Wolfgang Kuebart von den Ingenieure22 kommentiert in einem lesenswerten Rundbrief, der als Parkschützer-Newsletter veröffentlicht wurde, die wiederholten Ankündigungen der Bahn und die Berichterstattungen über die ersten Betonarbeiten am „Tiefbahnhof“. Mit dem Einverständnis des Autors stellen wir seinen Rundbrief auch auf unserer Seite ein:
Seit Monaten findet eine beispiellose Kampagne um die Bauarbeiten für den Tiefbahnhof statt, die der Bevölkerung zeigen soll, dass die Arbeiten nun aber wirklich vorwärts gehen und dass man jetzt ganz bestimmt nicht mehr umkehren könne. (Herr Brunnhuber in der SWR-Landesschau 4.1.16 zu den Tagen der offenen Baustelle.)
Am 25. August 2015 beging man 5 Jahre Baustelle, doch schon wieder lag der vor einem Jahr neu erstellte Zeitplan für die Arbeiten am Baufeld 16 mehr als ein halbes Jahr im Verzug. Gegenüber früheren Planungen war man sogar 5 Jahre im Rückstand, laut den ersten Zeitplänen aus dem Jahr 2010 hätte der Nesenbachdüker im Baufeld 19/20 schon am 11. Juni 2013 nach fast drei Jahren Bauzeit an den Nutzer übergeben werden sollen, doch man hatte Mitte 2015 nur unwesentliche Vorarbeiten begonnen.
Laut Zeitplan vom August 2014 hätte im August 2015 die Bodenplatte im Baufeld 16 komplett fertig sein sollen, doch noch immer fehlte die Statik und der Nachweis der Erdbebensicherheit. Die Bahn begründete das mit der Änderung von Vorschriften, doch die Vorschriften für Statik und Erdbebensicherheit sind seit mindestens 2005 unverändert. Dagegen haben die Erfahrungen beim Bohren der Pfähle sicher neue Erkenntnisse bezüglich der Bodenbeschaffenheit gebracht, man hat z.B. die Durchmesser der Bohrpfähle erhöht. Und dann werden seit August 2015 neue Standorte für die Fluchttreppenhäuser diskutiert. Das sind Gründe genug, dass die Statik nachgeführt werden muss, aber nicht, weil sich Vorschriften geändert hätten, sondern weil man bei dem Projekt Stuttgart21 auf Sicht baut. Seit Ende Oktober 2015 versuchen die Ingenieure22, Einsicht in die Statikunterlagen zu bekommen. Das Eisenbahnbundesamt erklärt, es habe keine Unterlagen, man werde informieren, wenn es soweit wäre. Derweil lässt die Deutsche Bahn verkünden (Stuttgarter Zeitung 5.11.2016 „Weiterer Kreis soll S-21-Terminplan sichern“ von C. Milankovic): „Die Prüfer des Eisenbahn-Bundesamtes hätten die Statiknachweise für die Bodenplatte mittlerweile freigegeben.“
Doch von Beton für die Bodenplatte im Baufeld 16 weiterhin keine Spur.
Stattdessen hört man inoffiziell, dass die Statik immer noch in der Prüfung wäre. Am 30.12.2015 dann in der Stuttgarter Zeitung die Ankündigung auf der ersten Seite: „S 21: ab Januar wird am Bahnhof betoniert“. Die Vorgaben für die Statiknachweise hätten sich verändert und wieder mussten die Richtlinien für die Veränderung herhalten. Doch nun, ab dem 11. Januar beginne die Bahn mit dem Betonieren des ersten Abschnitts der Bodenplatte.
Verwundert warf man an den Tagen der offenen Baustelle einen Blick auf das Baufeld 16. Wo sollte da eine Bodenplatte entstehen? Der Cannstatter Düker war noch nicht fertig und wo der Medienkanal hinkam, konnte man allenfalls erahnen. Beide Bauwerke müssen aber fertig sein, bevor mit dem Betonieren der Bodenplatte begonnen werden kann.
