StZ: Offener Streit über den Kostendeckel / Bauverzögerungen bei Stuttgart 21 absehbar

Die Stuttgarter Zeitung berichtet heute (hier), dass in den Koalitionsverhandlungen zwischen den Grünen und der CDU ein offener Streit über die Übernahme von Mehrkosten über dem „Kostendeckel“ beim Bahnprojekt Stuttgart 21 entbrannt ist. Das Aktionsbündnis reagierte darauf mit offenen Briefen an beide Fraktionen und einer Pressemitteilung.

Manfred Leger hat es bereits im StZ-Interview angedeutet. Derzeit überprüft die Projektgesellschaft die „Termin- und Kostensituation“. Angesichts des schleppenden Baufortschritts können wir uns nichts anderes vorstellen, als dass die Projektgesellschaft ihren Zeitplan von Stuttgart 21 und damit auch die Gesamtkosten revidieren muss. Welche Auswirkungen eine Verlängerung der Bauzeit auf die Kostensituation hätte, ließ Manfred Leger in dem StZ-Interview offen. Die Einhaltung des bisherigen, vom Aufsichtsrat Anfang 2013 freigegebenen Kostenrahmens für Stuttgart 21 von 6,5 Milliarden wird nicht explizit erwähnt. Dafür ist von einer „Fortführung der Gespräche zur Sprechklausel“ die Rede, von der der Projektchef eine „gute Lösung“ erwartet. Sprich, die DB Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm GmbH (Bahn) geht von einer Mitübernahme der Mehrkosten des Bahn-Projektes durch die Projektpartner von Land und Stadt aus. Obwohl sich diese nach der Volksabstimmung explizit gegen eine Übernahme von Mehrkosten oberhalb des Kostendeckels von 4,5 Milliarden ausgesprochen hatten.

Denn aufgrund der risikobehafteten Planung des Projektes durch die Deutsche Bahn als Bauherrin könnten sich die Mehrkosten weiter aufsummieren und dem Steuerzahler teuer zu stehen kommen. Zwei Milliarden über dem „Kostendeckel“, d.h. 6,5 Milliarden, wurden bereits vom Aufsichtsrat freigegeben, stehen aber nicht finanziert im Raum. Darunter eine Milliarde, die sich die Bahn nach Einschätzung der Wirtschaftsprüfer „schön gerechnet“ sowie schlicht als Planungskosten nicht berücksichtigt hatte. Die StZ und der Spiegel berichteten darüber in den Beiträgen „Die Kostenexplosion und ihre Folgen“ und  „McKinsey-Gutachten: Kosten für Stuttgart 21 steigen auf 6,8 Milliarden Euro„.  Weitere Milliarden könnten folgen. Die Zeit schrieb 2013 in ihrem Beitrag „Hohes Risiko“ über die kritische Einschätzung der beauftragten Wirtschaftsprüfer:

„Die Wirtschaftsprüfer rechnen damit, dass der Bahnhof noch deutlich teurer werden könnte als heute angenommen. „Die Voraussetzungen für ein möglichst geringes Nachtragsvolumen sind in der Projektorganisation des Großprojekts noch nicht etabliert“, schreiben sie. Das Technokratendeutsch heißt so viel wie: Die Bahn hat mögliche Nachforderungen von Auftragnehmern, wie sie bei Großprojekten üblich sind, in ihrer Kalkulation nicht ausreichend berücksichtigt. Ohne umfassende Maßnahmen rechnen die Prüfer mit einem im Vergleich zum „Gesamtwertumfang erheblichen Nachtragsvolumen“, also mit einer weiteren Kostenexplosion“.

Mit dieser Einschätzung stehen sie nicht allein. Der renommierte Projektsteuer Klaus Grewe, u.a. für das Londoner Crossrailprojekt tätig, verließ 2014 nach kurzer Zeit den Expertenbeirat der Deutschen Bahn zu Stuttgart 21 und äußerte sich in einem bemerkenswerten StZ-Interview zu „Wunschzahlen“. Das Gutachterbüro Vieregg-Rössler rechnet im Dezember 2015 u.a. wegen dem technisch anspruchvollen Bau des „Tiefbahnhofs“ mit Kosten bis 10 Milliarden Euro für Stuttgart 21. Peter Sturm, Vorstand der DB Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm GmbH und für das Risiko- und Vertragsmanagement zuständig, wies die Zahlen als nicht haltbare Spekulation“ zurück. Für den Aufsichtrat der DB AG sollen die Wirtschaftsprüfer erneut die aktuelle Kostenplanung der Projektgesellschaft testieren.

