Offene Fragen auf der Informationsveranstaltung für den Norden. Kein Zeitplan, keine Zahlen zu Lärmpegel und Lkw-Verkehr

Ganze drei Stunden dauerte letzten Dienstag die Infoveranstaltung für den Stuttgarter Norden, zu der die Bürgerbeauftragte Alice Kaiser und Sabine Mezger, die Bezirksvorsteherin für Stuttgart Nord, eingeladen hatten.  Es war die erste Veranstaltung nach über zwei Jahren. Auf der Veranstaltung waren erneut weder Ton- noch Bildaufnahmen erlaubt. Die Folien der Vorträge von Christoph Lienhard (Technischer Abschnittsleiter des Cannstatter Tunnels), Prof. Dr. Walter Wittke (Beratender Ingenieur für den Tunnelbau) Wolf-Dieter Tigges (Verantwortlicher für die Baulogistik), und Dr.Florian Bitzer (Abschnittsleiter für Umwelt und Projektpartner) finden Sie hier. Die beiden Stuttgarter Zeitungen (StZ / StN) berichteten über die angekündigten Sprengungen sowie die Umplanung des Tunnelvortriebs an der Ehmannstraße und im Innenstadtteil (hier) über die Veranstaltung.

Für viele Zuschauer hinterließ die Veranstaltung ein zwiespältiges Gefühl. Die insgesamt fast 1,5 Stunden langen Vorträge der Bahnvertreter waren geprägt vom Tenor, dass man  bei Stuttgart 21  alles im Griff habe. Dabei mussten viele Anwohner im Norden bislang die Erfahrung machen, dass dies beim Projekt bislang nicht der Fall war bzw. ist. Die Baustraßen wurden gegenüber der Planung  mit jahrelanger Verspätung in Betrieb genommen und belasteten die Anwohner des Nordbahnhofviertels. Lärmprognosen am Wart- und Kriegsberg erwiesen sich als zu niedrig kalkuliert. Der Tunnelvortrieb am Zwischenangriff Prag kann deswegen bis zum Bau des Schallschutzdaches nicht „auf Volllast“ betrieben werden. Viele Anwohner am Wartberg erhielten von der Bahn erst die Zusage für passivem Schallschutz, dann kurz darauf wieder die Absage und wurden jetzt wieder nach neuen Prognosen in das Programm aufgenommen. Aktive Lärmschutzmaßnahmen, wie die Umstellung der Rückwärtsfahrpipser auf weniger belastende Warnsysteme, erfolgten erst auf Drängen der Anwohner. Die Belastungen der Anwohner entlang der zentralen Baulogistikfläche, wie sie die StZ in ihrer Reportage schilderte, können auch die an der Veranstaltung vorgestellten Maßnahmen der Bahn leider nur bedingt reduzieren.

Dass trotz der drei Stunden und den umfangreichen Vorträgen wichtige Fragen offen geblieben sind, zeigt die Gegenüberstellung des Netzwerks Killesberg und Umgebung e.V.  und Nordlichter (hier) über die Informationen der Bahn zu den eingereichten Fragen. Offen blieben die Fragen zu den/der

  – anstehenden Baumaßnahmen bis Ende 2016:

