Fragen an die Bundestagskandidaten im Wahlkreis II

Fragen und Antworten zu S21 and die Bundestagskandidaten.
Schreiben von Zukunft Schiene:

Sehr geehrte/r Kandidat/in,

wir, vertreten das „Netzwerk Wangen/Untertürkheim“, einen Zusammenschluss von Eigentümer/innen, die von der Untertunnelung durch Stuttgart 21 direkt betroffen sind (PFA 1.6a), und das „Informationsbündnis Zukunft Schiene – Obere Neckarvororte“, eine Initiative von betroffenen Bürgerinnen und Bürgern, die sich für den geplanten Um- und Ausbau des Untertürkheimer Gleisfeldes (PFA 1.6b) interessieren.

Mit Blick auf die Bundestagswahl am 22.09. dieses Jahres haben wir wahlentscheidende Fragen an die Kandidatinnen und Kandidaten für den Bundestag im Wahlkreis Stuttgart II. Die folgenden Fragen beziehen auf konkrete Beeinträchtigungen, die wir in Wangen, Untertürkheim und Obertürkheim durch den PFA 1.6a und 1.6b nach momentanem Stand dauerhaft hinnehmen sollen.

Als potentielle Abgeordnete ihres  Wahlbezirks erbitten wir klare Stellungnahmen zu unseren Fragen in den beiden folgenen Themenbereichen:.

  1. Gestattungsverträge und deren Ausgestaltung im PFA 1.6a
  2. Lärmbeeinträchtigung durch den geplanten Wartungsbahnhof PFA1.6b

zu  I.

  1. Welche Schritte werden Sie und Ihre Partei unternehmen, die Deutsche Bahn AG bzw. die Tochter DB Netz AG zu veranlassen, Gestattungsverträge vorzulegen, die dem Anspruch einer angemessenen Entschädigung genügen?Welche Schritte leiten Sie bzw. Ihre Partei außerdem ein, die im sogenannten „Stuttgarter Verfahren“ (Vorschlag der DIA Consulting AG) rein auf subjektiver Wertminderung basierenden Entschädigungsvorschläge in ein Verfahren umzuwandeln, das die Belange der Eigentümer angemessen berücksichtigt?
  2. Welche Schritte werden Sie und Ihre Partei unternehmen, die Deutsche Bahn AG bzw. die Tochter DB Netz AG zu veranlassen, bei eventuell entstehenden Schäden die Beweisumkehr (die Bahn weist nach, dass der Schaden nicht durch sie entstanden ist) in die Gestattungsverträge aufzunehmen?
  3. Was wollen Sie und Ihre Partei dafür tun, dass der Immissionsschutz auf dem aktuellsten und technisch möglichen Stand bei S21 durchgeführt wird und nicht auf dem Stand einer Planfeststellung aus dem Jahr 2007, die sich auf Pläne aus dem Jahr 2002 bezieht und angesichts der zu erwartenden Bauzeit bei Fertigstellung völlig veraltet sein wird?

zu II.

  1. Wie stehen Sie als Wahlkreiskandidat/in zu der drohenden Lärmproblematik am Wartungs- und Abstellbahnhof Untertürkheim?
  2. Welche konkreten Schritte werden Sie unternehmen, um der Bevölkerung vor einer Planfeststellung die Problematik praktisch erfahrbar zu machen – beispielsweise mit einer Lärmsimulation?
  3. Werden Sie sich für ein neutrales  Lärmgutachten einsetzen, das nicht von der Bahn beauftragt wurde und auch die konkreten topografischen Gegebenheiten im Neckartal berücksichtigt?
  4. Auch wenn der 5db(A)-Schienenbonus erst ab 2016 zur Anwendung kommen wird (geändertes BImSchG), halten Sie es für sinnvoll, dass bei einem Jahrhundertprojekt, das frühestens 2020 in Betrieb gehen soll, dieser Bonus nicht gelten soll, dass also noch Regelungen aus dem letzten Jahrhundert zur Anwendung kommen sollen?
  5. Was werden Sie konkret für die Bewohner von Untertürkheim unternehmen, um für den noch nicht planfestgestellten Abschnitt 1.6b den optimalen Lärmschutz nach modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen durchzusetzen?
  6. Werden Sie sich in einem Projekt, bei dem aller Erfahrung nach bei weiter steigenden Kosten nach Einsparpotenzial gesucht werden wird, gesetzliche Mindestanforderungen akzeptieren und sich auf die Eigenwirtschaftlichkeit der Bahn berufen können/wollen?

Die Fragen sind in folgendem Zusammenhang zu sehen:

I. 1 Entschädigungsregelungen in den vorgelegten Gestattungsverträgen

Die Fragestellung wurde ausgelöst durch die Vertragsentwürfe der DB Netz AG, die jetzt nach und nach den Grundstückseigentümern entlang der im Zuge von S21 geplanten Tunnelstrecken zugehen.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass die DB Netz AG im Falle der Ablehnung einer Vereinbarung über die Unterfahrung gemäß § 22 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) eine Enteignung gemäß § 21 AEG sowie die vorzeitige Besitzeinweisung betreiben kann.

