb des Kernerviertels lediglich 230 Meter die schmale Rettungszufahrt vorangetrieben und großteils verschalt. Aktuell wird auf den letzten 80 Metern das untere Tunnelsegment mit Sprengungen vorangetrieben. Danach soll es an das technisch komplexe Verzweigungsbauwerk gehen, dessen Mittelpfeiler jeweils als erstes zur Abstützung als Betonbauwerk hergestellt werden.
  • Tunnel Untertürkheim-Wangen-Hbf: Auf Wangener Seite wurden seit der Tunnelfeier im Dezember 2013 104,9 Meter eines Schachtes und rund 50 eigentliche Tunnelmeter vorangetrieben. Aktuell ruhen die Bauarbeiten wegen des unerwartet hohen Wasserandrangs erforderlichen Planänderung zur Tieferlegung der Tunnel. Die Bauarbeiten werden sich zwangsläufig bis zur Genehmigung durch das EBA verzögern. Ohne nähere Erläuterung präsentierte Matthias Breidenstein auf der Informationsveranstaltung einen Zeitplan, nachdem der 6 Kilometer lange Tunnel des PFA 1.6 a ohne Innenverschalung nicht mehr Mitte 2016, sondern erst im 3. Quartal 2017 fertig gestellt ist. Dafür soll parallel dazu 2017 mit der Innenverschalung begonnen werden.
  • Abtransport des Aushubs: Die Anwohner am Zwischenangriff Wangen, im Kerner- und Nordbahnhofviertel werden also länger als bislang bekannt vom Abtransport des Aushubs des PFA 1.6a belastet. Zumal Herr Breidenstein auf Nachfrage des Netzwerks Kernerviertel einräumen musste, dass der Abtransport des Aushubs aus dem unteren Teil des Fildertunnels (wenn die Tunnelvortriebsmaschine von der Stadt aus nach Degerloch fährt) noch offen sei. Der Abraum kann entweder über ein verlängertes Förderband im Fildertunnel Richtung Filderportal oder alternativ über das Förderband an der Rettungszufahrt Süd und die zentrale Baulogistik abtransportiert werden. 2012 wurde in der Planänderung noch damit geworben, dass mit dem maschinellen Vortrieb die Innenstadt von der Baulogistik der unteren Filderröhre entlastet wird. Die StN berichtete in ihrer Meldung vom August 2012 „Tunnelbau geändert – weniger Dreck“ darüber. Zur Größenordnung: Falls der Abraum der unteren Fildertunnelröhre über die Rettungszufahrt am Wagenburgtunnel laufen soll, so wären dies laut Anlage 21.1. des Planfeststellungsbescheides 1.2. neben den 262.000 Kubikmeter aus dem Tunnel PFA 1.6a Richtung Wangen noch einmal bis zu 568.000 Kubikmeter (!) aus dem PFA 1.2.. Und damit eine extreme zusätzliche Belastung der innerstädtischen Wohngebiete.
  • Sprengungen: Auch für das Verzweigungsbauwerk sowie für die weiteren Tunnelabschnitte soll bei harten Gestein „bergschonend“ und ggf. rund um die Uhr gesprengt werden. Der Sprengstoff in den 80 Bohrlöchern wird nicht gleichzeitig, sondern nacheinander gezündet. Dadurch seien auch an der Oberfläche nur geringe Erschütterungen messbar (aktuell max. 1/10 des Grenzwertes der DIN 4150). Im Anhydrit werden die Bohrlöcher wegen der Quellgefahr zudem trocken gebohrt. Zum Schutz vor Rissbildung wird in der Nähe der Tunnelwände weniger Sprengstoff eingesetzt. Messaufzeichnungen über die Sprengungen werden auch unterhalb der Wohngebiete vorgenommen, die nicht in der Beweissicherung sind. Allerdings seien aufgrund der Überdeckung von mehr als 50 Meter kaum mit Auswirkungen an der Oberfläche zu rechnen. Gesonderte Ankündigungen der Sprengarbeiten werden nicht mehr gemacht.
