Brigitte Lösch, Landtagsabgeordnete der Grünen und Vize-Landtagspräsidentin, hat sich in einem aktuellen Schreiben (hier) an Manfred Leger, den Geschäftsführer der DB Projekt wegen des Enteigungs- und Entschädigungsverfahren sowie der Haftung bei der Unterfahrung von Stuttgart 21 gewandt. Eigentümer in Stuttgart-Wangen kamen auf sie als Abgeordnete ihres Wahlkreises zu, weil sie sich in den Vertragsverhandlungen mit der Bahn und der anschließenden vorzeitigen Besitzeinweisung vor dem Regierungspräsidium unfair behandelt gefühlt haben.
Brigitte Lösch fragt bei der Bahn u.a. zu folgenden Punkten nach, die auch seit langem auch von den Netzwerken kritisiert werden:
- Die von der Bahn angebotene Entschädigungssumme für die Unterfahrung basiert nur auf dem Bodenrichtwert des Grundstücks und nicht auf dem tatsächlichen Bodenwert. Das Landesenteignungsgesetz sieht jedoch eine Entschädigung nach dem konkreten Verkehrswert des Grundstücks vor.
- Die Bahn besteht bei den Unterfahrungsrechten auf eine Eintragung in Abteilung III des Grundbuchs an erster Stelle, noch vor eventuellen Hypothekenbelastungen.
- Die Bahn bietet nur eine Haftung auf Beweis des ersten Anscheins nur für die eigentliche Vortriebsphase an. Dabei können die Tunnelvortriebsarbeiten auch danach durch Setzungen und Hebungen noch zu Schäden an dem Gebäude und den darunterliegenden Leitungen führen.
- Die Bahn sichert vertraglich nur eine Bauweise nach den allgemein anerkannten Regeln und nicht nach dem aktuellen technischen Stand zu.
Die Eigentümer in Wangen sind besonders an fairen Vertragsbedingungen interessiert, da die Häuser am Hangfuß nur in geringer Tiefe von teilweise unter 30 Metern unterfahren werden. Ein Wert, bei dem auch die Bahn einräumt, dass sich der Tunnelbau auf die Geländeoberfläche auswirkt. Die biss-Karte weist zwar höhere Unterfahrungstiefen aus:
Die Bahn berechnet jedoch diese Werte jeweils vom Scheitelpunkt der Tunnelsohle bis zur Geländeoberfläche. Dass dazwischen noch der eigentliche Tunnel und der Keller des Hauses liegt, bleibt unberücksichtigt. Daher müssen von den in der biss-Karte ausgewiesenen Unterfahrungstiefen noch ca. 6,60m für den Tunnel und die Höhe der Unterkellerung abgezogen werden. Nähere Erläuterungen finden Sie dazu in einem Video von Klaus Gebhard aus dem Jahr 2012.
Ein betroffener Wangener Eigentümer, dessen Haus komplett von der Tunnelröhre Wangen-Hauptbahnhof in weniger als 30 Meter unterfahren wird, berichtete uns frustriert über seine Erfahrungen mit der Bahn:
- Er hatte die Bahn bereits 2012 angeschrieben und um einen Vertragsvorschlag gebeten. Erst hieß es, sein Gebäude werde 2014 unterfahren, dann 2015. Ein Gespräch mit der Bahn und dem von ihm beauftragten Anwalt kam jedoch erst jetzt im Frühsommer 2015 zustande. Die ihm wichtigen Punkte, eine faire Entschädigung- und Haftungsregelung, lehnte die Bahn ab.
- Die Bahn beantragte anschließend die vorzeitige Besitzeinweisung, da sie gegenüber dem Regierungspräsidium argumentierte, dass sein Haus zum 31.8.2015 unterfahren werde und eine Einigung nicht erzielt wurde. Er erhielt vom Regierungspräsidium eine kurzfristige Einladung zum 31.7.2015, seinem ersten Ferientag, an dem er verreisen wollte. Eine Verschiebung des Verfahrens war nicht möglich. Seinen Urlaub konnte er erst einen Tag später antreten. Bis heute (14.9.) wurde jedoch sein Haus nicht unterfahren.
