Wir haben bereits darüber berichtet (hier), dass Brigitte Lösch, Landtagsabgeordnete der Grünen und Vize-Landtagspräsidentin, wegen der massiven Lärmüberschreitungen in Untertürkheim einen Briefwechsel mit dem Eisenbahn-Bundesamt hatte. Nach der unzureichenden Antwort der Aufsichtsbehörde mit dem Tenor „Alles planfestgestellt“, hatte sich Brigitte Lösch in einem Schreiben (hier) an Manfred Leger, dem Vorstand der Geschäftsführung der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH, gewandt und zu einer Reihe von Punkten nachgehakt:
- den Ursachen für die massiven abweichenden Prognoseergebnisse bei den Rammarbeiten in Untertürkheim und der fehlenden Genehmigung der hohen Richtwertüberschreitungen,
- dem fehlenden Schutzkonzept für die Anwohner aufgrund der zu niedrigen Lärmprognosen in der Planfeststellung und im späteren schalltechnischen Detailgutachten,
- dem Umstand, dass durch eine Vorgabe des Immissionsschutzbeauftragten abweichend vom Planfeststellungsbescheid für die Baufirmen nicht mehr die Richtwerte der AVV-Baulärm, sondern nur noch die erhöhten Pegel aus den schalltechnischen Detailgutachten verbindlich sein sollen,
- warum Messergebnisse entgegen den Anforderungen der AVV Baulärm über den Zeitraum von einer ganzen Arbeitswoche gemittelt werden sollen,
- ob das EBA der Entscheidung der Bahn über die Bereitstellung von Ersatzquartieren bereits zugestimmt hat.
- nach der Sondergenehmigung für die Sonn- und Feiertagsarbeit bei Stuttgart 21.
- nach Terminen für weitere Rammarbeiten in Untertürkheim und wie die Anwohner bei diesen Arbeiten geschützt werden sollen.
Auf ihr Schreiben hin erhielt Brigitte Lösch von Manfred Leger bzw. Verantwortlichen der DB Projekt Stuttgart-Ulm einen ausführlichen 8-seitigen Brief (hier). Zu diesem Antwortschreiben haben das Netzwerk Wangen/Untertürkheim und das Infobündnis Zukunft Schiene – obere Neckarvororte – folgende kritische Anmerkungen:
1. Absurd ist die Auskunft, dass in der Planfeststellung sämtliche Immissionen über die gesamte Bauzeit gemittelt und dabei keine Überschreitungen festgestellt wurden. Nach dieser Rechenmethode bräuchte man ja überhaupt nie mehr Lärmschutz, weil jede Baustelle zwischendrin ruht. (Nach dieser Devise müsste man im Winter nimmer heizen, denn die kalten Temperaturen werden ja durch die heißen Sommermonate ausgeglichen.)
2. Zwar verfügt die Bahn Die DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH über eine gültige Planfeststellung. Dennoch verstoßen einzelne Bestimmungen gegen die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. So sind die in den Planfeststellungen enthaltenen Boni der Bahn von + 5 dB(A) über den Richtwerten der AVV-Baulärm sowie die 2-Monatsfrist, ab der erst Schutzmaßnahmen erforderlich sind, nicht mehr mit der aktuellen höchstrichterlichen Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (so erstmals im Urteil vom 10.07.2012 / Az 7 A11/11 ) vereinbar. Auch bei Großbaustellen gelten danach die Richtwerte der AVV-Baulärm. Diese Rechtsauffassung wurde jüngst in einer Entscheidung des BVerwG vom 19.03.2014 (Az A 24/12) zur Neubaustrecke Stuttgart-Ulm bestätigt. Das Urteil aus dem Jahr 2012 wird im Schreiben der DB Projekt zudem nur unvollständig zitiert. So heißt es in der Randnummer 32:
„Der Normzweck der AVV Baulärm, eine gleichmäßige Rechtsanwendung
sicherzustellen und damit Rechtssicherheit zu schaffen, wird auch
dann nicht in Frage gestellt, wenn die Immissionsrichtwerte nur für den Regelfall
als bindend betrachtet werden. Der verbleibende Spielraum für Ausnahmen von
der Bindungswirkung ist eng, namentlich ist Nr. 3.1. nicht dahingehend zu ver-
stehen, dass der gemäß Gebietszuordnung maßgebliche Immissionsrichtwert
nur als Orientierungswert betrachtet und ergänzend eine Einzelfallbetrachtung
angestellt wird.“
Genau dies versucht die DB aber!
Weiter: „(…) Daraus folgt zugleich, dass eine verminderte Schutzwürdigkeit nicht schon dann angenommen werden kann, wenn es etwa um die Errichtung wichtiger Verkehrsinfrastrukturvorhaben im öffentlichen Interesse geht.“
Auch dieser Argumentationsversuch der DB Projekt geht daher fehl.
