Vor der Sommerpause hatten wir in einem längeren Beitrag eine Zwischenbilanz zum Tunnelbau bei Stuttgart 21 gezogen. Jetzt möchten wir kurz über den Baufortschritt bzw. aktuellen Tunnelvortrieb bei Stuttgart 21 informieren. Der letzte veröffentlichte Stand des Kommunikationsbüros stammt vom 7.September (hier). Leider werden weiterhin nur die reinen Vortriebszahlen auf die Webseite gestellt. Eine Abschätzung, wo sich der Tunnelvortrieb aktuell ungefähr befindet, wäre nur mit Nachmessen möglich. Zumindest sind jetzt die Zwischenangriffe und Stollen auf www.biss21.de eingezeichnet. Das noch Anfang Januar im Amtsblatt der Stadt Stuttgart angekündigte Projekt, dass der aktuelle Vortriebsstand auch visuell aus der www.biss21.de abgerufen werden kann, ist leider immer noch nicht realisiert. Nach Aussage der städtischen Bürgerbeauftragten Alice Kaiser im April auf der Infoveranstaltung für den Stuttgarter Osten wird sich die technische Umsetzung noch bis Ende des Jahres hinziehen. Dass hier Transparenz erforderlich ist, zeigen die beiden Fälle am Killesberg und in Wangen, über die wir berichtet haben.
Dass es auch bei einem Mega-Tunnelbauprojekt transparenter geht, zeigt das Londoner Cross-Rail-Projekt, über das wir berichtet haben. Die Webseite des Projekts zeigte auf dem Stadtplan nicht nur die aktuell sich im Bau befindlichen Strecken an, sondern bot auch die grafische Information für die Anwohner, welche Abschnitte in den nächsten 30 bzw. 90 Tagen von den Tunnelbohrmaschinen aufgefahren werden sollen. Alle Baustelleninformationen konnten auch in 13 weiteren Sprachen angefordert werden. Seit August 2015 sind die 42-km maschinell mit mehreren Tunnelbohrmaschinen aufgefahrenen Tunnel unterhalb Londons im Rohbau hergestellt. Der SWR berichtete darüber.
In Stuttgart arbeitet die Bahn aktuell im maschinellem Vortrieb Richtung Hoffeld und bergmännisch unter der Killesberg-Mönchshalde, Wangen und dem Kernerviertel. Die Stuttgarter Zeitung berichtet heute (hier), dass die Bahn auch unterhalb der Mönchshalde sprengen wird. Bleibt zu hoffen, dass die Sprengungen bei der Überdeckung von 40 bis 100 Meter nicht so deutlich wahrgenommen werden wie in Wangen. Hier erleben die Anwohner der Nähterstraße mit einer Überdeckung von weniger als 30 Meter die rund um die Uhr durchgeführten Spreng- und Meiselarbeiten „hautnah“ mit. Doch ein Messgutachten zur Zulässigkeit der Arbeiten im Nachtzeitraum von 20 bis 7 Uhr, aktuelle Messergebnisse zu Lärm und Erschütterung sucht man trotz der Beteuerungen der Bahn um mehr Transparenz vergeblich auf der Webseite. Das Netzwerk Wangen hakt bei der Bahn nach.
Zurück zum aktuellen Vortriebsstand. Eine Übersicht der Netzwerke mit den seit Juni 2014 veröffentlichten Zahlen finden Sie hier. Wir haben daneben noch die veröffentlichten Zahlen um einige Auswertungen, wie den durchschnittlichen täglichen Vortrieb der letzten 3 Monate sowie die restliche Strecke ergänzt. Die Übersicht zeigt beim Vortriebstand deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Tunneln und Röhren:
Während bei maschinellen Vortrieb 22% der Strecke aufgefahren und mit dem Einbau der Tübbinge auch im Rohbau hergestellt ist, sieht es beim bergmännischen Vortrieb völlig anders aus. Nur beim Tunnel Cannstatt kommen die Vortriebsarbeiten mit 36% voran. Die Vortriebszahlen für den Feuerbacher Tunnel (seit Dezember 2014) und dem Tunnel Obertürkheim (seit Dezember 2013) liegen bei rund 8%. Statt der auf den Infoveranstaltungen angekündigten 2-3 Meter täglich, liegen die Zahlen bis auf die Weströhre des Cannstatter Tunnels Richtung Hauptbahnhof entlang der einzelnen Strecken deutlich darunter.
