Letzte Woche berichteten die beiden Stuttgarter Zeitungen (StZ / StN) ausführlich, dass die Bahn im Abschnitt PFA 1.6a eine 5.Planänderung beantragt hat. Wegen des unerwartet hohen Wasserandrangs müssten die Tunnel zwischen Wangen und Untertürkheim um bis zu 4 Meter tiefer gelegt werden.
Das Eisenbahn-Bundesamt hat bereits eine Feststellung über das Unterbleiben einer Umweltverträglichkeitsprüfung für die „Tieferlegung Gradiente“ getroffen. Den Bescheid des EBAs können Sie hier abrufen. Darin heißt es: „...Im Zuge der Herstellung des Schachtes Ulmer Straße wurde festgestellt, dass die Auslaugungsfront des Gipskeupers und damit der darüber liegende, stärker durchlässige Horizont, örtlich etwas tiefer ansteht. Durch die Tieferlegung der Gradiente werden die Tunnelröhren nach den Ergebnissen der Erkundung auch im Bereich des Neckartals nahezu über die gesamte Länge im gesteinsfesten, gering durchlässigen, unausgelaugten Gipskeuper zu liegen… Durch die Tieferlegung der Gradiente verringern sich die vortriebsbedingten Setzungen an der Geländeoberfläche gegenüber den ursprünglich erwarteten. Die Tieferlegung der Gradiente hat keine Auswirkungen auf den Grunderwerb…“
Wir hatten bereits darüber berichtet (hier), dass die Schwierigkeiten mit den unerwartet großen Wassermassen bei den unterirdischen Vortriebsarbeiten ausgerechnet in einem Gebiet auftreten, das die Bahn bei den Planfeststellungen bzw. Erörterungen gegenüber einer Vielzahl von Einwendungen als geologisch bestens erkundet verkaufte. Bei der im September 2014 vom EBA genehmigten Planänderung zum Grundwassermanagement ging die Bahn noch davon aus, dass gerade in diesem Abschnitt deutlich weniger Grundwasser anzutreffen sei, als ursprünglich in der Planfeststellung angesetzt war.
Dies lässt Rückschlüsse auf die mangelnde Planungsqualität der Bahn für diese unterirdischen Bauarbeiten zu, die zudem nur verzögert angelaufen sind. Dennoch werden die Zeitpläne nicht entsprechend angepasst und die Öffentlichkeit desinformiert. Nach den im Dezember 2012 vorgestellten Bauzeiten sollten vom Zwischenangriff Wangen der Zugangsstollen und die zwei eingleisigen rund 6 km langen Tunnel des PFA 1.6a Richtung Hauptbahnhof und Unter-/Obertürkheim ohne den Ausbau der Innenschale in drei Jahren gegraben sein (2013 und 2014-2016). In dem auf der Bezirksbeiratssitzung Ende Juli 2014 präsentierten Zeitplan sind für diese Vortriebsarbeiten trotz der bereits eingetretenenen Bauverzögerungen bei einem gleichbleibenden Fertigstellungstermin Mitte 2016 plötzlich nur rund 2 Jahre ( 2014 und 2015-16) vorgesehen. Dabei hinkt der Baufortschritt sämtlichen Planungen weit hinterher. Seit der offiziellen Tunneltaufe Anfang Dezember 2013 sind nach über einem Jahr lediglich der Zugangsstollen mit 104,9 Meter und nur 50 eigentliche Tunnelmeter hergestellt. Eine Zusammenstellung der Vortriebsstände der Tunnelbauten bei Stuttgart 21 seit Juni 2014 finden Sie hier. Auch bis zur Genehmigung der 5.Planänderung können die Bauarbeiten nur eingeschränkt weitergehen. Die Stuttgarter Nachrichten berichten, dass bis zur Genehmigung der beantragten Tieferlegung vorläufig nur das obere Segment des Tunnelquerschnitts vorangetrieben werden kann. Erstmals sollen Erkundungen (!) sollen den Bauarbeiten vorangehen.
Die StN kommentieren dies in ihrem lesenswerten Artikel „Bauarbeiten überholen Genehmigung“ in ungewöhnlich deutlicher Weise: „... Zwar können die Bauarbeiter einige Meter der Kalotte abgraben, weil für den Rest aber die Genehmigung fehlt, könnte ihnen aber schon bald die Arbeit ausgehen. Es wäre nicht der erste Stillstand bei Stuttgart 21. Mehrfach haben die Bauarbeiten die Planung überholt und mussten deshalb gebremst werden. Beispiele: Aktuell muss im Schlossgarten mit angezogener Handbremse gearbeitet werden, weil eine Genehmigung für die Gründung zusätzlicher Treppenhäuser für den Tiefbahnhof fehlt. Als im November 2013 der Fildertunnel in der Stadtmitte begonnen wurde, mussten die Firmen (das gleiche Konsortium wie für den Tunnel nach Untertürkheim) ihre Arbeit nach 15 Tagen einstellen, weil die Bahn versäumt hatte, sich eine Genehmigung zur Unterfahrung der Bürohauses der Landeswasserversorgung zu besorgen. Und bereits im September 2012 musste die fertige Bohrmaschine für den Fildertunnel ein Jahr lang eingelagert werden, weil die Bahn zu jenem Zeitpunkt gar keine Genehmigung für den Bau mit einer Bohrmaschine hatte…“
Es liegt nahe, dass die aufgrund von Planungsmängeln der Bahn verursachten Zeitverzögerungen und Planänderungen, wie jetzt in Wangen, nicht von den angeblich zu Festpreisen vergebenen Tunnelarbeiten abdeckt sind und die Nachtragsabteilungen der Arbeitsgemeinschaft unter Führung der Porr AG fleissig Rechnungen schreiben werden.
Die Tieferlegung in festere Gesteinsschichten wird sich möglicherweise für die Setzungen der darüberliegenden Gebäude positiv auswirken. Die Tunnel zwischen Wangen und Untertürkheim sollen jetzt jedoch im unausgelaugten Gipskeuper, der ggf. bei Wasserkontakt aufquellendes Anhydrit- oder wasserlösliches Gipsvorkommen enthalten kann, verlaufen. Völlig offen sind die (hydro-)geologischen Risiken dieser Tieferlegung, insbesondere für die unterirdischen Mineralwasserströme, die nach Ansicht von Kritikern vorwiegend von der Schwäbischen Alb unterhalb des Neckartals fließen. Lesen Sie dazu Geologie 21 und den offenen Brief von Hans-Jochim Aderhold zur Planänderung in Wangen auf Schaeferweltweit. Unklar ist auch, welche Auswirkungen die Tieferlegung für den Streckenverlauf und die geplanten Baumaßnahmen in Unter- und Obertürkheim haben. Beispielsweise auf den Tunnelauslauf an den Trog im Untertürkheimer Bahnhof. Bereits ohne Tieferlegung ist eine für den Bahnverkehr enorme Steigung von 33% geplant (zum Vergleich: Geislinger Steige hat 22,5‰).
Diese gravierende Planänderung findet in einem Abschnitt statt, den der für die bergmännischen Arbeiten im PFA 1.2. und 1.6a zuständige Abschnittsleiter Matthias Breidenstein in einem Interview (hier ab Minute 00:49) als hochkomplex einstuft und dabei keine Superlative scheut: „...Ich kann wirklich von diesen Bauwerken, keine auch nur ansatzweise als normal schwierig im ingenieurtechnischen Sinne machen. Es sind wirklich alles fachtechnische Eiffel-Türme…“.