- Informationen über den aktuellen Vortriebsstand hat er bislang von Seiten der Bahn nicht erhalten. Bei einer Rückfrage an die Wangener Bezirksvorsteherin und Tunnelpatin Beate Dietrich, erhielt er lediglich die Tunnelvortriebslängen in Metern. Anhand der Karte versuchte er die Vortriebsposition auszurechnen.
- Nach seinem Eindruck versuchte die Kommission vor dem Regierungspräsidium keinen Kompromiss zwischen den Parteien auszuhandeln, wie es eigentlich nach dem Gesetz vorgesehen war. Stattdessen wurde ihm unterschwellig von der Behörde das Gefühl vermittelt, dass er als Eigentümer nicht bereit sei, ein Opfer für die Allgemeinheit zu bringen.
- Dabei räumte die Bahn ein, dass sein Haus sich um 2cm setzen wird. Er befürchtet auch weitere Setzungen nach dem eigentlichen Tunnelvortrieb und Spätfolgen, wie z.B. bei beschädigte Rohrleitungen.
- Von Seiten der Bahn erhielt er die Auskunft, dass er beim unterirdischen Bahnbetrieb- jeden durchfahrenden Zug spüren werden, d.h. ständige Erschütterungen auf sein Haus einwirken.
- Die Gutachten für die Belastungen durch Lärm und Erschütterungen des Zugverkehrs wurden vom Gutachterbüro Fritz GmbH erstellt, das auch die zu niedrigen Berechnungen für die oberirdischen Lärmbelastungen im Kernerviertel und am Zwischenangriff Prag verantwortlich ist. Er befürchtet, dass er auch ggf. noch von höheren Immissionswerten durch den unterirdischen Bahnbetrieb betroffen sein wird.
- Seine Immobilie verliert durch die Unterfahrung, den zu spürenden Bahnbetrieb und durch die Grundbucheintragung der Bahn an erster Stelle an Wert. Dieser Wertverlust wird durch das Entschädigungsangebot der Bahn, das nur das Grundstück aber nicht das Gebäude berücksichtigt, nicht im geringsten kompensiert.
- Dabei hat die Bahn durch die Grundstücksverkäufe bei Stuttgart 21 erhebliche Erträge erzielt, die nur durch die geplante Untertunnelung von mehr als 3.000 Stuttgarter Grundstücken möglich sind. Das ursprünglich angesetzte Budget bei Stuttgart 21 für die Entschädigung der betroffenen Eigentümer wurde in dem „Sparpaket“ 2009, deutlich gekürzt.
- Die Belastungen durch die seit Monaten laufenden Vortriebsarbeiten unterhalb Wangens sind enorm. Er und seine Familie hören und spüren seit längerem die Sprengungen und besonders die rund um die Uhr, auch Nachts, stattfindenen Meisselgeräusche. Auf die Nachfrage, warum die Sprengungen und Meisselarbeiten auch im Nachtzeitraum, d.h. vor 7 Uhr und nach 20 Uhr zulässig sind, erhielt er lediglich die Auskunft, dass der Immissionsschutzbeauftragte Peter Fritz die Einhaltung der Richtwerte der AVV-Baulärm bestätigt habe. Diese Aussage wurde auch an die Polizei weitergegeben, die bei jeglichen Beschwerden abwiegelt. Beschwerden bei der Bauinfo seien wenig hilfreich bzw. würden ins Leere gelaufen. Auch auf die Strafanzeige hin, die er mit 26 weiteren Wangener Bürgern im November 2014 wegen der lauten Sprengungen eingereicht hat, hat er bis heute keine einzige Reaktion erhalten. Entsprechende Messgutachten, die die Zulässigkeit der Arbeiten im Nachtzeitraum bestätigen, sucht man vergeblich auf der Webseite des Kommunikationsbüros.
- Schriftlich zugesagte Erschütterungsmessgeräte wurden lange Zeit nicht aufgestellt, obwohl die Sprengungen deutlich zu spüren waren. Als er bei der Wangener Bezirksvorsteherin nachhakte, erhielt er die Anfang September die Auskunft, dass diese erst aufgestellt werden, wenn sein Haus vom Einwirkungsbereich betroffen sei. Dabei sollten die Vortriebsarbeiten unterhalb seines Hauses bereits Ende August laufen. Mittlerweile wurden Erschütterungsmessgeräte auf seinem Grundstück installiert.