Wir haben bereits mehrfach darüber berichtet, dass das Lärmschutzkonzept aus der Planfeststellung bei Stuttgart 21 nicht oder nur unzureichend umgesetzt ist. Das Netzwerk Kernerviertel hatte das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) mehrmals schriftlich darauf aufmerksam gemacht und einen Stopp der Bauarbeiten gefordert. Ohne Erfolg. Bislang sieht das Eisenbahn-Bundesamt als Aufsichtsbehörde keinen Handlungsbedarf, obwohl zentrale Genehmigungsauflagen aus der Planfeststellung verletzt wurden:
1. Entscheidung über aktiven und passiven Lärmschutz sowie Entschädigungen: Das EBA hatte sich in der Planfeststellung vorbehalten, vor Baubeginn auf Basis der von der Bahn vorzulegenenden schalltechnischen Detailgutachten über den notwendigen aktiven und passiven Lärmschutz einschließlich der Entschädigungen in einem ergänzenden Verfahren zu entscheiden. Diese formale Entscheidung des EBA, bei der auch die Betroffenen vorher angehört werden müssen, ist bis heute für keinen der vom Baulärm betroffenen Stadtteile in Stuttgart erfolgt. Die Bahn führt das Schallschutzprogramm nach Absprache mit dem EBA in eigener Regie durch und hält die Gutachten zum passiven Schallschutz einschließlich der Berechnungsgrundlage, welche Fassaden und Geschosse der Häuser mit passivem Schallschutz ausgestattet werden, mit Hinweis auf den Datenschutz unter Verschluss. Eine Anfrage des Netzwerks Kernerviertel im Februar ergab, dass nicht einmal dem EBA als Entscheidungsbehörde diese/s Gutachten vorliegt. Über die laut Planfeststellung vorgesehenen Entschädigungen, z.B. für die eingeschränkte Nutzung von Balkonen und Terrassen, sind bis heute weder von der Bahn noch vom EBA eine Entscheidungen getroffen worden.
2. Realistische Lärmprognosen: Im Kernerviertel genügen die schalltechnischen Detailgutachten für den PFA 1.1. und 1.2. nicht den Vorgaben der Planfeststellung, nach der sämtliche gleichzeitig auftretende Lärmimmissionen zu berücksichtigen sind. Sie eignen sich weder für eine Prognose des zu erwartenden jahrelangen Baulärms noch als Datenbasis für die Entscheidung über aktive und passive Schutzmaßnahmen. Das EBA musste gegenüber dem Netzwerk Kernerviertel im Schreiben vom 29.07.2014 einräumen, dass die Bahn dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, sieht jedoch als verantwortliche Aufsichtsbehörde keinen Handlungsbedarf.
Nachdem das EBA bislang nicht bereit ist, auch in Sachen Lärmschutz seinen Verpflichtungen aus der Planfeststellung nachzukommen, haben die Netzwerke 21 die auf das Verwaltungs- und Immissionsschutzrecht spezialisierte Kanzlei Schotten Fridrich Banasch aus Freiburg eingeschaltet. Herr Dr. Lieber vertrat als Rechtsanwalt der Kanzlei bereits den BUND und die Schutzgemeinschaft Fildern in den Erörterungen zu Stuttgart 21. Das Schreiben der Kanzlei an das EBA vom 21.10.2014, das stellvertretend im Namen von Frank Schweizer und zwei weiteren betroffenen Eigentümer im Kernerviertel erging, können Sie hier abrufen. In diesem Schreiben wird das EBA aufgefordert, seiner Aufgabe nachzukommen und das in der Planfeststellung vorgesehene ergänzende Verfahren zur Entscheidung über den aktiven und passiven Lärmschutz sowie den Entschädigungen auf Basis umfassender und realistischer Lärmprognosen durchzuführen.
Bei der Durchführung dieses der Planfeststellung nachgelagerten ergänzenden Verfahrens hat das EBA die aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu beachten. Danach gelten die Richtwerte der AVV-Baulärm auch für langjährige Großbaustellen, wie Stuttgart 21. Der noch in den Planfeststellungsbeschlüssen zu Stuttgart 21 vorgesehende Aufschlag von 5 dB(A) sowie die zweimonatige Frist, ab der erst Anspruch besteht, ist danach nicht rechtens. Damit haben ein deutlich größerer Kreis von Betroffenen in Stuttgart ab einer prognostizierten Überschreitung der Richtwerte der AVV-Baulärm Anspruch auf passiven Schallschutz und Entschädigungen. Diese Richtwerte liegen beispielsweise für vorwiegende Wohngebiete bei 55 dB(A) für den Tagzeitraum und bei 40 dB(A) für den Nachtzeitraum. Die Lärmwerte, die zuletzt am Beispiel von einzelnen Immissionspunkten vom Gutachter für das Kernerviertel prognostiziert wurden, finden Sie in den beiden schalltechnischen Detailgutachten für den Trogbau (hier /Karte auf S. 48 und in der Liste S.63/64) und für die Rettungszufahrt (hier / Liste S. 42/43) .
Die Netzwerke 21 haben sich daneben in Sachen Lärmschutz nochmals an den Oberbürgermeister Fritz Kuhn gewandt und um Unterstützung durch die Stadt Stuttgart gebeten. Neben den o.g. gibt es zahlreiche weitere Kritikpunkte am bisherigen Vorgehen der Bahn und des EBAs, wie beispielsweise die rechtlich unsittlichen Verträge zum passiven Schallschutz, der unzureichenden Information über die Belastungen durch den Baulärm (wie z.B. am Wartberg) und oder die massiven Lärmschutzüberschreitungen bei den ersten Bauarbeiten in Untertürkheim.
Es kann aus Sicht der Netzwerke beispielsweise nicht angehen, dass Bürger über die auf sie zukommenden Belastungen nicht informiert werden oder betroffene Anwohner ihr erspartes Geld für einen Rechtsanwalt und ggf. einen Prozess einsetzen müssen, nur um ein in der Planfeststellung vorgesehenes rechtsstaatliches Verfahren zur Gewährung von passiven Schallschutz und Entschädigungen zu erstreiten. Hier erwarten die Netzwerke von der Stadt Stuttgart und dem Land Baden-Württemberg, dass sie gegenüber dem Eisenbahn-Bundesamt als Aufsichtsbehörde und der Bahn als ihrem Projektpartner die berechtigten Interessen ihrer betroffenen Bürger vertreten und und durchsetzen.