Die Stuttgarter Zeitung berichtete letzten Samstag im Beitrag „Im Untergrund läuft´s, beim Lärmschutz nicht“ über die Vortriebsarbeiten am Fildertunnel, das erklärte Ziel des Bahnvorstandes Ende diesen Jahres die 10 Kilometer-Marke zu packen und mit einem monatlichen Vortrieb von 1.000 Meter die geplante Inbetriebnahme von Stuttgart 21 zum Ende des Jahres 2021 einzuhalten.
Dies ist aus unserer Sicht ein Anlass eine Zwischenbilanz zum Tunnelbau bei Stuttgart 21 zu ziehen. Seit Juli 2014 veröffentlicht das Kommunikationsbüro in regelmäßigen Abständen die Vortriebsstände bei den Tunnelbaustellen, die wir seither in einer Übersicht (hier) festhalten. Aktuell sind zum 20. Juli 2015 rund 11,4 % bzw. 6,657 der geplanten 59 Tunnelkilometer bei Stuttgart 21 vorangetrieben. Seit Ende Juni 2014 hat die Bahn rund 6,084 Kilometer Tunnel und damit etwas mehr als 10% der geplanten Gesamtstrecke, in Stuttgart gegraben. Allerdings zeigt die Übersicht, dass der Baufortschritt bei den einzelnen Tunneln stark variiert:
Der Bahnvorstand Volker Kefer hat Anfang Mai 2015 auf der Anhörung im Deutschen Bundestag erklärt, dass die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 (ohne den Filderbereich) zum Ende des Jahres 2021 weiterhin „klappt, wenn wir pro Monat in Stuttgart einen Kilometer Tunnel bauen.“ Die bisherigen Vortriebsleistungen lägen noch über dieser Zielvorgabe. Wir haben bereits darüber berichtet, dass dieser Zeitplan wegen der nach den eigentlichen Vortriebsarbeiten erforderlichen Verschalungs- und Innenausrüstungsarbeiten entlang der geplanten 44 Kilometer bergmännischer Tunnelstrecken nicht realistisch ist.
Dennoch lohnt sich ein Blick auf die monatlichen Vortriebsstände, die wir anhand der wöchentlichen Meldungen des Kommunikationsbüros (Wochenstände am Monatsanfang und -ende wurden anteilig umgelegt) zusammen gestellt haben:Danach wurde trotz der gestiegenen Anzahl von Tunnelbaustellen und der damit verbundenen Erhöhung der Vortriebsleistung in keinem Monat die 1.000- Meter-Marke geknackt; im Mai und Juni 2015 war die Bahn allerdings nahe dran. Angesichts der aktuell vorhandenen 13 bergmännischen Tunnel-Baustellen wäre bei dem von der Bahn anvisierten täglichen Baufortschritt von 2-3 Metern theoretisch ein durchaus höherer monatlicher Vortrieb denkbar. Wie die Bahn allerdings die Marke von 1.000 Metern während des zeitweisen Ausfalls der Tunnelbohrmaschine (Montage beim Rückzug bzw. Wenden der Maschine sowie nach Fertigstellung der maschinell aufgefahrenden Abschnitte des Fildertunnels) nur allein mit dem bergmännischen Vortrieb erzielen will, bleibt jedenfalls auf Basis der bisherigen Baufortschritte fraglich. Durchaus realistisch ist allerdings die Errreichung der 10 Kilometer am Ende des Jahres.
Der geschäftsführende Vorstand der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH, Manfred Leger, hat vor wenigen Monaten im Lenkungskreis sowie auch auf den letzten Anwohnerveranstaltungen im Stuttgarter Osten und für das Kernerviertel die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 zum Ende des Jahres 2021 -zumindest ohne die Flughafenanbindung- mehrfach betont. Angesichts des bisherigen Baufortschritts kann man im Sinne von Klaus Grewe jedoch nur von einer „politischen Wunschzahl“ sprechen. Hier wird der Öffentlichkeit und auch den von vom jahrelangen Baubetrieb Betroffenen Sand in die Augen über die zu erwartenden zeitlichen und damit auch finanziellen Belastungen durch das Megaprojekt Stuttgart 21 gestreut.
Bereits im April 2013 informierte der Bahn-Vorstand Volker Kefer die Projektpartner über mögliche Verzögerungen der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 durch die fehlende Genehmigung der Flughafenanbindung bzw. des Filderabschnittes. Die Zeit (hier) berichtete darüber. Es bleibt nur noch eine Frage der Zeit, bis weitere Bauverzögerungen auch in den planfestgestellten Abschnitten bei Stuttgart 21 von der Bahn öffentlich eingeräumt werden müssen.
