Die Stuttgarter Nachrichten berichten heute (hier), dass die Bahn sich jetzt doch bereit erklärt, bei unerträglichen nächtlichen Baulärm – wie jüngst in Untertürkheim und in Wangen – zukünftig eine Hotelunterbringung zu erstatten. Dies ist sicherlich für die betroffenen Anwohner ein richtiger Schritt.Er beruht jedoch nur auf dem Entgegenkommen der Bahn nach den Protesten, der Strafanzeige von 27 Bürgern in Wangen bzw. der Klageandrohung, widerspricht jedoch weiterhin den Zuständigkeiten nach der Planfeststellung bei Stuttgart 21 .
Wie bereits mehrfach berichtet, hat danach nicht die DB Projekt Stuttgart-Ulm über die aktiven und passiven Schutzmaßnahmen zu entscheiden, sondern das Eisenbahn-Bundesamt als Aufsichtsbehörde. Es muss auf Basis der vorgelegten schalltechnischen Detailgutachten in einem transparenten ergänzenden Verfahren die erforderlichen Schutzmaßnahmen festzusetzen. So lautet die Nebenbestimmung in dem entsprechenden Planfeststellungsbescheid PFA 1.6a auf Seite 38: „Die Entscheidung über die konkreten Schutzmaßnahmen behält sich das Eisenbahn-Bundesamt auf Grundlage der Detailgutachten gemäß § 74 Abs. 3 VwVfG vor.“
Im Falle des infernalischen Baulärms der nächtlichen Rammarbeiten in Untertürkheim hätten die betroffenen Anwohner im Vorfeld Anspruch auf ein ergänzendes Verfahren gehabt, in dem sie über die geplanten Schutzmaßnahmen angehört werden. Das EBA hätte in diesem Verfahren die aktuelle Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichtes beachten müssen, nach der auch für Großbaustellen die Richtwerte der AVV-Baulärm gelten. Der in den Planfeststellungsbescheiden bei Stuttgart 21 noch enthaltene Bonus der Bahn, nach dem erst die Anwohner bei einer zweimonatigen Überschreitung von + 5 d(B) (A) über den Richtwerten der AVV-Baulärm Anspruch auf ein Schutzkonzept haben, widerspricht der aktuellen höchstrichterlichen Rechtssprechung. Bei der prognostizierten nächtlichen Richtwertüberschreitung von über 27 dB (A) ! wäre das EBA nach der Rechtslage gezwungen gewesen, geeignete Schutzmaßnahmen wie die Übernahme der Hotelkosten anzuordnen.
Stattdessen hat die Bahn selbst – und dabei die höchstrichterliche Rechtssprechung ignorierend- im Vorfeld der Bauarbeiten entschieden, die umliegenden Anwohnern in Untertürkheim während der nächtlichen Bauarbeiten massive Richtwertüberschreitungen ohne ein Schutzkonzept auszusetzen. Und das EBA ist als Aufsichtsbehörde nicht eingeschritten. Auch die Stadt Stuttgart hat hier nichts zum Schutz ihrer Bürger unternommen. Nach Recherchen des Infobündnis Zukunft Schiene – obere Neckarvororte- wurde das Amt für Umweltschutz der Stadt Stuttgart im Vorfeld der Rammarbeiten durch das EBA bereits im Juli 2013 in einem Schreiben über die massiven prognostizierten Richtwertüberschreitungen aufmerksam gemacht- ohne dass eine Reaktion erfolgte. Die Bahn konnte damit abseits der nach der Planfeststellung vorgegebenen Zuständigkeiten und der aktuellen Rechtslage agieren, ohne dass eine Behörde im Interesse der betroffenen Anwohner eingeschritten ist.
Auch in Wangen reagierte in Bahn erst, nachdem 27 Bürger Strafanzeige wegen Störung der Nacht sowie Sonn- und Feitertagsruhe gegen den Abschnittsleiter und die Baufirma erhoben haben. Noch 18.11.2014 erklärte der Immissionsschutzbeauftragte Fritz auf der Bezirksbeiratssitzung in Untertürkheim auf die Kritik einiger Wangener Bürger, dass die Sprengungen in Wangen, die zum Teil hunderte Meter hör- und spürbar waren, sich im Rahmen halten. Dabei verschwieg er bewusst, dass er am selben Tag ein Messbericht erstellt und unterzeichnet hatte, nachdem die Sprengarbeiten während des Nachtzeitraums die Richtwerte der AVV-Baulärm mit + 18 dB(A) weit überschritten und damit unzulässig seien. So wurden Anwohner von dem Immssionsschutzbeauftragten und langjährigen Gutachter der Bahn trotz Nachfragen bewusst desinformiert. Erst nach einer Strafanzeige von 27 Wangener Bürgern gegen die laufende Störung der Nacht- sowie der Sonn- und Feiertagsruhe erfolgte ein Umdenken bei der Bahn.
Daher ist das Entgegenkommen der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH nur als ersten Schritt zu interpretieren, zumindest in Extremsituationen die aktuelle Rechtslage zu beachten, wenn auch die Zuständigkeiten über die Entscheidung der Schutzmaßnahmen weiterhin „hemdärmlig“ ignoriert werden.