Der Bayerische Rundfunk wiederholte diese Woche seine Reportage „Unter Tage – Das Herz der Großstadt“ (hier), in der ab Minute 16 auch über die Tunnelvortriebsarbeiten für Stuttgart 21 berichtet wird. Wer die geplanten und bisherigen Bauarbeiten mitverfolgt hat, wird sich bei diesem Werbefilm des bayerischen Senders verblüfft die Augen reiben:
- Sprengungen im Stadtgebiet würden aus Gründen der Gebäudesicherheit im Stadtgebiet nicht stattfinden. Nicht im TV-Beitrag erwähnt wurde, dass bereits zum ersten Sendetermin Sprengungen in Stuttgart-Wangen durchgeführt wurden und für den Tunnelbau unterhalb des Kernerviertels geplant waren. Auf der Erörterung zum Grundwassermanagement wurden auch erforderliche Sprengungen für den Killesberg angedeutet.
- Hebungsinjektionen zur zusätzlichen Sicherung von Bauwerken seien technisch kein Problem und würden alle durchgeführt. Nicht in der Reportage erwähnt wurde, dass die ursprünglich geplanten Hebungsinjektionen bei der Unterfahrung des alten IHK-Gebäudes wegen Abriss des Gebäudes entfielen, die Hebungsinjektionen in der Presselstraße trotz umfassender Vorerkundungen plötzlich nicht mehr erforderlich sind und die geplanten Hebungsinjektionen im Kernerviertel in der bahninternen Risikoliste mit zu 49% eintretenden Bauschäden bewertet wurden.
- Extrem weiches Gestein, wie der dunkelrote Mergel oder der ausgelaugte Gipskeuper, im Stuttgarter Untergrund vorhanden, aber dennoch kein Schadensrisiko für die darüber liegenden Gebäude gegeben sei. Unerwähnt blieb im Beitrag, dass bereits beim Bau der schmalen Rettungszufahrt unter der Landeswasserversorgung im Kernerviertel Setzungen bis 19 Millimeter eintraten, die Risse im Gebäude verursachten.
- Die Risiken des Tunnelbaus auch im dem stark quellenden Anhydrit-Gestein allesamt beherrschbar seien. In Stuttgart sind rund 15 Tunnelkilometer in quellfähigen Anydrit geplant. Nicht erwähnt wurde, dass Kritiker daraufhin weisen, dass nur in wenigen Ausnahmefällen keinerlei Quellungen beim Tunnelbau in diesem Gestein eingetreten sind. Die Quellprozesse können jedoch auch noch Jahrzehnte später einsetzen und zu Problemen führen.Die Bahn hatte in den Planfeststellungs-verfahren und in der Schlichtung jedoch die Anhydrit-Risiken aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrungen im Freudensteiner Versuchsstollen (StZ-Bericht) als absolut abgesichert und beherrschbar abgewiesen. Materialien aus der 6.Schlichtung zu Stuttgart 21 vom 20.11.2010 finden sie hier: Videos / Wortprotokoll / Video-Vortrag Dr. Sierig an der 6. Schlichtung / Folien zu den Georisiken beim Tunnelbau von Dr. Jakob Sierig / Folien zu den Risiken und Lösungen beim Tunnelbau von S 21 von Prof. Dr. Wittke / Bahn-Video: Worauf wird beim Tunnelbau in den Anhydritschichten geachtet? / Vortrag Dr. Sierig in der Rathausveranstaltung „Tunnelgrabungen unter Stuttgart: Ist auch ihr Eigentum betroffen?“ / Rede von Dr. Sierig auf der 65. Montagsdemo / Video Vortrag Dr. Hermann Behmel. Prof. Dr. Wittke erwähnt in der BR-Sendung, dass quellendes Anydrit selbst in Tiefen von mehr als 100 Meter Hebungen an der Erdoberfläche verursachen könne. Dennoch sind in den im Anhydrit geplanten Tunnelstrecken beispielsweise unterhalb der Gänsheide keine Beweissicherungszonen vorgesehen. Entgegen den offiziellen Aussagen rechnet jedoch die Bahn in ihrer internen Risikoliste mit einer 49%igen Eintrittswahrscheinlichkeit, dass durch die Bauarbeiten in diesem schwierigen Gestein Probleme eintreten werden (hier). Auch wurden in der Erörterung zum Grundwassermanagement von der Bahn geologische Querschnitte von der Tunnelstrecke unterhalb des Killesberges Richtung Feuerbach präsentiert, die deutlich mehr Anhydritvorkommen enthielten, obwohl seit der Planfeststellung keine weiteren Erkundungsbohrungen stattfanden. Der von den Netzwerken 21 beauftragte Geologe, Dr.Hermann Behmel, wies in seiner Stellungnahme vom 23.06.2013 daraufhin, dass beim Tunnelvortrieb unterhalb des Killesberges neue Wasserwegsamkeiten im Gestein entstehen können. Der Wasserzutritt aus dem Gipskarst in den Anhydrit ließe sich seines Erachtens kaum vermeiden. Dass der Tunnelbau durch das quellfähige Anhydritgestein besonderen Bedingungen unterliegt, darauf hatte auch das Landesamt für Rohstoffe, Bergbau und Geologie in seiner 2.Stellungnahme zur Planänderung Grundwassermanagement hingewiesen. Da der Tunnelvortrieb ohne jeden Kontakt mit Wasser durchgeführt werden muss, müssen nach Einschätzung des Landesamtes Probleme beim Arbeitsschutz (Staubentwicklung) und bei der Löschung von Bränden während des Baus geklärt werden. Bis heute ist dieser kritische Punkt von der Bahn in der Öffentlichkeit nicht beantwortet worden.
- Laut dem BR-Bericht erhalten die betroffenen Eigentümer während der Vortriebsarbeiten automatisch die Setzungsmessungen. Unerwähnt blieb, dass diese Unterlagen nach dem Muster-Gestattungsvertrag der Bahn nur denjenigen Eigentümern zusteht, deren Gebäude sich innerhalb der Beweisssicherungsgrenzen befinden oder deren Gebäude auf freiwilliger Basis in das Beweisssicherungsprogramm einbezogen wurde. Die biss-Karte zeigt, dass nach diesem Vertrag zahlreiche unterfahrene Eigentümer, beispielsweise im oberen Kernerviertel oder entlang der Gänsheide, keinen Anspruch auf Herausgabe dieser Messdaten hätten. Die Messdaten beziehen sich auch nur auf die eigentliche Vortriebsphase. Doch auch nach diesen Arbeiten sind noch Erdbewegungen (weitere Setzungen oder ggf. Hebungen durch Anhydrit) möglich. Die Netzwerke 21 halten u.a. daher die Haftungsregelungen in dem von der Bahn angebotenen Gestattungsvertrag, der auch von Haus + Grund akzeptiert wird, für nicht ausreichend.