Doch nicht die mittlerweile zu Zeitungsruhm gekommenen Zauneidechsen entlang der Neubaustrecke, sondern der aus vielerlei Gründen aus dem Ruder laufende Zeitplan bei Stuttgart 21 macht der Bahn zu schaffen:

  • Fehlende Planfestellungen: Weiterhin fehlen die Baugenehmigungen für die Planfeststellungsabschnitte 1.3. (Filderbereich) und 1.6b. (Abstellbahnhof) Untertürkheim. Um den Zeitplan noch zu halten, wurde der sich seit zwanzig Jahren in Planung befindliche Filderabschnitt in zwei Teile aufgespalten. Doch auch für den Teilabschnitt rund um den Flughafenbahnhof steht weiterhin die Genehmigung des Eisenbahn-Bundesamtes aus. Eigentlich hätte die Genehmigung auf Grundlage eines von der Bahn geplanten Baufortschritts noch in 2015 erfolgen müssen. Jetzt rechnet Manfred Leger laut dem StZ-Interview mit Juli 2016. Für den Abschnitt 1.6b. Abstellbahnhof sieht es noch schwieriger aus. Die Bahn musste zum wiederholten Mal ihre Pläne für den Abstellbahnhof in Untertürkheim wegen den prognostizierten Lärmbelastungen für die Anwohner zurückziehen. Laut Projektchef Manfred Leger sollen im Herbst 2016 neue überarbeitete Pläne beim Eisenbahn-Bundesamt zur Erlangung einer Baugenehmigung eingereicht werden. Eine öffentliche Erörterung erhoffen sie sich vor den Sommerferien 2017, eine Genehmigung ihrer Pläne dann im 2.Quartal 2018.  Ob dieser Genehmigungsfahrplan und die halbierten Bauzeiten für den Abschnitt des Abstellbahnhofs zu halten sind, wird sich noch zeigen.
  • Aktueller Stand beim Tunnelbau: Alle bislang auf den Anwohnerveranstaltungen von der Bahn zum Tunnelbau für Stuttgart 21 präsentierten Zeitpläne konnten nicht eingehalten werden, wie beispielsweise in Wangen. Nach mehr als zwei Jahren Bauarbeiten sind aktuell rund 13,6 der insgesamt 59 Tunnelkilometer und damit 23% für Stuttgart 21 vorgetrieben; 2/3 davon ohne Innenschale. Wir hatten letzte Woche einen Überblick über den Stand der Bauarbeiten gegeben. Nach dem aktuell noch geltenden Zeitplan will die Bahn weitere 45 Kilometer bis spätestens Ende 2018/Mitte 2019 durch den Stuttgarter Untergrund auffahren und innenverschalen. Ein nach unserer Einschätzung weiterhin unrealistisches Unterfangen, zumal jetzt die schwierigen Tunnelabschnitte in quellfähigen, anhydritführenden Schichten anstehen.
  • Brand- und Entrauchungskonzept: Weitere zeitliche Verzögerungen drohen wegen des geänderten und noch nicht genehmigte Entrauchungskonzepts für den „Tiefbahnhofs“. Die Fluchttreppenhäuser sollen an die Bahnsteigenden verlegt und der Rauch soll mit Hochleistungslüftern in den Schwall- und Entrauchungsbauwerken über die Lichtaugen des Tiefbahnhofs geblasen werden. Die Ingenieure 22 kritisieren weiterhin das Brandschutz- und Entrauchungskonzept bei Stuttgart 21. Frank Knödler, Chef der Stuttgarter Branddirektion, sieht zwar den Brandschutz bei Stuttgart 21 auf einen guten Weg, bezeichnete aber bisherige Brandschutzkonzepte bei Stuttgart 21  Mitte Februar 2016 im Umwelt- und Technikausschuss der Stadt als „Ingenieursquatsch.
  • Bauverzögerungen beim Südkopf / SSB: Die Verzögerungen beim Baufeld 22, auf dem die SSB eigentlich bereits im Sommer 2018 ihre neue Haltestelle „Staatsgalerie“ in Betrieb nehmen will, haben Auswirkungen auf den Bauzeitenplan des Südkopfes. Der Bauablauf am Südkopf ist äußerst komplex. Die Fertigstellung des Nesenbachdükers und einzelner Baufelder des „Tiefbahnhofs“ sind davon abhängig. Nach der Anfang Januar anlässlich der „Tage der offenen Baustelle“ aufgestellten Schautafel zum Bauzeitenplan am Südkopf  wäre die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 erst zum Fahrplanwechsel 2022/23 realistisch. Die Bahn dementierte den ausgewiesenen Bauverzug als „Worst-case“-Szenario eines Workshops. Dabei sind über dieses „Worst-case“-Szenario weitere Bauverzögerungen wegen der erst für Sommer bzw. Herbst erwarteten Freigabe der Bodenplatte erkennbar. Nach dem im August 2014 vorgestellten Zeitplan hätte das Baufeld 22 bereits im April 2016 fertig gestellt werden sollen, nach dem Worst-case-Szenario im Juli 2016. Auch daraus wird nichts. Der Startbeginn für den eigentlichen Bauabschnitt der neuen SSB-Haltestelle wird sich verzögern.

Update: Der SWR (hier) und Kontext (hier) berichtet über den Streit zum Kostendeckel. Nur noch zu Erinnerung: vor mehr als 4 Jahren im Vorfeld der Volksabstimmung erklärte der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Peter Hauk in einem Interview ab Min. 0:42: „Der Kostenrahmen für dieses Projekt wird auch eingehalten. Das Land Baden-Württemberg zahlt maximal – und das ist gedeckelt – maximal 931 Millionen Euro.“

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