Die beiden Tunnel unter dem Killesberg, der Cannstatter und der Feuerbacher Tunnel, sind besonders kritisch. Hier werden im Tunnelquerschnitt sowohl wasserführende als auch die wasserempfindliche Schichten des quellfähigen Anhydrits durchfahren. Teilweise liegt der Anhydrit auf der Höhe der Tunnelsohle. Um keine Quellprozesse in Gang zu setzten, die jahrzehntelang gehen können und die Betriebstauglichkeit der Tunnel gefährden würden, müssen die Tunnel vollkommen trocken aufgefahren werden.
Die FAZ schrieb vor kurzem in „Wer hat so viel Geld?“ , dass das größte Problem bei Stuttgart 21 derzeit die beiden Tunnel nach Bad Cannstatt und Feuerbach sind. „Der Feuerbacher Tunnel bestimmt den Fertigstellungstermin 2024“, sagte ein Bahn-Mitarbeiter. Allein die schwierige Geologie auf dem Stuttgarter Stadtgebiet verursache zusätzliche Kosten in Höhe von 144 Millionen Euro: […] Außerdem müsse im wasserempfindlichen Anhydrit-Gestein die zweieinhalbfache Silikongel-Menge gespritzt werden, die Ingenieure ursprünglich berechnet hätten.“
Und in der Süddeutsche heißt es in Was wird aus dem Milliardenloch?: „Irgendwo zwischen Stadtmitte und Feuerbach werden die Tunnelwände im Stuttgarter Untergrund plötzlich bunt. An die Wände der 14 Meter hohen Tunnelröhren wurden gelbe, rote, grüne und blaue Buchstaben und Zahlen gesprüht. Was aussieht wie lustige Graffiti, ist Ergebnis harter, langer und vor allem teurer Arbeit: Jeder Farbklecks steht für eine Injektion Acrylat-Gel. Mit diesem Kunstharz wollen die Tunnelbauer des Bahnprojekts Stuttgart 21 gefährliche Gesteinsschichten zähmen: Anhydrit.“
Von den Kunstharzinjektionen als neues, zusätzliches Bauverfahren zum Schutz vor eindringendes Wasser in den quellfähigen Anhydrit haben die Anwohner des Killesberg erst im Juni 2016 aus der Zeitung erfahren. Dieses mindestens 144 Millionen teure Verfahren wurde vom Tunnelsachverständigen der Bahn, Prof. Dr. Wittke (WBI), nach einem Gutachten zum Dauersanierungsfall Engelbergtunnel empfohlen. Ende 2013 veröffentlichte er im Jahrbuch Tunnelbau 2014 einen Aufsatz über „Kunstharzinjektionen zur Abdichtung beim Tunnelbau im quellfähigen Gebirg„.
Dabei müssen die Injektionen als potentielle Wasserwege sämtliche Klüfte bzw. durch den Tunnelbau entstandene Auflockerungszonen im Gestein abdichten. Das Bauverfahren der Injektionen ist daher sehr zeit- und kostenaufwendig und soll die Betriebstauglichkeit der Tunnel über 100 Jahre garantieren. Falls die Lebensdauer der Injektionen nicht gegeben ist, drohen im schlimmsten Fall Steckensperrungen wegen langwierigen und teuren Reparaturarbeiten sowie Hebungen und Gebäudeschäden an der Geländeoberfläche.
Auf der bislang einzigen Anwohnerveranstaltung im November 2015 (Beitrag/ Präsentation Bahn) war trotz Nachfrage des Netzwerks Killesberg von den geplanten Bauverfahren beim Vortrieb im anhydritführenden, unausgelaugten Gipskeuper für den Bad Cannstatter und Feuerbacher Tunnel keine Rede. Auch in der Präsentation der Bahn im Bezirksbeirat Nord im Oktober (Beitrag / Präsentation) blieb die Bautechnik im Anhydrit ebenfalls ausgespart.
Lediglich in den Unterlagen des 17. Lenkungskreises (Anlage WBI) findet man ein paar Informationen zum neuen Bauverfahren im Anhydrit; allerdings nicht die sehr kritischen Einschätzungen der vom Aufsichtsrat der DB AG beauftragten Prüfer von KPMG bzw. Ernst, Basler + Partner, die ebenfalls an dem Fachgespräch teilnahmen. Die Wirtschaftsprüfer von KPMG und Ernst Basler + Partner stellten vor einem Jahr in einem Gutachten für den Aufsichtsrat fest: „Zusammenfassend stellen wir fest, dass es für Tunnel im Anhydrit (…) keine bautechnische Lösung gibt, welche eine risiko- bzw. unterhaltsfreie Nutzungsdauer über Jahrzehnte, erst recht nicht bis zur (…) Nutzungsdauer von 100 Jahren, zuverlässig sicherstellen kann.“ Das Gutachten, über das wir in Auszügen berichtet hatten, ist bis heute offiziell unter Verschluss.
Weitere Informtionen zur Funktionsweise und Sicherheit der Injektionen im anhydrithaltigen Gestein sucht man auf der Webseite der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH (PSU) vergeblich. Daher möchten wir technisch Interessierte auf zwei Veröffentlichungen aufmerksam machen, die im Fachmagazin „Tunnel“ bzw. auf der Webseite www.tunnel-online.de erschienen sind und sich mit dem neuen Verfahren im Anhydrit sowie der Verträglichkeit und Haltbarkeit der Injektionen beschäftigten:
1. Injektionen zur Begrenzung von Wasserzutritten in anhydritführendes Gebirge von Prof. Dr.-Ing. Walter Wittke, Dr.-Ing. Martin Wittke, Dr.-Ing. Claus Erichsen, Dipl.-Ing. Dieter Schmitt (WBI) und Christoph Lienhart (PSU).
- Hier berichten die für den Bau des Bad Cannstatter und Feuerbacher Tunnels verantwortlichen Ingenieure über die Ergebnisse eines Injektionsversuchs im Tunnel Feuerbach. Ferner werden die laufenden Acrylatgelinjektionen im Cannstatter Tunnel erwähnt, bei den „die vom Fels aufgenommene Mengen hier größer als im Versuchsfeld des Tunnels nach Feuerbach“ sind.
- Danach wird Polyurethan nur für die vorauseilende Abdichtungsinjektionen im Rahmen der Vortriebssicherung verwendet. Die Auflockerungszonen in der Umgebung der Tunnel werden mit Acrylatgel abgedichtet, da dieses wegen seiner niedrigen Viskosität (Dünnflüssigkeit) auch die Abdichtung gering durchlässiger Bereiche erlaubt.
2. Nachweis der Eignung von Injektionsstoffen für abdichtende Gebirgsinjektionen von Dipl.-Ing. Matthias Rudolph, Dr.-Ing. Ute Hornig (MFPA Leipzig).
- Hier geht es darum, ob das eingesetzte Acrylatgel auch den Anforderungen im Tunnelbau und der mindestens auf 100 Jahre geplanten Nutzung entspricht.