Vollkommen unerwähnt lässt Herr Leger den Absatz aus dem Urteil von 2014, das die Zwei-Monate-Zumutbarkeits-Regel für abwegig erklärt:
„Dies widerspricht der Rechtsprechung des erkennenden Senats, nach der die fach
planerische Zumutbarkeitsschwelle für Baustellenlärm sich nicht nach dem um 5
dB(A) erhöhten Eingreifwert gemäß Nr. 4.1 der AVV Baulärm, sondern nach dem Immissionsrichtwert gemäß Nr. 3.1.1 AVV Baulärm bemisst (Urteil vom 10. Juli 2012
– BVerwG 7 A 11.11 – BVerwGE 143, 249 Rn. 27 ff., 45 = Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 84). Vorkehrungen zum Schutz der Wohnbebauung am Michelsberg sind somit bereits bei einem Überschreiten des Immissionsrichtwerts für ein allgemeines Wohngebiet zu treffen. Der Planfeststellungsbeschluss verhält sich des Weiteren nicht dazu, weshalb Betroffene eine Überschreitung dieser Zumutbarkeitsschwelle für eine Dauer von bis zu zwei Monaten ohne Schutzvorkehrungen hinzunehmen haben, wie auch im Unklaren
bleibt, ob Zeiten geringerer Belastungen von mehr als fünf Tagen die Frist für
das Entstehen von Schutzansprüchen hemmen oder unterbrechen.“ .
Für die Netzwerke und das Infobündnis Zukunft Schiene stellt sich die Frage, ob die DB sich wirklich erst dann beim Bau von Stuttgart 21 an geltendes Recht halten will, wenn jemand sie verklagt.
3. Diese neue Rechtslage müsste das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) in den ergänzenden Verfahren zur Entscheidung über die erforderlichen Schutzmaßnahmen, die rechtzeitig vor Baubeginn auf Basis umfassender Lärmprognosen zu treffen sind, berücksichtigen. Diese Maßnahmen hätten unter der Ägide des EBA z.B. für die Rettungszufahrt Benzstraße aufgrund des Detailgutachtens vom 19.07.2013 angeordnet werden müssen: Wo kommen welche Schutzmaßnahmen hin, wo funktioniert das nicht, wer kriegt wieviel Entschädigung, wer ggf. übergangsweise ein Ersatzquartier? Um diese Entscheidung drückt sich das EBA. Die auf „freiwilliger Basis“ von der DB großzügig eingeräumte Bereitstellung von Ersatzquartieren macht den gravierenden Mangel einer fehlenden Festsetzung durch das EBA um so deutlicher.
Dabei hatte sich das EBA eine ergänzende Entscheidung zu Schutzmaßnahmen zu einem späteren Zeitpunkt ausweislich des Planfeststellungsbeschlusses ausdrücklich vorbehalten – mit Hinweis auf die schlechte Prognostizierbarkeit der Immissionen, weshalb die schall- und erschütterungstechnischen Untersuchungen nur als „Machbarkeitsstudie“ (Zitat PFB) zu verstehen seien.
4. Daher muss die Bahn ggf. andere Schutzmaßnahmen ergreifen, wenn aktive oder passive Schutzmaßnahmen nicht ausreichen. Laut Planfeststellungsbeschluss können diese Maßnahmen sich im Ernstfall auf reine Entschädigungszahlungen beschränken, wenn andere Maßnahmen nicht wirksam sind oder nicht „mit vertretbarem Aufwand“ umgesetzt werden können. Allerdings: Die Bahn tut nichts dergleichen! Die Feststellung, dass die Immissionen „unvermeidbar“ seien, entbindet den Vorhabenträger nicht von der Verpflichtung, ggf. geeignete Ersatzmaßnahmen zu ergreifen.
5. Keine Antwort enthielt das Schreiben der DB Projekt auf die Frage, nach einer erfolgten Genehmigung des Messkonzeptes des PFA 1.6a durch das EBA und ob die Baufirmen jetzt wirklich nur noch verpflichtet werden sollen, die prognostizierten höheren Werte der schalltechnischen Detailgutachten einzuhalten. Die Antwort auf diese Frage wäre gerade für alle vom Baulärm durch Stuttgart 21 betroffenen Wohngebiete besonders interessant. Mehr Informationen dazu finden Sie in der Petition des Infobündnis Zukunft Schiene an den Deutschen Bundestag.
6. Ebenfalls keine Antwort enthielt das Schreiben der DB Projekt auf die Frage nach weiteren Terminen für Rammarbeiten in Untertürkheim. Auch hier fehlt es an der eigentlich von Manfred Leger im März auf der letzten Anwohnerveranstaltung zugesagten Transparenz.