Lärm macht krank – nicht nur wenn es sich dabei um Dauerlärm handelt. Lärm verursacht neben den gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen auch hohe volkswirtschaftliche Schäden durch Gesundheitskosten, Mietminderungen und Wertverluste der Immobilien. Zu diesem Ergebnis kommt die vom Ministerium für Verkehr und Infrastrutur 2013 herausgegebene „Städtebauliche Leitfibel- Hinweise für die Bauleitplanung„, aus der wir nachfolgend noch zitieren werden.
Diese Erkenntnis wurde jedoch nicht beim Lärmschutzkonzept bei Stuttgart 21 berücksichtigt. Hier beruft sich die Bahn auch bei extrem hohen und gesundheits-schädlichen Lärmpegeln von bis zu 100 dB(A) – wie bei den Rammarbeiten in Untertürkheim – auf die in den Planfeststellungsbeschlüssen zu Stuttgart 21 enthaltenen Regelungen. Diese räumen der Bahn als Bauherrin einen Bonus ein. Danach haben die betroffenen Anwohner erst Anspruch auf Lärmschutzmaßnahmen, soweit ein Überschreiten der üblichen Richtwerte der AVV-Baulärm um mehr als 5 dB(A) für einen Zeitraum von mehr als zwei Monaten prognostiziert wurde. Dabei sind maximal 5 Tage mit einer geringeren Belastung unschädlich. Unklar ist, ob eine Überschreitung dieser 5 Tage die 2-Monatsfrist hemmt oder nur unterbricht. Im schlechtesten Fall beginnt die Zwei-Monatsfrist, in der die Anwohner auch massive Lärmüberschreitungen ohne Schutzkonzept tolerieren müssten, wieder von vorn.
Dieser in den Planfeststellungen enthaltene Bonus ist allerdings nicht mehr mit der aktuellen höchstrichterlichen Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichtes ( so erstmals im Urteil vom 10.07.2012 / Az 7 A11/11 ) vereinbar. Auch bei Großbaustellen gelten danach die Richtwerte der AVV-Baulärm. Diese neue Rechtslage müsste das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) in den ergänzenden Verfahren zur Entscheidung über die erforderlichen Schutzmaßnahmen, die rechtzeitig vor Baubeginn auf Basis umfassender Lärmprognosen zu treffen sind, berücksichtigen. (Siehe Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Lieber / Kanzlei Schotten Friedrich Bannasch an das EBA vom 21.10.2014 und Webbeitrag Lärmschutzkonzept bei Stuttgart 21 vom EBA und Bahn nicht umgesetzt – Netzwerke schalten Anwaltskanzlei ein).
Das EBA hat jedoch entgegen den Auflagen aus den Planfeststellungen zu Stuttgart 21 bis heute kein einziges ergänzendes Verfahren durchgeführt. Die Aufsichtsbehörde duldet, dass die Bahn bei Europas größter Baustelle über den passiven Schallschutz intransparent in eigener Regie und ohne Beachtung der aktuellen höchstrichterlichen Rechtssprechung entscheidet. Und das EBA schweigt – bis heute hat es auf die Aufforderung im o.g. rechtsanwaltlichem Schreiben nicht geantwortet. Die schalltechnischen Detailgutachten für einzelne ausgewählte Immissionspunkte hat die Bahn zwar im Internet (hier) veröffentlicht. Die für den Anspruch auf passiven Lärmschutz entscheidenden Gutachten, aus denen die zeitlichen Lärmszenarien und die prognostizierten Immissionswerte für alle betroffenen Gebäude (Stockwerke / Fassaden) hervorgehen, hält die Bahn unter Verschluss. Anfragen der Netzwerke ergaben, dass diese Gutachten nicht einmal dem EBA als Aufsichtsbehörde, die formal darüber entscheiden müsste, vorliegen.