  • Man müsste meinen, dass diese Information auf einer Anwohnerveranstaltung für ein Großprojekt eine Selbstverständlichkeit ist. Dies war auch auf den letzten Veranstaltungen immer Standard. Auch wenn die meisten Zeitpläne nicht eingehalten wurden. Doch auf der Infoveranstaltung für den Stuttgarter Norden wollten die Bahnvertreter keine Auskunft geben, weder zum Baubeginn am Zwischenangriff Ehmannstraße noch beim Tunnelvortrieb entlang der einzelnen Röhren. Im Gegenteil. Projektchef Manfred Leger reagierte auf die Nachfrage des Netzwerks Killesberg sehr gereizt und mit dem Hiweis, dass  diese Information über den geplanten Baufortschritt  nur den entsprechenden Gremien,  dem Lenkungskreis und dem Aufsichtsrat der Bahn, vorbehalten sei!
  • Das Netzwerk wandte ein, dass die vom Tunnelbau im Stuttgarter Norden betroffenen Eigentümer und Anwohner doch allein schon wegen der zeitnahen Beweissicherung Bescheid wissen müssten, welche Tunnelstrecke nach der derzeitigen Planung bis Ende 2016 vorgetrieben werden soll.
  • Auch die konkrete Frage des Netzwerks Killesberg, wann der Tunnelvortrieb die obere Birkenwaldstraße erreicht habe, konnte der Technische Abschnittsleiter Christoph Lienhard nicht konkret beantworten. Wenn man einen täglichen Vortrieb von 4 Metern erreichen würde, dann wäre die etwa ein Kilometer lange Strecke in 250 Tagen geschafft. Bei einer geringeren Vortriebsleitung wäre dies entsprechend später der Fall.
  • Zwar ist auch den Anwohnern bewusst, dass beim Tunnelbau „vor der Hacke dunkel“ ist. Doch ein grober Zeitplan müsste existieren, um allein schon die Einhaltung zu überprüfen und wie die Bahn im Lenkungskreis betont hatte, „Gegensteuerungsmaßnahmen“ einzuleiten.
  • Möglicherweise liegt die dünnhäutige Reaktion des Projektchefs daran, dass sich abzeichnet, dass der Zeitplan für die Inbetriebnahme bei Stuttgart 21 zum Ende des Jahres 2021 wahrscheinlich nicht gehalten werden kann. Erste Signale dazu hatte Bahnvorstand Volker Kefer letzte Woche im Lenkungskreis ausgesendet. Manfred Leger sprach in seiner Begrüßung zwar von einer „Situation, die wir als Projektgesellschaft als zufrieden bezeichnen können“. Aber im Gegensatz zu den letzten Anwohnerveranstaltungen war nicht mehr von der Inbetriebnahme zum Ende 2021 die Rede.

– Risiken des Baus im Anhydrit

  • Die Frage des Netzwerks Killesberg nach der Bewertung der Risiken aus den geologischen Bedingungen (Lage des Anhydrits und der Auslaugungsfront) wurde nur unzureichend behandelt. Zwar enthält die Präsentation geologische Schnitte des Cannstatter und Feuerbacher Tunnels und die ungefähre Lage des unausgelaugten Gipskeupers. Jedoch keine Aussagen darüber, mit welchen Schutzmaßnahmen ein Wasserzutritt und damit das Quellen des Gesteins verhindert werden soll. Stattdessen war in der Veranstaltung von Herausforderungen die Rede, die man im Griff habe. In einem Nebensatz wurde erwähnt, dass der trockenen Vortrieb im Anhydrit mit vorauseilenden Kunstharzinjektionen zum Abdichten der Wasserwegsamkeiten erfolgt und die Innenschale auf den Quelldruck durch den Anhydrit bemessen sei. Ansonsten keine weiteren Informationen.

 – Informationen über Vortriebsstand

  • Auch an der für die betroffenen Anwohner unzureichenden Informationen über den Vortriebsstand wird sich leider nichts verbessern. Die bereits im Januar 2015 angekündigte grafische Information über den Vortriebsstand auf der biss21-Seite (hier), die den Anwohnern auch eine Lokalisierung des aktuellen Vortriebsstandes ermöglichen würde, wird aus technischen Gründen nicht umgesetzt. Nach Aussage von Manfred Leger sind die Umprogrammierungen dafür zu aufwendig.
  • Den aktuellen Vortriebsstand zum Zeitpunkt der Infoveranstaltung findet man allerdings in der Präsentation der Bahn. Hier ein Auszug. Die grün markierten Strecken sind im PFA 1.5. vorgetrieben:Vortriebstand PFA 1.5.

 – fehlenden Infoveranstaltungen zu den Gestattungsverträgen:

  • Bis heute fordern vom Tunnelbau betroffene Eigentümer die von der Bahn versprochenen kleineren Informationsveranstaltungen zu den Gestattungsverträgen ein. Die Antwort auf die Frage, warum diese nicht statt finden, blieb die Bahn auf der Veranstaltung schuldig. Dabei steht für zahlreiche Wohneigentümer am Killesberg die Unterfahrung „vor der Tür“. Zeit für Informationen und Verhandlungen wird vielen Eigentümern nicht eingeräumt.

