Die Antwort von Dr. Jürgen Martin (Piratenpartei)

I. Gestattungsverträge und deren Ausgestaltung im PFA 1.6a

1. Welche Schritte werden Sie und Ihre Partei unternehmen, die Deutsche Bahn AG bzw. die Tochter DB Netz AG zu veranlassen, Gestattungsverträge vorzulegen, die dem Anspruch einer angemessenen Entschädigung genügen?

Die Piratenpartei setzt auf das Prinzip der Vertragsfreiheit. Erzwungene Unterschriften bzw. Enteignungen aufgrund „gesellschaftlicher Notwendigkeit“ sind für Stuttgart21 (Rückbau der Verkehrsinfrastruktur) abzulehnen. Wer etwas will, muss auch angemessene Entschädigungen anbieten, die mindestens dem realen und ideellen Verkehrswert entsprechen.

2. Welche Schritte leiten Sie bzw. Ihre Partei außerdem ein, die im sogenannten „Stuttgarter Verfahren“ (Vorschlag der DIA Consulting AG) rein auf subjektiver Wertminderung basierenden Entschädigungsvorschläge in ein Verfahren umzuwandeln, das die Belange der Eigentümer angemessen berücksichtigt?

Siehe Antwort zu 1. Ernsthafte Schritte können wir erst einleiten, wenn wir in Parlamenten sind. Allerdings werden wir auch außerparlamentarisch stets die Stimme erheben, wo Prinzipien der Transparenz und Bürgerrechte mißachtet werden. Auch Petitionen mit und im Sinne der Betroffenen unterstützt unsere Partei gerne.

3. Welche Schritte werden Sie und Ihre Partei unternehmen, die Deutsche Bahn AG bzw. die Tochter DB Netz AG zu veranlassen, bei eventuell entstehenden Schäden die Beweisumkehr (die Bahn weist nach, dass der Schaden nicht durch sie entstanden ist) in die Gestattungsverträge aufzunehmen?

Die Gestattungsverträge müssen grundsätzlich umgestaltet werden. Statt etwas überzustülpen nach dem Motto „friß oder stirb“ muss die Bahn großzügig Entschädigungen für entstandene Folgeschäden entrichten. Hierbei ist die Begutachtung vor der Bautätigkeit und nach Eintreten des Schadens durch unabhängige Gutachter zu gewährleisten, wobei die Kosten stets von den Bauherren=Bahn zu tragen sind.

4. Was wollen Sie und Ihre Partei dafür tun, dass der Immissionsschutz auf dem aktuellsten und technisch möglichen Stand bei S21 durchgeführt wird und nicht auf dem Stand einer Planfeststellung aus dem Jahr 2007, die sich auf Pläne aus dem Jahr 2002 bezieht und angesichts der zu erwartenden Bauzeit bei Fertigstellung völlig veraltet sein wird?

Wir fordern einen Emmissionsschutz auf der Höhe der aktuellen Technik. Wir lehnen zusätzliche gesundheitliche Belastungen aus rein wirtschaftlichen Gründen ab.

Siehe Wahlprogramm der Piraten: „Lärmemissionen sind in ihrer Wirkung unter Berücksichtigung aller Gesundheitskosten gesamtheitlich zu betrachten und wirtschaftliche Chancen den gesundheitlichen Risiken gegenüberzustellen.“

II. Lärmbeeinträchtigung durch den geplanten Wartungsbahnhof PFA1.6b

1. Wie stehen Sie als Wahlkreiskandidat/in zu der drohenden Lärmproblematik am Wartungs- und Abstellbahnhof Untertürkheim?

Die Anerkennung von Lärm als Gesundheitsrisiko ist bei der Piratenpartei fest im Wahlprogramm verankert. Konkret heißt es dazu:

