Die Bahn hatte im April 2014 in einer Pressemitteilung angekündigt, „alle relevanten Informationen über Immissionen, also Staub, Lärm und Erschütterungen, die aus dem Bauablauf bei Stuttgart 21 erwartet werden und tatsächlich erfolgen, erstmals allgemein zugänglich im Internet auf der Projekthomepage zu veröffentlichen“. Dass dieses Transparenzversprechen bislang nicht eingehalten wird, haben wir bereits berichtet. Heute berichten wir über die „Odyssee“ des Netzwerks Wangen/Untertürkheim, um an die Erschütterungsmessungen in Wangen für November 2014 und die Lärmmessungen für die Sonntagsarbeiten am 11.Januar 2015 in Untertürkheim heranzukommen.
Die „Odyssee“zeigt deutlich die Untätigkeit des Eisenbahn-Bundesamtes als Aufsichtsbehörde. Das EBA ist nicht bereit Messgutachten von der Bahn zur Kontrolle anzufordern. Weder wenn sich Bürger – auch über die Stadt Stuttgart – über Beeinträchtigungen beschweren, noch wenn sie einen Antrag auf Einsicht nach dem Umweltinformationsgesetz stellen. Nicht einmal wenn ein Bundestagsabgeordneter nachhakt. Nicht einmal im Falle der Wangener Bürger, die eine Strafanzeige gestellt hatten und die Staatsanwaltschaft dazu ermitteln müsste.
Die Bahnvertreter versprechen dagegen im wieder Transparenz, erklären sogar vor dem Umwelt- und Technikausschuss des Gemeinderates, dass die Messgutachten regelmäßig an das EBA weitergeleitet werden. Doch die Bahn hält diese bislang mit verschiedenen Ausflüchten noch zurück. So sind beispielsweise die Messdaten der Sprengungen in Wangen im November 2014 bis heute noch einmal nicht von der Bahn ausgewertet und aufbereitet, obwohl 27 Wangener Bürger damals eine Strafanzeige gegen die Baufirma und den Abschnittsleiter gestellt hatten.
Das Netzwerk Wangen/ Untertürkheim hat als Konsequenz einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Jetzt kommt Bewegung in die Sache. Hier nun die bisherigen Stationen der „Odysee“ des Netzwerks Wangen/Untertürkheim:
November 2014: Für den Vortrieb wird in Wangen rund um die Uhr, auch an Sonn- und Feiertagen gesprengt. Die Sprengarbeiten sind im weiten Umkreis bemerkbar.
18.November 2014: Anwohner beschweren sich auf der Informationsveranstaltung der Bahn in Untertürkheim. Der Immissionsbeauftragte für Lärm und Erschütterung, Peter Fritz, erklärt, dass sich alles im Rahmen der zulässigen Belastungen bewege. Er verschweigt dabei, dass sein Büro am selben Tag ein Messgutachten erstellt hat, nachdem die nächtlichen Sprengungen wegen einer massiven Überschreitung der Richtwerte der AVV-Baulärm nicht zulässig und unbedingt zu vermeiden seien.
23. /24. November 2014: Die Wangener Bezirksbeirätin Barbara Weber beantragt die Zusendung der Protokolle der Sprengungen und die Messungen von Lärm und Erschütterungen bei der Bahn. Matthias Breidenstein, der für die bergmännischen Bauarbeiten zuständige Abschnittsleiter des PFA 1.6a, verspricht die Veröffentlichung im Laufe der Woche. Veröffentlicht ist bis heute nur das Lärmmessprotokoll, das für den Nachtzeitraum die Unzulässigkeit der Sprengarbeiten attestiert, jedoch keine einzige Erschütterungsmessung.
26.November 2014: 27 Wangener Bürger stellen Strafanzeige wegen Verstoßes gegen die Sonntags- und Feiertagsruhe, unzumutbare, fortlaufende körperschädigende Lärmbelästigungen, Ruhestörungen und gefährlicher Erderschütterungen, besonders bei Nacht. Die Wangener Bürger erhalten bis heute keine Information über das Ergebnis der Ermittlungen.