Am 11. Januar kam „völlig unerwartet“ der Winter und man konnte erst mal keinen Beton ausbringen. Wohin auch? Stattdessen arbeiteten fieberhaft Bagger und LKWs am Ausschachten der Grube für den Medienkanal.
Endlich, endlich am 27. Januar konnte die Stuttgarter Zeitung verkünden:
„Im Bahnhofstrog fließt der erste Beton“.
Der erste? Und was ist mit den hunderten von Bohrpfählen? Und den Betonierarbeiten am Cannstatter Düker? Der Mustersäule? Hat man das alles ohne Beton gemacht?
Nein, die Seite der Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm (PSU) gibt Auskunft. Unter dem Titel „Betonagearbeiten für den Stuttgarter Hauptbahnhof begonnen“ liest man doch tatsächlich: „Erster Teil der Bodenplatte aus Beton gegossen“. Dazu das Bild eines Betonrüssels, der Beton in einem Kanal verteilt. Wenn man das Bild in der Druckausgabe Stuttgarter Zeitung genauer betrachtet, sieht man, dass die Bagger mit dem Ausschachten der Medienkanalgrube noch nicht einmal fertig sind. Und in der Presseerklärung der PSU liest man, dass man auf eine Fläche von 10 m x 20 m den Beton ausbringt, doch nicht einmal für die Platte sondern nur für die Sauberkeitsschicht im Medienkanal. Hauptsache Beton. Mit der Bodenplatte des Troges hat das nichts zu tun, man braucht dazu noch nicht einmal eine genehmigte Statik. Daher empfinden die Ingenieure22 die Aussage „Die DB Projekt Stuttgart–Ulm GmbH hat am Dienstag, 26. Januar, mit den ersten Betonagearbeiten für die Bodenplatte des neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs begonnen.“ als eine dreiste Unwahrheit („Lüge“ sagen die Ingenieure nicht).
Man fragt sich natürlich, warum diese Desinformationskampagne jetzt läuft. Einmal ist demnächst die Aufsichtsratssitzung der Deutschen Bahn, da will man Erfolge aufweisen, so tun, als wären Zeitpläne erfüllt worden. Und einen weiteren Grund findet man in einem Artikel der Stuttgarter Zeitung vom 12.8.2015. C. Milankovic schreibt sehr richtig: „In sieben Monaten wird in Baden-Württemberg wieder gewählt. Wenn die Bahn nicht wieder unversehens zum Wahlkampfthema werden will, muss sie zeigen, dass sie Stuttgart 21 beherrscht.“
Aha! Beherrschen sieht aber anders aus.
Ulli Fetzer, der Fotograf der Ingenieure22, hat am 1. Februar, knapp eine Woche nach dem vollmundig angekündigten „Auftakt“ ein Bild vom Medienkanal geschossen, wie ihn die Normalbürger zu sehen bekommen. Die Betonagearbeiten fanden in einer Ecke statt, die von keiner Seite von außen einsehbar ist. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Hans Heydemann sagt dazu: „Dass es damit so schnell nicht weitergeht, zeigt die mitten über diese Baugrube geführte Baustraße – eine völlig unverständliche Baustellenleitplanung: mal Hü (schnell Beton), mal Hott (wir sind doch noch nicht soweit!). Bin gespannt, wann und wie schnell die jetzt die Kanalwände betonieren werden.“
Foto: Gabi Rohde, am 1. Februar 2016
Foto: Ulli Fetzer, am 2. Februar 2016
Foto: Wolfgang Rüter, am 2. Februar 2016
Foto: Wolfgang Rüter, am 2. Februar 2016
Foto: Wolfgang Rüter, am 2. Februar 2016
Wolfgang Kuebart, Ingenieure22
www.ingenieure22.de
Wolfgang Rüter war gestern nochmal auf der Baustelle und hat auf der Parkschützerseite aktuelle Fotos vom „Medienkanal“ eingestellt, hier sein Statement: Und das soll das Betonieren der Bodenplatte in Baugrube 16 gewesen sein?