Die nachfolgende Bestandsaufnahme bei den einzelnen Tunnelbaustellen zeigt, dass die Bahn bei den geplanten 59 Kilometer Tunneln in Stuttgart mit einer Vielzahl von Problemen kämpft. Sowohl die schwierige Stuttgarter Geologie, als auch der Immissions- und Artenschutz, kurzfristig fehlende Unterfahrungsrechte sowie erforderliche Planungsänderungen führen u.a. zu Bauverzögerungen. Wir möchten daher einen ersten Überblick über die aktuell laufenden Tunnelbaustellen bei Stuttgart 21 geben und dabei nicht unerwähnt lassen, dass der Bau von rund 15 geplanten Kilometer Tunnel bis heute noch gar nicht begonnen wurde:
Rettungszufahrt Süd (Kernerviertel):
- Für den Bau der 231,6 Meter lange und schmalen Rettungszufahrt unterhalb des Kernerviertels benötigte die Bahn den Zeitaum vom November 2013 bis ca. März 2015. Seit Ende Juni 2014 wurden nur 66 Meter vorgetrieben. Wegen des weichen Gesteins (augelaugter Gipskeuper) im unteren Kernerviertel wurde die Rettungszufahrt bergmännisch im Ulmenstollenverfahren mit Teilquerschnitten hergestellt und nach dem Vortrieb mit einer Innenverschalung versehen. Für die Herstellung der schmalen Zufahrt war ursprünglich laut dem auf der Anwohnerveranstaltung präsentierten Zeitplan ein deutlich kürzerer Zeitraum von einem dreiviertel Jahr geplant.
- Im Dezember 2013 mussten die Vortriebsarbeiten wegen der fehlenden Unterfahrungsrechte für die des Verwaltungsgebäudes der Landeswasserversorgung vorübergehend gestoppt werden. Die knappe Unterfahrung des Gebäudes verursachte Setzungen von rund 17,5 mm, die sich allerdings nach Aussage der Bahn im Rahmen des Geplanten halten. Bei der Unterfahrung hatte sich ein Riss im Gebäude gebildet.
- Aktuell wird unterhalb der Jugendherberge an der Werastraße das aufwendige Verzweigungsbauwerk gebaut (Fotos Kommunikationsbüro). Wegen des dort angetroffenen harten Gesteins waren Sprengarbeiten erforderlich, die allerdings kaum Emissionen an der Oberfläche verursacht haben. Wegen der kritischen Geologie (quellfähiger Anydrit) sollen die Sprengungen mit vielen kleinen hintereinander geschalteten Zündern erfolgen. Damit soll laut Bahn die Schaffung von neuen Wasserwegsamkeiten verhindert werden.
- Nach dem Zeitplan soll das Verzweigungsbauwerk bis Ende Oktober 2015 fertig gestellt sein. Anschließend soll der Tunnelvortrieb in jeweils zwei Röhren Richtung Wangen und des Anfahrbereichs Süd unterhalb dem Kernerviertel starten.
- Das seit Juli 2014 errichtete Förderband ist bislang nicht im Einsatz, da für die Zerkleinerung der Steinbrocken noch der Einsatz eines Steinbrechers erforderlich ist. Wegen Überschreitung der zulässigen Lärmpegel plant die Bahn jetzt eine Überdeckelung der Baueinrichtungsfläche neben dem Wagenburgtunnel.
Fildertunnel (Fasanenhof, Möhringen, Degerloch, Gänsheide, Kernerviertel):
- Von dem 18,4 Kilometer langen Fildertunnel werden rund 15,33 Kilometer, d.h. der obere und der untere Abschnitt des Fildertunnels, mit einer Tunnelvortriebsmaschine aufgefahren und in einem Arbeitsgang auch innenverschalt. Der mittlere Fildertunnel soll wegen der kritischen geologischen Verhältnisse (Übergangszone zur Anhydritschicht) unterhalb der Gemarkung Degerlochs bergmännisch hergestellt werden.
- Die Tunneltaufe fand im Juli 2014 statt, Baustart war für August/September 2014 angekündigt. Die Tunnelbohrmaschine setzte sich allerdings erst im Dezember 2014 vom Tunnelportal am Fasanenhof in Bewegung. Im Januar 2015 legte SUSE eine rund dreiwöchige Pause ein. Die Bahn gab als Ursache notwendige Justierarbeiten an. Nach einem Bericht der StN verursachten fehlende Unterfahrungsrechte den vorübergehenden Baustopp.