30.Dezember 2014: Ein Mitarbeiter im Ordnungsamt aus dem Bereich Gewerbe/ Gaststättenrechts antwortet auf das Schreiben des Netzwerks Wangen/Untertürkheim vom 23.November 2014. Tenor des Schreibens: die Bauarbeiten sind planfestgestellt und die Stadt sei nicht zuständig. Das Ordnungsamt habe das Beschwerdeschreiben an das Eisenbahn-Bundesamt weitergeleitet, das für die Umweltverträglichkeit dieser Bauarbeiten zuständig sei.
11./14. Januar 2015: Das Netzwerk Wangen/ Untertürkheim stellt am 11.Januar beim EBA einen Antrag auf Einsicht nach dem Umweltinformationsgesetz in folgende Messunterlagen: Erschütterungsprotokolle während der Sprengarbeiten vom November 2014 beim Zwischenangriff Wangen sowie Lärm- und Erschütterungsprotokolle vom 10./11.2015 am Zwischenangriff Benzstraße, Stuttgart-Untertürkheim. Die Aufsichtsbehörde lehnt diesen Antrag auf Einsicht in die Unterlagen drei Tage später mit der Begründung ab, da diese nicht vorliegen und dem EBA auch nicht bekannt sei, bei welcher Stelle die Messgutachten vorliegen würden.
5.Februar 2015: Der Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel (Bündnis90/Die Grünen) hakt in einem Schreiben beim Präsidium des EBAs wegen den Messgutachten nach. Er weist darauf hin, dass nach Aussage des Immissionsschutzbeauftragten Peter Fritz vor den Gemeinderäten des Umwelt- und Technikausschuss der Stadt Stuttgart alle Messgutachten regelmäßig an das EBA weitergeleitet werden.
11.Februar 2015: Nach dem Offenbarungseid der Aufsichtsbehörde in Sachen Immissionsüberwachung schaltet das Netzwerk Wangen / Untertürkheim den Rechtsanwalt Bernhard Ludwig von der Stuttgarter Kanzlei Keller und Kollegen ein und erhebt Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid.
10.März 2015: Auf sein Schreiben erhielt der Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel (Bündnis90/Die Grünen) aus dem Präsidium des EBAs eine äußerst lapidare und unbefriedigende Antwort. Dem UIG-Antrag könne nicht entsprochen werden, da die Unterlagen dem EBA nicht vorlägen.
17.April 2015: Das EBA lehnt den Antrag auf Einsicht in die Lärm-und Erschütterungsgutachten mit der Begründung ab, dass diese der Behörde nicht vorliegen würden. Das EBA würde jedoch den Antrag des Netzwerks an die DB Netz AG weiterleiten, der diese Messgutachten vorliegen würden.
11.Mai 2015: Der Rechtsanwalt Bernhard Ludwig hakt bei Peter Fritz, den Immissionsschutzbeauftragten für Lärm und Erschütterungen wegen der Messgutachten nach: „In der Untertürkheimer Zeitung vom 21.01.2015 wurden Sie mit den Worten zitiert, die sich auf die oben genannten baulichen Maßnahmen bezogen: „Die Messungen erfolgen kontinuierlich und die Berichte werden dem Eisenbahn-Bundesamt vorgelegt.“, die Sie vor dem Umwelt- und Technikausschuss des Gemeinderates der Landeshauptstadt Stuttgart geäußert haben sollen. Auch ein Mitglied des Gemeinderates hat uns diese Ihre Aussage bestätigt. Auf einen entsprechenden Antrag an das EBA nach dem UIG auf Zugang zu diesen Berichten wurde eine Mandantin von uns jedoch mehrfach beschieden, diese Berichte lägen dem EBA nicht vor. Was stimmt nun? Haben Sie keine kontinuierlichen Messberichte erstellt dem Eisenbahn-Bundesamt diese nicht vorgelegt oder liegen sie dem Eisenbahn-Bundesamt nicht vor und es hat uns die Unwahrheit mitgeteilt? Oder könnte es sein, dass die Berichte auf dem Postwege abhanden gekommen sind?“
12.Mai 2015: Der Rechtsanwalt Bernhard Ludwig stellt im Auftrag des Netzwerks einen Antrag auf Einsicht nach dem Umweltinformationsgesetz in alle lärmtechnischen Gutachten und alle Schreiben der Bahn sowie aller Lärmbeschwerden, die das EBA von Lärmbetroffenen oder durch andere öffentlichen Stellen erhalten hat. Daraus dürfte sich ergeben, welche Tätigkeit das EBA überhaupt entfaltet hat.