Die Bahn muss bei Stuttgart 21 noch rund 39 Kilometer bzw. 86,4 % der bergmännischen Tunnel graben und 43 Kilometer zur Herstellung des Rohbaus innenverschalen. Nach dem Rohbau müssen noch alle Tunnelröhren eisenbahntechnisch innen ausgerüstet werden. Ebenso ist noch ein einjähriger Bahntestbetrieb vorgesehen. Projektchef Manfred Leger versicherte bereits mehrfach, dass die Intriebnahme von Stuttgart 21 zum Ende des Jahres 2021 ohne den Filderabschnitt 1.3b zu halten sei. Bahnvorstand Volker Kefer erklärte im April 2015 vor dem Verkehrsausschuss des Bundestages, dass der Rohbau von Stuttgart 21 bis 2019 fertiggestellt wäre mit den Worten „Das klappt, wenn wir pro Monat in Stuttgart einen Kilometer Tunnel bauen.“
Wir haben bereits mehrfach angezweifelt, dass dieser Zeitplan -auch bei einem monatlichen Vortrieb von einem Kilometer- nicht realistisch ist. Von daher lohnt sich wieder der Blick auf die Monatszahlen, die wir anhand der wöchentlichen Vortriebsstände ausgewertet haben:
Danach hat die Bahn trotz Steigerung der bergmännischen Vortriebszahlen bislang in keinem Monat die 1.000 Meter-Marke geknackt. Seit Juni 2015 ist die Meterzahl der monatlich maschinell aufgefahrenen Strecke deutlich zurückgegangen. Dies könnte auch mit dem knappen zeitlichen Vorlauf für die Unterfahrungsrechte bzw. die mangelnde Zustimmung der Eigentümer in Hoffeld/Degerloch in die Vertragsbedingungen der Bahn zusammenhängen.
Auch wenn uns bewusst ist, dass es wegen der schwierigen Stuttgarter Geologie „vor der Hacke sehr dunkel ist“, haben wir eine schlichte Hochrechnung für den Zeitaufwand der bergmännischen und maschinellen Reststrecke auf Basis des bisherigen durchschnittlichen Vortriebs erstellt. Danach würde die Bahn für die weitere bergmännische Strecke bei Stuttgart 21 von rund 39 Kilometer noch weitere 7,5 Jahre allein für den Vortrieb ohne Verschalung benötigen. Die Vortriebszahlen werden zwar mit dem Baustart der Tunnel vom Kernerviertel (geplant Ende 2015), vom Zwischenangriff Benzstraße in Untertürkheim (2016?) und Obertürkheim (2016?), S-Bahn- und Flughafentunnel (?) noch wachsen. Fertig gestellte Teilbereiche können innenverschalt werden.
Trotz allem, wie die Bahn den Rohbau einschließlich Verschalung der bergmännischen Strecken bis Ende 2018/ Anfang bzw. Mitte 2019 herstellen will, bleibt ein Rätsel. Die Projektplanung der Bahn ging auch bei der letzten Lenkungskreissitzung davon aus. An unserer Einschätzung, dass der Bahnvorstand noch erhebliche Zeitverzögerungen und Kostensteigerungen beim Megaprojekt Stuttgart 21 einräumen muss und die Anwohner deutlich länger vom Baubetrieb betroffen sind, hat sich auch nach den aktuellen Zahlen nichts geändert.