Bislang halten wir die gemachten Vorschläge der DB Netz AG für unbillig. Die vorgelegten Vertragsentwürfe zeichnen sich dadurch aus, dass unseres Erachtens dort die Pflichten des Grundstückseigentümers durch sehr allgemeine Formulierungen zu weit gefasst sind. Dem Eigentümer werden dadurch unangemessene Risiken auferlegt. (s. Anlage § 1(3))

Wir sind der Ansicht, dass die DB Netz AG mit dem Auferlegen von Unterlassungspflichten und Einschränkungen des Eigentümers in der Nutzung seines Grundstücks auch deutlich dokumentieren muss, wie stark die Beschränkungen sind.

Die im AEG erlaubte Enteignung verweist für Details „im Übrigen“ auf die Enteignungsgesetze der Länder und damit auf das Landesenteignungsgesetz Baden-Württemberg (LEntG). Dieses regelt in § 7 den allgemeinen Grundsatz, dass für jede Enteignung eine Entschädigung zu leisten ist und zwar

– für den durch die Enteignung eintretenden Rechtsverlust und

– für andere durch die Enteignung eintretenden Vermögensnachteile.

Danach sind grundsätzlich zu differenzieren:

a) konkrete Schäden aus Beschädigungen des Gebäudes und/oder des Grundstückes;

b)  Beeinträchtigungen und Schäden aus der Nutzung des Grundstückes 

(Bebaubarkeit);

c) Beeinträchtigungen und Schäden aus dem späteren Betrieb des Tunnels

(z.B. Erschütterungen oder Lärmimmissionen);

d) Minderwert aus der Eintragung der Dienstbarkeit im Grundbuch;

Daraus folgt: a) – c) lassen sich konkret bei Anfall ermitteln. Bei d) handelt es sich um eine Schätzung, für die Grundlagen zu definieren sind.

Obige Differenzierung ist zumindest für a), b) und d) vom Bundesgerichtshof (BGH) ausdrücklich gebilligt (BGH Z 83, 61 ff). In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte sich die Stadt München als Bauherr der U-Bahn verpflichtet „die U-Bahn-Röhren so stark auszubilden, dass die Kläger und ihre Rechtsnachfolger die Grundstücke im Rahmen der jeweils geltenden Vorschriften oberirdisch baulich voll nutzen können“. Diese präzisierenden Aspekte sind in den vorgelegten Gestattungsverträgen zu S21 nicht enthalten. In der Eintragungsbewilligung 4. Absatz macht die Bahn nach unserer Meinung deutlich, dass sie gerade nicht bereit ist, die Tunnelröhren so auszubilden, dass die Grundstücke im Rahmen der geltenden Vorschriften voll genutzt werden können.

Wenn nun die DB Netz AG weitgehende Einschränkungen bis zu ein Bauverbot verlangt, wird der Verkehrswert des belasteten Grundstücksteiles, bzw. bei Verhinderung einer Bebauung insgesamt der gesamte Verkehrswert zu entschädigen sein.

I. 2. Gutachten der DIA Consulting AG, sogenanntes „Stuttgarter Verfahren“

Als Entschädigungsvorschlag hat die DB Projekt AG ein Gutachten der DIA Consulting AG, Freiburg vorgelegt, erstellt unter Mitarbeit von Dr. Martin Ingold, Tenningen, (siehe httpwww.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/details/baubegleitende-massnahme/grunderwerb). Ein solches „Verfahren“ hat jedoch weder Gesetzeskraft, noch ist es von der Rechtsprechung bestätigt worden.

Das sogenannte „Münchener Verfahren“  – oder besser: – die Münchener Tabellen – ist, soweit ersichtlich, eine Sammlung von Entschädigungsbeträgen, die teils anfänglich bezahlt, teils nach jahrelangen Prozessen zugesprochen worden sein sollen, wobei unbekannt ist, wie die Bemessung jeweils im Einzelfall erfolgt ist.

Die Stellungnahme der Gutachter bzw. die darin beschriebene Methode zur Ermittlung einer Entschädigung ist aber in mancherlei Hinsicht fragwürdig:

Beispielsweise zeigen Erfahrung und Fachwissen an den Stuttgarter Hängen, dass durch Quellungen des Gipskeupers bei Wasserzutritt Schäden in großer Höhe über den Tunneln auftreten können. Die Aufzeichnung des Herrn Dipl.-Geol. Dieter Nagel (damals Mitarbeiter der Materialprüfungsanstalt Stuttgart) beschreiben Quellungen (und daraus resultierende Bodenanhebungen) in Folge des Baus des Heslacher Tunnels noch ca. 60m über dem Heslacher Tunnel unter einem Winkel von ca. 25 Grad.

