Die Stuttgarter Nachrichten (hier) haben gestern über die Pressemitteilung des Aktionsbündnisses zum Bauverzug bei Stuttgart 21 berichtet. Wir hatten auf unserer Seite als erste auf die abweichende Bauplanung aufmerksam gemacht. Die Bahn dementiert auf Nachfrage den auf dem Schaubildern ausgewiesenen Bauverzug, nachdem die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 erst zum Fahrplanwechsel 2022/23 realistisch ist. Der offizielle Start im Dezember 2021, so der Pressesprecher der Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm GmbH, sei nicht gefährdet.
Die StN schreibt: “ „Das kann schon sein“, kommentiert Winfried Reichle die gezeigten Daten, mit denen die Ingenieure den Bauablauf auf 18 Farbtafeln darstellten… Die Bahn aber wird voraussichtlich schneller sein als auf den Schaubildern. Sie stammten aus einem Workshop, „der sich mit verschiedenen Terminszenarien beschäftigte“, sagt ein Projektsprecher. Damit sollten gegenseitige Abhängigkeiten der Arbeiten transparent gemacht werden, als Grundlage, „um rechtzeitig Gegensteuerungsmaßnahmen ergreifen zu können“. Das Szenario sei veraltet, der Rohbau werde deutlich früher fertig. 2021 sei der Bahnhof , „nach allem, was bisher bekannt ist“, fertig.“
Wie bitte? Da drängen sich doch jedem die folgenden Fragen auf:
- Der Zeitplan stammt lediglich aus einem Workshop, bei dem der Bauablauf und die gegenseitigen Abhängigkeiten am Südkopf bis 2023 durchgespielt wurden?
- Und der Zeitplan soll laut Bahn veraltet sein, obwohl Winfried Reichle, Infrastrukturleiter der SSB für Stuttgart 21, diesen nicht dementiert?
- Und diesen veralteten Zeitplan präsentierte die Bahn mehrere Meter groß an den „Tagen der Baustelle“ vor mehr als 30.000 Besuchern?
- Und die Bauarbeiten werden voraussichtlich schneller als auf den Schaubildern durchgeführt werden, obwohl bislang kein einziger veröffentlichter Zeitplan für Stuttgart 21 eingehalten wurde?
- Und dies, obwohl die Bahn in den letzten Infoveranstaltungen für die Anwohner des Kernerviertels der Frage nach dem Gesamtzeitplan und den Gegensteuerungsmaßnahmen zur Einholung des Zeitverzuges beim Bau des „Tiefbahnhofs“ schuldig blieb? Und bislang kein aktueller, detaillierter Zeitplan für den „Tiefbahnhof“ und den Südkopf veröffentlicht wurde?
- Und der Zeitverzug, der bereits jetzt schon auf dem Schaubild beim Nesenbachdüker und den beiden Baufeldern 22 und 25 ins Auge sticht, soll zusätzlich noch eingeholt werden?
- Und die Bauarbeiten des „Tiefbahnhofs“ sind weiterhin im Plan, obwohl die für 2014 angekündigte Betonplatte weiterhin nicht genehmigt ist?
- Ist dies unter der Transparenz zu verstehen, die der Vorstand der Projektgesellschaft, Manfred Leger, und der Vorsitzende des Vereins, Ex-MdB Georg Brunnhuber, in der Öffentlichkeit auch für die betroffenen Anwohner propagieren? Einen angeblich veralteten Zeitplan aushängen?
Das ist nicht glaubwürdig. Da kann der Pressesprecher der Projektgesellschaft Stutgart-Ulm GmbH sich noch so winden. Es ist nach unserer Einschätzung nur noch eine Frage der Zeit bis die Bahn die verspätete Fertigstellung bzw. Inbetriebnahme von Stuttgart 21 einräumen muss. Oder die Projektgesellschaft veröffentlicht aktuelle realistische Bauzeitenpläne zum „Tiefbahnhof“ und dem Südkopf, die uns eines besseren belehren lassen.
Wie es um das Großprojekt bestellt ist, zeigt die Pressemitteilung der Projektgesellschaft (hier) über die ersten Betonarbeiten zur Einbringung einer Sauberkeitsschicht auf einer 10 x 20 großen Fläche im Bereich des Medienkanals, über die die Stuttgarter Zeitung (hier) in ihrer heutigen Ausgabe berichtet. Jeder Kübel Beton ist eine Meldung wert, auch wenn die eigentliche Betonplatte nicht freigegeben ist. Nicht nur der Bau des „Tiefbahnhofs“ ist deutlich im Verzug.
Auch der Blick auf die aktuellen Vortriebsstände zum 25.Januar 2016 und der Baufortschritt Tunnelbau, den wir wöchentlich dokumentieren, zeigt dass eine Inbetriebnahme zum Dezember 2021 nicht realistisch ist. Klicken Sie hier auf die Übersichten der Netzwerke seit Oktober 2015/ bis September 2015. Aktuell sind nach mehr als zwei Jahren Bauzeit rund 20%, d.h. 12 der 59 Kilometer vorgetrieben. Von den 12 Kilometer sind 8 Kilometer bergmännisch aufgefahren, die -wie die noch anstehenden 35,5 Kilometer- in einem zweiten, aufwändigen Arbeitsgang noch innenverschalt werden müssen. 2015 wurden bergmännisch rund 6 Kilometer aufgefahren. Lediglich im Oktober 2015, als Stollen, Schächte, Strecken in offener Bauweise nacherfasst wurden, ist die vom Bahnvorstand Volker Kefer angekündigte 1.000 Meter-Marke für den monatlichen bergmännischem und maschinellem Gesamtvortrieb erreicht worden:
Nach einer groben Hochrechnung auf Basis des durchschnittlichen Tunnelvortriebs im letzten Halbjahr von ca. 666 Metern monatlich, würde man für die restliche bergmännische Strecke von 35,5 Kilometer noch rund 4,5 Jahre benötigen. Und dies ohne die anschließend erforderliche Innenverschalung zur Fertigstellung des Rohbaus, die eisenbahntechnische Ausrüstung und einjährigem Testbetrieb. Dabei enthalten die kommenden Strecken kritische Abschnitte, wie der Bau im quellfähigen Anhydrit oder zweistöckige Tunnel unter dem Neckar, die noch Verzögerungen mit sich bringen können. Nach den Lenkungskreisunterlagen sollen jedoch alle Tunnelstrecken von Stuttgart 21 im Rohbau einschließlich der Innenverschalung bereits spätestens Ende 2018 bzw. 2019 fertiggestellt sein.
Die Bahn hat der steuerzahlenden Öffentlichkeit und den Anwohnern, die von den jahrelangen Bauarbeiten betroffen sind, Transparenz beim Großprojekt Stuttgart 21 versprochen. Das sollte sie auch beim Zeitplan einlösen.