„Die Piratenpartei erkennt Verkehrs- und Industrielärm als Umweltbelastung und als Gesundheitsrisiko an. Das Recht der Bevölkerung auf Schutz vor Verkehrs- und Industrielärm ist Teil des Grundrechtes auf körperliche Unversehrtheit. Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz vor Verkehrs- und Industrielärm unterBerück sichtigung des Standes der Technik.“ Vor kurzem habe ich auch auf dem Fluglärmstammtisch auf den Fildern mit Betroffenen diskutiert. Das Problem ist überall dasselbe, es wird zu spät informiert und wenn sich der Bürger über mangelnde Belastungen beschwert, wird beschwichtigt, weil man weiß, dass der Klageweg in der Regel selten eingeschlagen wird, geschweige denn zum Erfolg führt. Diesem Herrschaftsdenken habe ich wie alle Piraten den Kampf angesagt. Konkret ist ein Bau einer Zugreinigungsanlage und die einer Verpressungmaschine in unmittelbarer Nähe eines Wohngebiets unzumutbar. Die Bahn hat sicher andernorts, z.B. im Zuge der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm, durchaus Möglichkeiten ohne Belästigung von Anwohnern derartige Wartungseinrichtungen hinzustellen.

2. Welche konkreten Schritte werden Sie unternehmen, um der Bevölkerung vor einer Planfeststellung die Problematik praktisch erfahrbar zu machen – beispielsweise mit einer Lärmsimulation?

Die Information der betroffenen Bevölkerung liegt in der Verantwortung des Bauherrn. Unsere Forderung nach Transparenz beinhaltet auch, dass dieser regelmäßig die Bürger des betroffenen Bereiches zu Informationsveranstaltungen einlädt. Außerdem muss eine Plattform eingerichtet werden, auf der Bürger eigene Vorschläge und Vorstellungen einbringen und diskutieren können. Entscheidungen sollen stets mit den Bürgern und nie gegen sie getroffen werden. Messungen müssen auf Antrag der Betroffenen ohne Wenn und Aber durchgeführt werden.

Die Ablehnung einer Lärmsimulation aus durchsichtigen Gründen durch CDU, FDP und SPD Bezirksbeiräte kritisieren wir scharf. Es gibt hier überhaupt keine Ausreden. Der Beschluß muss revidiert werden, notfalls sollte auch OB Kuhn das zur Chefsache machen.

3. Werden Sie sich für ein neutrales Lärmgutachten einsetzen, das nicht von der Bahn beauftragt wurde und auch die konkreten topografischen Gegebenheiten im Neckartal berücksichtigt?

Gutachten sollten nach unserer Meinung stets von unabhängigen Fachleuten eingeholt werden. Eine Situation wie beim sogenannten „Stresstest“ darf nicht noch einmal eintreten. Selbstverständlich müssen topografische Gesichtspunkte eine Rolle spielen, der Charakter der Neckarvororte auch als lebenswerter Wohn- und Erholungsraum (Weinberge) darf nicht der rücksichtslosen Profitgier von beteiligten Baufirmen und der Bahn geopfert werden.

Aus unserem Wahlprogramm (siehe auch Anhang): „Die Piratenpartei setzt sich für die Kartierung von Straßen-, Bahn-, Flug- und Industrielärmemissionen ein – unter Nutzung aller verfügbarer Daten, unabhängig von Mindestbelastungs-Grenzwerten. Die on- und offline Darstellung der Emissionsbelastung muss bundesweit einheitlich erfolgen. Lärmquellen sind entsprechend zu kennzeichnen.“

Anmerkung: Es geht aber hier nicht allein um den Lärmschutz, sondern man müßte auch die Frage stellen, wie es mit dem Brandschutz für die Anwohner aussieht (Beispiel Kanada!).

4. Auch wenn der 5db(A)-Schienenbonus erst ab 2016 zur Anwendung kommen wird (geändertes BImSchG), halten Sie es für sinnvoll, dass bei einem Jahrhundertprojekt, das frühestens 2020 in Betrieb gehen soll, dieser Bonus nicht gelten soll, dass also noch Regelungen aus dem letzten Jahrhundert zur Anwendung kommen sollen?

Der Schienenbonus (gesetzlicher Lärmschutz, nur wenn Bahnlärm mehr als 5 db(A) als der Straßenlärm) wurde eingeführt, um die Akzeptanz des Bahnbetriebes zu erhöhen. Vorraussetzung für den Schienenbonus war die Annahme, dass Schienenlärm als weniger belastend empfunden wird. Das ist wissenschaftlich nicht mehr haltbar. Da bei der Piratenpartei die Gesundheit der Mitbürger im Mittelpunkt steht, lehnen wir den Schienenbonus ab.