  • Geologie / Risiken durch Anhydrit: Auf die Frage des Geologen Dr.Behmel nach den tektonischen Störungen entlang der rund 16 Kilometer langen Tunnelstrecken im Anhydrit, über die ein Wasserzutritt möglich wäre, ging der Abschnittsleiter nur ausweichend ein. Er verwies auf die Abdichtungen gegen den Wassereintritt an den Übergangszonen, auf die hohen Überdeckungen (mindestens 80 Meter entlang der Gänsheide und Gablenberg und bis 200 Meter in Degerloch) und den kompakten, festen Baugrund. Matthias Breidenstein betonte, dass beim Tunnelbau aller 20 Meter Messungen stattfinden wurden und kommentierte dies mit den Worten: „Wenn man einen Tunnel in guter Qualität baut, dann darf an der Oberfläche nichts passieren.“Er verwies dabei auf die Senkungen entlang der Rettungszufahrt, die im weichen ausgelaugten Gipskeuper nur maximal 2 cm betrugen. Dass bei der Unterfahrung der Landeswasserversorgung durch den schmalen Rettungstunnel sich Risse bildeten (siehe Bericht StN), erwähnte er nicht. Ebenfalls blieb unerwähnt, dass quellendes Anhydrit sich auch bei einer hohen Überdeckung auswirken kann. So hob sich 4 Jahre nach dem Bau des Heslacher Tunnels im Bereich der alten Weinsteige die Erdoberfläche auch 70 Meter darüber um 2 bis 3 cm.
  • Entschädigungen / Musterverträge / Haftung: Bernd Sievers, der kaufmännische Abschnittsleiter der PFA 1.2. und 1.6., streifte in seinem kurzen Vortrag das Stuttgarter Gutachten, nach dem sich die Entschädigungen richten würden. Wie von den Netzwerken mehrfach kritisiert, ist will die Bahn weiterhin nicht auf Basis der realen Bodenwerte, sondern nach den derzeitigen Bodenrichtwerten des Wohngebietes entschädigen. Eine neue Information war, dass die Grundstücksqualität zum Zeitpunkt der Offenlegung der Planunterlagen 2001 bzw. 2003 dabei zugrundegelegt wird. Herr Sievers verwies auf die mit Haus+Grund verhandelten Musterverträge, nach denen der Eigentümer fünf Jahre das Recht habe, eine höhere Entschädigung einzuklagen. Im Falle eines Schadens gäbe es die in den Musterverträgen enthaltene Klausel zum Anscheinsbeweis. Im Schadensfalle würden jedoch erst einmal die Messprotokolle herangezogen, ob Erschütterungen während der Vortriebsarbeiten aufgetreten seien.
  • Die Netzwerke lehnen jedoch die Haftungsklauseln im Mustervertrag der Bahn, die nur den Zeitraum der aktuellen Unterfahrung abdecken, weiterhin ab. Nähere Informationen finden Sie unter den Beiträgen  Netzwerke 21 distanzieren sich von Haus & Grund in Sachen Gestattungsvertrag mit der Bahn und Bahn will geschädigte Hauseigentümer entlasten – bietet jedoch bislang keine Beweislastumkehr an. Die Netzwerke haben dazu ein alternatives Vertragsmuster erarbeitet, das Sie gegen Spende beziehen können.
  • Information über Vortriebsstand: Zwar wurde bereits Anfang des Jahres im Amtsblatt der Stadt Stuttgart (hier) angekündigt, dass auf der webseite www.biss-21.de „demnächst“ grafisch die Tunnelvortriebsstände dargestellt werden sollen. Denn mit den derzeitigen Angaben der Vortriebständen in Metern können die Betroffenen wenig anfangen. Dieses Projekt wird jedoch nach Auskunft von Frau Kaiser von der beaufragten Firma erst bis Ende des Jahres (!) realisiert. Die Netzwerke werden hier noch einmal nachhaken.

Update 16.März: BAA hat jetzt ein  Auszüge aus den Vorträgen von Manfred Leger, Matthias Breidenstein und Bernd Sievers (hier) veröffentlicht.

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