 – Baulogistik:

  • Im Unklaren blieben die Anwohner auch über die Belastungen durch den Lkw-Verkehr durch das Nordbahnhofviertel. Der Rechtsanwalt der Bahn, Dr. Peter Schütz, erklärte die Materialanlieferungen über die öffentlichen Straßen bzw. das Wohngebiet für zulässig. Dagegen steht die Einschätzung des Ordungsbürgermeisters Martin Schairer, der in dem er der Beschwerde der Nordlichter unmissverständlich Recht gibt.
  • Dabei wird sich das Problem noch in der Phase deutlich verschärfen, wenn für die Innenverschalung der Tunnel Beton und andere Baumaterialien an den Zwischenangriff Nord angeliefert werden müssen.  Die Bahn informierte auch nicht, dass nach dem schalltechnischen Detailgutachten vom Juli 2015 tagsüber (7 bis 20 Uhr) bis zu 204 Lkws im Nachtzeitraum bis zu 176 Lkws Baumaterial anliefern werden.  Sprich im Tag- und Nachtzeitraum werden durchschnittlich aller 3-4 Minuten Lkws mit Betonlieferungen durch das Nordbahnhofviertel fahren.
  • 2/3 des Abraums aus dem Tunnelvortrieb an der Ehmannstraße soll unterirdisch über den Zwischenangriff Nord abtransportiert werden. Dies ist für die Anwohner sicherlich eine Erleichterung. Allerdings blieb unklar, über welche Transportwege die Baumaterialanlieferung erfolgen soll.

 – Immissionen an den Tunnelportalen

  • Trotz mehrfacher Nachfrage konnte der Gutachter und Immissionsschutzbeauftragte der Bahn für den Lärmschutz, Peter Fritz, keine Auskunft darüber geben, mit welchem Emissionspegel zukünftig am Zwischenangriff Prag zu rechnen sei. Dies würde derzeit noch in einem neuen Gutachten ermittelt. Er musste auch einräumen, dass das im Juli 2015 veröffentlichte schalltechnische Detailgutachten, auf dem der Anspruch auf passivem Schallschutz basiert,  nicht das geplante Bauszenario am Zwischenangriff Prag einer Güterzugverladung mit Förderband enthält. Er gehe jedoch davon aus, dass der Lärmpegel leiser werde. Mehr konnte er dazu nicht sagen. Dr. Bitzer erklärte auch das nichtplanfestgestellte Förderband als Schallschutzmaßnahme. Zum Güterzugtransport, der ebenfalls nicht von der Baugenehmigung abgedeckt ist, kam keine Information.
  • Unklar bleibt auch, wie das Lüftungssystem am Zwischenangriff Prag bzw. den darüber betriebenen Tunnelvortrieben funktioniert und welche Emissionen damit verbunden sind. Die Rede war von einem neuen System und dass zwei der Lüftungskanäle über das 16 Meter hohe Dach hinaus ragen werden. Zusätzlich sieht die Planung drei kreisrunde Öffnungen für die Belüftung unter dem Dach vor.
  • Dass die Anwohner bereits jetzt schon bei dem reduzierten Tunnelbaubetrieb durch die Abgase aus der Belüftung des Zwischenangriffs belastet sind, musste der Immissionsschutzbeauftragte für Staub und Luftschadstoffe, Dr. Achim Lohmeyer, einräumen. Er sah jedoch keine Notwendigkeit dies zu verifizieren. Messungen am Zwischenangriff Nord hätten ergeben, dass dort die Grenzwerte eingehalten werden. Dass am Zwischenangriff Prag wegen des Taleinschnitts und der Nähe der Wohngebäude eine ganz andere klimatische Situation als beim Zwischenangriff Nord herrscht, der auf einer freien Fläche betrieben wird, blieb unerwähnt.
  • Auch zum Umstand, dass nach einem aktuellen schalltechnischen Detailgutachten für die Innenstadt vom Oktober am Kriegsberg höhere Pegel prognostiziert werden und damit mehr passiver Schallschutz erforderlich ist, wurden die Anwohner nur unzureichend informiert. Zwar geht das neue Gutachten zu Recht von einem Worst-case aus, dass an mehreren Baufeldern für den Tiefbahnhoftrog parallel gearbeitet wird. Doch die höheren Lärmpegel am Nordkopf resultieren überwiegend aus dem Umstand, dass erstmals der Lärm für den Tunnelbaubetrieb am Kriegsberg in einem Gutachten berücksichtigt bzw. berechnet wurde. Wir werden noch darüber berichten. Doch auch als Ulrich Hangleiter, Sprecher des Netzwerks Killesberg und Umgebung darauf hinwies, stritten die Bahnvertreter auf dem Podium dies vehement ab.
  • Welcher Lärm durch den Baubetrieb an den Tunnelbaustellen an der Ehmannstraße verbunden sein wird, wurde nicht erwähnt.
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