- Zum 20.Juli 2015 sind von der Oströhre des oberen Fildertunnels 3.003 Meter hergestellt. Nach dem StZ-Bericht vom 18.Juli 2015 hatten die Vortriebsarbeiten das evangelische Waldheim im Weidachtal erreicht. Zwischen Februar und Mai 2015 wurden durchschnittlich 530 Meter im Monat aufgefahren. Für die maschinelle Herstellung des oberen, 4,035 Kilometer langen Fildertunnels fehlen noch rund 1.030 Meter. Die Vortriebsgeschwindigkeit hat sich in den letzten Wochen reduziert. Die Bahn erklärt dies laut StZ mit Wartungsarbeiten. Ob die ursprünglich anvisierte Fertigstellung August (StN) bzw. September 2015 gehalten werden kann, wird sich noch zeigen.
- Anschließend wird die Tunnelbohrmaschine zum Teil zerlegt, zurückgezogen und für den Vortrieb der Weströhre des oberen Fildertunnels vorbereitet. Parallel dazu soll der 1,15 Kilometer lange mittlere Fildertunnel, d.h. der Übergangsbereich zum Anhydrit, unterhalb Degerlochs bergmännisch hergestellt werden.
Tunnel Bad Cannstatt (Killesberg, Bad Cannstatt):
- Der bergmännische Vortrieb der jeweils zwei Röhren des Tunnels Bad Cannstatt Richtung Hauptbahnhof und Canstatt läuft seit ca. Mai 2014. Insgesamt wurden 2.039 Meter, d.h. 33% der Tunnelstrecke vorgetrieben, allerdings in den einzelnen Röhren mit deutlichen Abweichungen im Baufortschritt (281 bis 898 Meter).
- Während die geplanten Hebungsinjektionen für die Bürogebäude an der Presselstraße wegen des doch festeren Gesteins und des IHK-Gebäudes wegen Kauf und Abriss entfielen, sind noch Hebungsinjektionen für das Gäubahnviadukt erforderlich. Aus diesem Grund stocken wahrscheinlich die Vortriebsarbeiten der Ost-Tunnelröhre Richtung Bad Canstatt.
- Eigentümer am Killesberg monieren, dass die Bahn häufig kurzfristig und ohne den versprochenen zeitlichen Vorlauf von einem halben Jahr auf sie wegen der Unterfahrungsrechte zukommt. Dies hat auch Auswirkungen auf den Tunnelvortrieb. Dieser musste im Juli 2015 Richtung Hauptbahnhof kurzfristig verlangsamt werden, da die Unterfahrungsrechte eines Gebäudes an der Frühlingshalde nicht vorlagen.
- Seit Anfang Juli 2015 laufen die Vortriebsarbeiten an der Nordverzweigung bzw. der Tunnel Richtung Feuerbach und Bad Cannstatt unter dem Kriegsberg. Lesen Sie hier. Wie im Kernerviertel muss dafür bis 2017 ein aufwendiges unterirdisches Verzweigungsbauwerk hergestellt werden. Bevor es in richtig in den Berg geht, steht erst noch die sehr knappe Unterfahrung mit einer spektakulären Abstützung der verbliebenen Fassade der alten Bahndirektion an. Diese Bauarbeiten wurden allerdings schon im Februar 2014 für Herbst 2014 von der Bahn angekündigt.
- Das Kreuzungsbauwerk Ehmannstraße für den Cannstatter Tunnel unter dem Rosensteinpark muss laut StZ (hier) neu geplant werden. Der Grund dafür seien die vom Juchtenkäfer besiedelten Bäume an der Ehmannstraße entlang des Abstellbahnhofs. Durch die somit notwendig gewordene Umplanung sollen nun auf dem Gelände des Wilhelma-Betriebshofs sowie auf dem Gelände des Abstellbahnhofs Baugruben für Zwischenangriffe entstehen. Mehr dazu finden Sie hier.
- Unklar ist es auch, wann und ob die geplanfestgestellten Bauarbeiten des PFA 1.5. in Bad Cannstatt starten. Cam 21 hat darüber in zwei Teilen (Teil 1 / Teil 2) berichtet.Laut Information der StN (hier) soll die geplante Neckarbrücke in Bad Cannstatt, deren Baustart zuletzt im Herbst 2015 vorgesehen war, erheblich geändert werden. Die Pläne seien vom EBA noch nicht genehmigt.
- Die Bahn will entgegen der ursprünglichen Planung eine längere Tunnelstrecke vom Zwischenangriff Nord Richtung Hauptbahnhof und Ehmannstraße vorantreiben. Diese Entscheidung ist sicherlich den Bauverzögerungen an der Ehmannstraße und beim Tunnelbau Richtung Kriegsberg geschuldet.
Tunnel Feuerbach (Killesberg, Feuerbach):
- Die Bauarbeiten zur Herstellung der 325 Meter langen Zugangsstollen am Zwischenangriff Prag laufen seit Dezember 2014. Der Baubeginn hatte sich am Zwischenangriff Prag wie in Feuerbach aus artenschutzrechtlichen Gründen (Umsiedlung einer Eidechsenpopulation) verzögert.