13.Mai 2015: Ein für die Planfeststellung zuständiger Projektingenieur der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH schreibt an das Netzwerk Wangen/ Untertürkheim: „… Wir werden diesem Antrag ohne Anerkennung einer Rechtspflicht nachkommen und Ihnen die entsprechenden Unterlagen zu den Sprengarbeiten in Stuttgart-Wangen übersenden. Diese werden aktuell ausgewertet und in einer für Dritte verwertbaren Form aufbereitet. Dies nimmt noch Zeit in Anspruch, sodass wir Ihnen die Übermittlung der Unterlagen erst für Anfang Juni zusagen können. Im Bereich Rettungszufahrt Benzstraße haben am 10. und am 11.01.2015 keine lärmintensiven Arbeiten stattgefunden. Aus diesem Grund liegen hier auch keine Messprotokolle vor.“ Erstaunlich ist, dass die Messprotokolle der Sprengungen in Wangen bis heute nicht ausgewertet und aufbereitet sind, obwohl die Wangener Bürger im November eine Strafanzeige gestellt hatten und die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Ermittlungen bei der Aussichtsbehörde nach diesen Messdaten nachhaken müsste.
14.Mai 2015: Aus der Antwort des Netzwerks an die DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH : „Was die Protokolle zu Wangen anbelangt bin ich durchaus in der Lage nicht aufbereitete Protokolle zu lesen und damit einhergehend diese auch zu verstehen. Über Ihre Aussage zu Untertürkheim, bin ich doch sehr überrascht. Ich selbst habe auf dem Weg zum Gottesdienst den Lärm mitbekommen und unterwegs bin ich dem Pfarrer unserer Gemeinde begegnet, der zur Baustelle eilte um die Bitte zu äußern doch wenigstens während des Gottesdienstes auf die lärmintensiven Arbeiten zu verzichten. Gerne kann ich Ihnen diesbezüglich Bestätigungen zukommen lassen.“
17.Mai 2015: Der Immissionsschutzbeauftragte Peter Fritz antwortet auf die Anfrage des Rechtsanwaltes Bernhard Ludwig: „Hier liegt offensichtlich ein Missverständnis vor! Die Vorhabenträgerin ist verpflichtet ein Messkonzept aufzustellen und dieses Konzept mit dem Eisenbahnbundesamt abzustimmen…. Die hiernach durchzuführenden Messungen sind zu dokumentieren und auf Verlangen betroffenen/interessierten Bürger und natürlich auch auf Verlangen dem Eisenbahnbundesamt vorzulegen. Daher ist es nachvollziehbar, dass Ihr Mandant vom Eisenbahnbundesamt die Antwort erhalten hat, dass dieses über die eingeforderten Messberichte gar nicht verfügt. Daher ist es sinnvoll, dass sie ihr Anliegen ganz konkret der Vorhabenträgerin vorlegen. Hierzu ist es erforderlich das sie den konkreten Zeitraum benennen, für den sie Informationen zu den Ergebnissen durchgeführter Messungen erhalten wollen.“
Abgesehen davon, dass die Bahn und auch ihr Immissionsschutzbeauftragter gegenüber den Stadträten und der Öffentlichkeit Transparenz versprochen hatten. Anscheinend hat sich bis zum Immissionsschutzbeauftragten der Bahn noch nicht herumgesprochen, dass das Netzwerk Wangen/Untertürkheim seit fast einem halben Jahr Einsicht in verschiedene Messgutachten gestellt hat und das EBA mittlerweile den UIG-Antrag an die DB Netz AG weitergeleitet hat. Das Spiel, erst einmal einen Antrag stellen zu müssen, geht also von Neuem los. Mit Sicherheit kommt dann wieder die Auskunft, dass die Messdaten noch nicht aufbereitet seien, aber anschließend ins Netz eingestellt werden.
Auch auf der Informationsveranstaltung für die Anwohner des Kernerviertels Mitte April im Rathaus versprach der Vorstand der DB Projektbau Stuttgart-Ulm GmbH und der Immissionsschutzbeauftragte, dass die seit über einem halben Jahr nicht veröffentlichten Messdaten für das Kernerviertel selbstverständlich auf die Webseite gestellt werden. Doch bis heute ist diese Zusage ebenfalls nicht umgesetzt…