Die Bahn ignoriert nicht nur die Zuständigkeiten nach der Planfeststellung und die aktuelle Rechtsprechung zum Lärmschutz, sondern negiert auch die gesundheitlichen Beinträchtigungen und Folgen von hohen Lärmpegeln. So erklärte der Rechtsanwalt der Bahn kürzlich auf der letzten Bezirksbeiratssitzung in Untertürkheim, dass nur Dauerlärm gesundheitliche Folgen hätte. Nicht jedoch die kurzzeitigen Lämbelastungen, denen die Anwohner durch die Rammarbeiten ausgesetzt waren. Eine Übersicht der Lärmpegel der Rammarbeiten finden Sie hier. Angesichts dieser Ignoranz, bleibt uns nichts anderes übrig, als aus der eingangs erwähnten Städtebaulichen Leitfibel der Landesregierung BW ausführlich zu zitieren:
„… Auswirkungen von Lärm sind u.a. die Beeinträchtigung von Sprache und Kommunikation, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Unlustgefühl, Aggressionen sowie die Abnahme der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Darüber hinaus schädigt Lärm auch die Gesundheit, wobei der Grad der Schädigung nicht nur von der Höhe des Pegels sondern auch von der Dauer der Einwirkung abhängt. Eine dauerhafte Lärmbelastung bei Pegeln von ca. 60 bis 65 dB(A), wie sie an Hauptverkehrsstraßen üblich sind, kann über lange Zeiträume hinweg zu Bluthochdruck und Herz-Kreislauferkrankungen und schließlich in einigen Fällen zu Herzinfarkt und Tod führen. Hohe Pegel ab ca.85 dB(A) über eine kurze Expositionszeit bewirken eine vorübergehende Hörschwellenverschiebung und führen zum Erschlaffen der Innenohr-Haarzellen. Die Regenerationszeit beträgt ca. 16 bis 48 Stunden. Längere Expositionszeiten bei Pegeln über 85 dB(A) oder kürzere Expositionszeiten bei Pegeln über 100 dB(A) führen zu einem Verkleben der Haarzellen im Innenohr, von dem sie sich
nicht mehr erholen. Diese irreversible Schädigung kann auch durch medizinische Behandlung nicht behoben werden.
Die Belastungen durch Lärm verursachen hohe volkswirtschaftliche Kosten. Diese i.d.R. nicht vom Lärmverursacher getragenen externen Kosten können in ihrer Höhe nicht immer beziffert werden. Dennoch sind diese bei der Abwägung von Lärmschutzmaß-
nahmen entsprechend zu berücksichtigen. Kosten entstehen durch die medizinische Behandlung von lärmbedingten Krankheiten, Unfälle aufgrund lärmbedingter Konzentrationsstörungen und Produktionsausfälle, da die betroffenen Personen zeitweise oder dauerhaft nicht als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.
Neben den Kosten für Gesundheitsschäden sind insbesondere Immobilienkosten aufgrund verminderter Einnahmen durch Mietzahlungen und Immobilienverkäufe zu nennen. Studien zu Mietzinsausfällen zeigen im Mittel einen Wert von 0,9 % Mietverlust
pro dB(A) ab 50 dB(A). Für die lärmbelasteten Straßen in Berlin wurden exemplarisch Mietverluste von 19 Mio. Euro pro Jahr und Immobilienwertverluste in einer Größenordnung von 1.550 Mio. ermittelt (LAI 2012, S. 65).
Verminderte Immobilienpreise und sinkende Mieteinkünfte wirken sich negativ auf die Steuereinnahmen der Kommunen aus, da diese über Einnahmen aus Mieteinkünften, Grunderwerbsteuer und Grundsteuer von niedrigeren Immobilienwerten betroffen sind.
In den Hinweisen zur Lärmaktionsplanung (LAI 2012, S. 15) werden „Lärmschadens-kosten“ pro Anwohner und Jahr ab Pegeln von 55 dB(A) tagsüber genannt…„