- Seit Juni 2015 läuft der Tunnelvortrieb der jeweils 2 Röhren Richtung Hauptbahnhof und Feuerbach. Ingesamt sind 50 Meter vorgetrieben.
- Im Juli musste die Bahn einräumen, dass der Baulärm am Zwischenangriff Prag lauter als geplant ist. Die nächtliche Verladung des Aushubs aus dem Feuerbacher Tunnel kann daher bis zur Klärung und Umsetzung der erforderlichen Schutzmaßnahmen nicht stattfinden.
- Beim Bau des Tunnel Feuerbachs rechnet die Bahn wie auch beim Obertürkheimer Tunnel mit dem mehrfachen Durchfahren von anhydrithaltigem Gestein. Dabei müssen jeweils zum Schutz vor Wassereintritt aufwendige Sicherungsmaßnahmen (Abdichtungsbauwerke, Kunstharzinjektionen) durchgeführt werden.
- Bis heute ist noch offiziell keine Entscheidung gefallen, an welchem Standort das ursprünglich auf dem Gelände des Killesberger Augustinum planfestgestellte Entrauchungsbauwerk gebaut werden soll.
Tunnel Obertürkheim (Wangen, Untertürheim, Obertürkheim, Gablenberg, Gänsheide, Kernerviertel):
- Der symbolische Tunnelanstich fand am 4.Dezember 2013 statt. Danach ruhten die Vortriebsarbeiten lange Zeit. Im Juli 2014 musste die Bahn einräumen, dass sie beim Bau des Verbindungsstollens Ulmer Straße auf deutlich mehr Wasser als geplant gestoßen sei. Wegen des Wasserandrangs kamen die Bauarbeiten am 105 Meter langen Zwischenstollen nur zögerlich voran, die Fertigstellung erfolgte im Januar 2015.
- Für die Vortriebsarbeiten sind wegen des harten Gesteins Sprengungen erforderlich. Die Sprengarbeiten sind allerdings entgegen der Ankündigung nicht „immissionsarm“ und fanden im November 2014 auch im Nachtzeitraum und an Sonn- und Feiertagen statt. 27 Wangener Bürger reichten daraufhin wegen erheblichen Belästigungen durch Lärm und Erschütterung eine Strafanzeige ein. Die Bahn muss schließlich einräumen, dass die Sprengungen im Nachtzeitraum zwischen 20 bis 7 Uhr wegen Überschreitung des zulässigen Spitzenpegels nicht zulässig seien.
- Die Vortriebsarbeiten an den jeweils zwei Tunnelröhren Richtung Hauptbahnhof und Obertürkheim wurden nach kurzer Bauzeit vorübergehend eingestellt. Die Bahn muss wegen des erhöhten Wasserandrangs die Tieferlegung der Tunnelröhren um 4 Meter beantragen. Das Eisenbahn-Bundesamt genehmigt Ende April 2015 die Planänderung.
- Nach über einem Jahr Bauzeit sind daher nur 635 Meter beim Tunnel Obertürkheim vorangetrieben. Die Bahn hinkt beim Zeitplan weit hinterher, zumal auch für den Abstellbahnhof Untertürkheim eine neues Planfeststellungsverfahren und für den geplanten Tunnelangriff in Obertürkheim eine Planänderung angekündigt sind.
- Aus statischen Gründen baut die Bahn zunächst nur eine Röhre unter dem Neckar.
- Zudem rechnen kritische Ingenieure im PFA 1.6 a beim Bau der doppelstöckigen Neckarunterquerung in mineralwasserführenden Schichten mit erheblichen Schwierigkeiten.
- Entgegen der Ankündigung der Bahn im Nachtzeitraum erst wieder zu sprengen, wenn eine ausreichend Überdeckung erreicht ist, sprengt die Bahn seit Juni in Wangen wieder im Nachtzeitraum zwischen 20 bis 22 Uhr und von 6 bis 7 Uhr. Anwohner erhalten auf Nachfrage die Auskunft, dass dies durch Messungen abgedeckt sei. Die AVV-Baulärm sieht entgegen der TA Lärm diese Schwellenwerte nicht vor. Das Netzwerk Wangen will hier nachhaken.
- Massiven Protest der Anwohner hatte die Bahn auch in Untertürkheim geerntet, als sie an der Benzstraße für die Vorbereitungsarbeiten 2013 und 2014 im Nachtzeitraum Rammarbeiten mit schweren Erschütterungen und im Nachtzeitraum nicht zulässigen Immissionswerten durchführte. Die Rammarbeiten finden seither im Tageszeitraum statt.
- Auch Wangener Bürger beklagen, dass die Bahn zu kurzfristig auf sie wegen der Unterfahrungsrechte zukäme.