Hier wird deutlich, dass die Annahme, nur bis 15 Meter über einer Tunnelröhre liege ein starkes Interesse des Eigentümers vor, in Stuttgart falsch ist. Somit wird die weitere Tabelle, die die Entschädigung regeln soll, zumindest fragwürdig (0 –15 m – starkes Interesse, 15 – 30m – mittleres Interesse, 30 – 60 m – abgeschwächtes Interesse, über 60 m – stark eingeschränktes Interesse).

Hier ist noch zu beachten: Diese Ermittlung einer Entschädigung lässt den Wert der auf dem Grundstück stehenden Gebäude und ihre aktuelle Nutzung völlig außer Acht. Dieser Gesichtspunkt, der bei Verkauf oder Beleihung des Grundstücks eine entscheidende Rolle spielen wird, und zwar auch dann, wenn ein Schaden – noch – nicht eingetreten ist, , bleibt bei der geschilderten Annahme des Bodenwertniveaus in dem erwähnten Gutachten vollkommen unberücksichtigt!

I. 3 Umkehr der Beweislast bei auftretenden Schäden

Der Hinweis im Entwurf der DB Netz AG, eine  Haftung erfolge „im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen“, bedeutet, dass der geschädigte Grundstückseigentümer – ggf. der DB Netz AG ein Verschulden nachweisen muss (vgl. Anlage §3). Dies ist nicht hinnehmbar. Es ist die DB Netz AG, die in die bestehende Struktur eingreift, der alle technischen Details und Messergebnisse zu Verfügung stehen. Sie ist im befürchteten Fall von Gebäudeschäden die nahe liegende Verursacherin. Daher ist es gerechtfertigt, von ihr zu verlangen, dass sie beim Auftreten von Schäden nachzuweisen hat, dass sie diese nicht zu vertreten hat.

I. 4  Immissionsschutz

Die DB Netz AG hat aus Kostengründen die Dicke der Tunnelwände verringert, was einen direkten Einfluss auf die Lärmbelästigung bei durchfahrenden Zügen und zukünftige Baumaßnahmen hat (vgl. auch BGH Urteil, s. o.). Die Äußerung der Bahn AG, „gebaut wird nicht, was technisch möglich ist, sondern was den Regeln entspricht“, legt die Vermutung nahe, dass im Bereich des Immissionsschutzes technisch mehr machbar wäre als momentan geplant ist.

II. 1 Lärmimmission durch den geplanten Wartungsbahnhof (1.6b)

Die Planungen im Bereich Untertürkheim (PFA 1.6b, noch nicht planfestgestellt) lassen wenig Erfreuliches befürchten. Was sich die Bahn-AG zum Wartungs- und Abstellbahnhof nach dem derzeitigen Stand genehmigen lassen will, verspricht zusätzlich zum derzeit schon gravierenden Lärm, der primär vom Güterverkehr ausgeht, ein regelrechtes Sperrfeuer aus extremen Lärmbelastungen für die Anwohner – und zwar auf Dauer und im 24-Stunden-Betrieb!

Im Einzelnen sollen  folgende Lärmquellen hinzukommen:

  • Durch eine Zug-Außenreinigungsanlage sollen – knapp  100 Meter neben den ersten Wohnhäusern – stromlos geschaltete Zugeinheiten geschoben werden. Zum Schutz des Arbeitspersonals ist ein pulsierendes akustisches Warnsignal mit einer Lautstärke von 107 dB(A) vorgesehen. Das ist vergleichbar mit der aktivierten Diebstahlwarnanlage eines Oberklasse-Fahrzeugs.
  • Im gleichen Bereich soll zudem ein technischer Service-Point mit fahrbarem Montagegehäuse entstehen. Auch hier sind Warnsignale mit einer Lautstärke von 107 dB (A) vorgesehen.
  • In unmittelbarer Nähe zur Außenreinigungsanlage ist zudem eine Tankanlage für Diesellokomotiven geplant. Auch dort ist im Antrag der Bahn eine Lautstärke von 89 dB(A) vorgesehen und zwar bis zu 24 Mal pro Tag.

Weiterhin ist den Plänen ein Presscontainer zu entnehmen, mit dem Abfallmaterialien verdichtet werden können. Knapp 50 Meter entfernt liegt die Dietbachstraße mit großen Wohneinheiten. Für 15-minütige Pressvorgänge sieht die Bahn im Planfeststellungsantrag einen Geräuschpegel von 102 db(A) vor.

Wir erlauben uns, diese Fragen zu veröffentlichen und Ihre sicher wahlentscheidenden Antworten für viele Bewohner und Unternehmer in den Oberen Neckarvororten mit beizufügen ggf. auch auf Nichtantworten zu verweisen.