5. Was werden Sie konkret für die Bewohner von Untertürkheim unternehmen, um für den noch nicht planfestgestellten Abschnitt 1.6b den optimalen Lärmschutz nach modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen durchzusetzen?

Konkret werde ich unserem Wahlprogramm entsprechend (siehe Anhang) handeln und auf kommunaler, landesweiter und Bundesebene im Falle einer Wahl keine Ruhe geben, bis entsprechende Lärmschutzmaßnahmen nach neuestem Stand der Technik umgesetzt werden. Im Übrigen gilt: Die Piratenpartei unterstützt die Einführung eines Lärmlabels. Mit Hilfe eines solchen Zertifizierungsinstrumentes, das interdisziplinär-wissenschaftlich erarbeitet werden muss, sollen Lärmquellen aller Art einfach und bürgerfreundlich gekennzeichnet werden können.

6. Werden Sie sich in einem Projekt, bei dem aller Erfahrung nach bei weiter steigenden Kosten nach Einsparpotenzial gesucht werden wird, gesetzliche Mindestanforderungen akzeptieren und sich auf die Eigenwirtschaftlichkeit der Bahn berufen können/wollen?

Meine persönliche Meinung dazu: Es darf nicht sein, dass im Zusammenhang mit einem Milliardenverkehrsprojekt ausgerechnet am schwächsten Glied der Kette, dem Anwohner gespart werden soll. Sowohl bei Entschädigungen als auch dem Immisionsschutz muss letztendlich der unmittelbar betroffene Bürger vor Ort Vorrang vor reinem Wirtschaftlichkeitsdenken haben. Nur so kann überhaupt eine Akzeptanz von Projekten entstehen. Die Stuttgarter Bürger, die jahrzehntelang mit diesem unheiligen Bauprojekt leben und Entbehrungen vielfältigster Art in Kauf nehmen müssen, haben das Recht, in besonderem Maße vor den negativen Auswirkungen dieser Baumaßnahme geschützt zu werden. Hierfür gilt es den bestmöglichen Schutz zu realisieren und sich nicht an Mindestanforderungen zu orientieren.

Anhang: Auszug aus dem Wahlprogramm der Piratenpartei (www.piratenpartei.de):

Verkehrs- und Industrielärmemissionen

Die Piratenpartei erkennt Verkehrs- und Industrielärm als Umweltbelastung und als Gesundheitsrisiko an. Das Recht der Bevölkerung auf Schutz vor Verkehrs- und Industrielärm ist Teil des Grundrechtes auf körperliche Unversehrtheit. Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz vor Verkehrs- und Industrielärm unter Berücksichtigung des Standes der Technik. Aktiver Schutz (Vermeidung von Lärm an der Quelle) ist dem passivem Schutz (am Wirkungsort) vorzuziehen. Besonders schützenswert ist die Nacht. Lärmemissionen sind in ihrer Wirkung unter Berücksichtigung aller Gesundheitskosten gesamtheitlich zu betrachten und wirtschaftliche Chancen den gesundheitlichen Risiken gegenüberzustellen.

Industrie- und Verkehrslärm durch Kartierung auf OpenData-Basis erfassen Die Piratenpartei setzt sich für die Kartierung von Straßen-, Bahn-, Flug- und Industrielärmemissionen ein – unter Nutzung aller verfügbarer Daten, unabhängig von Mindestbelastungs-Grenzwerten. Die on- und offline Darstellung der Emissionsbelastung muss bundesweit einheitlich erfolgen. Lärmquellen sind entsprechend zu kennzeichnen. Alle vorhandenen Daten sollen nach dem OpenData-Prinzip transparent und maschinenlesbar im Internet veröffentlicht werden, um eine dynamische, idealerweise webbasierte Darstellung der Einzel- und Gesamtbelastungen zu ermöglichen. Betroffene müssen die Möglichkeit haben, ihre individuellen Belastungen schnell und unkompliziert zu erfahren. Lärmemissionsberechnungen sollen auf Antrag der Betroffenen durch Messungen validiert werden.

Die Piratenpartei unterstützt die Einführung eines Lärmlabels. Mit Hilfe eines solchen Zertifizierungsinstrumentes, das interdisziplinär-wissenschaftlich erarbeitet werden muss, sollen Lärmquellen aller Art einfach und bürgerfreundlich gekennzeichnet werden können.