Zur Informationsveranstaltung in Obertürkheim: Tunnelbau ruht und laute, oberirdische Trogbauarbeiten stehen an

Vor mehr als zwei Wochen waren nach April 2018 wieder Vertreter der Projektgesellschaft in Obertürkheim um den Bezirksbeiräten und den Anwohner/innen die anstehenden Bauarbeiten vorzustellen. Im Gegensatz zu früheren Informationsveranstaltungen war die Runde deutlich kleiner besetzt. Neben dem technischen Teamleiter Andreas Dörfel, der die Präsentation zeigte und die Fragen beantwortete, saßen noch der Obertürkheimer Bezirksvorsteher Peter Beier, der die Veranstaltung leitete, die neue Referentin Bauinfo, Sarah Rögele, und die Bürgerbeauftragte der Stadt, Ronja Griegel, auf dem Podium. Die Präsentation finden Sie auf der Webseite der Projektgesellschaft.

Die beiden Stuttgarter Zeitungen berichteten (hier) über die Infoveranstaltung. Der in der Schlagzeile angekündigte „Tunnelbau vor dem Durchbruch“ betrifft allerdings nicht Obertürkheim, sondern den Nachbarstadtteil Untertürkheim. Über den dort für dieses Jahr vorgesehenen Tunneldurchschlag hatten die beiden Stuttgarter Zeitungen (StZ /StZN) bereits im März geschrieben.

Wir möchten einen kurzen Überblick über die wichtigsten Punkte der Veranstaltung zu den geplanten Baumaßnahmen im Stadtteil Obertürkheim geben:

1. Obertürkheimer Tunnel

  • Den Stand des Tunnelbaus im Neckartal soll die die folgende Folie verdeutlichen. Die weißen Kästchen markieren den Vortriebsstand:

  • Aktuell laufen die Vortriebsarbeiten aus Kapazitätsgründen nur Richtung dem Tunnelast Untertürkheim. Der Vortrieb steht unter dem Konz-Steg und die Gleisunterfahrung steht an. Es fehlen noch 248 Meter. Der Tunneldurchschlag ist für dieses Jahr geplant. Der Tunnel mündet dann in das fertiggestellte Trogbauwerk. Von dort aus soll der Obertürkheimer Tunnel mit Material für den bahntechnischen Innenausbau beliefert werden. Damit soll der Zwischenangriff Wangen, dessen Schacht nur mit dem Aufzug erreicht werden kann, logistisch entlasten werden.
  • Als zweite, unterirdische Baustelle läuft vom Zwischenangriff Wangen aus der Einbau der Innenschale unter dem Stadtteil Wangen. Laut der Präsentation waren zum 26.06. 528 Meter innenverschalt. Allerdings war bereits Ende März in einem StZN-Artikel (hier)  von über mehr 500 Meter die Rede. Viel kann sich also im letzten Vierteljahr nicht getan haben. Man kann spekulieren, ob der Brand im Tunnel Anfang April dafür verantwortlich ist.
  • Der Tunnelvortrieb Richtung Obertürkheim steht wegen des hohen Wasserandrangs weiterhin auf der Höhe des Bruckwiesenwegs zwischen Unter- und Obertürkheim. Nach Aussage von Andreas Dörfel war der Vortrieb trotz des Wasserandrangs mit Ausnahme des Wassernachbruchs im Herbst 2016 am Albert-Dulk-Weg sicher.
  • Nach der von ihm auf der Veranstaltung präsentierten Folie summiert sich Wasserandrang, der an mehreren Stellen der Ortsbrust austritt, auf etwa 2 Liter pro Sekunde. In einem SWR-Bericht vom März 2019 war hingegen über eine Tunnellänge von 300 Metern von 30 Liter pro Sekunde die Rede, d.h. 2,5 Millionen Liter am Tag. Im TV-Beitrag plätschert es kräftig und die Tunnelbauer wateten durch Wasser.Auf Nachfrage erklärte Andreas Dörfel, dass es sich um einen Wasserandrang von 50 bis 60 l/s bezogen auf alle Tunnelvortriebe des Obertürkheimer Tunnel im Neckartal handelt. Hochgerechnet sind dies täglich bis zu 5,2 Millionen Liter.
  • Das erhöhte Wasserrecht zum Abpumpen wurde Anfang 2019 vom Eisenbahn-Bundesamt für ein Jahr genehmigt. Für die darüber hinaus gehende Wasserentnahme wird derzeit noch ein neues Grundwassermodell erarbeitet.
  • Dr. Hans-Jörg Jäkel von den Ingenieuren22 erinnerte auf der Infoveranstaltung, dass man nach der 2014 genehmigten Planänderung zum Grundwassermanagement in den Modellrechnungen der Bahn davon ausging, dass beim Bau des Obertürkheimer Tunnels deutlich weniger Wasser angetroffen werden wird. Mit den hohen Wassermengen, die entgegen den Berechnungen abgepumpt werden müssen, hätte damals im Zuge der Planänderung eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden müssen.
  • Um die restliche Tunnelstrecke bis Obertürkheim trotz des Wasserandrangs realisieren zu können, wurden seit Herbst zwei neue Tunnelvortriebsverfahren („Kalottenvortrieb mit seitlich angeordneten Horizontalfilterbrunnen“ und das „Düsenstrahlverfahren“) ausgetestet (Folie). Der Vortrieb Richtung Obertürkheim soll erst ab dem 1.Quartal 2020 starten. Insgesamt fehlen für beide Röhren in diese Richtung noch 1.195 Tunnelmeter:

  • Unklar blieb in der Veranstaltung, welches der beiden getesteten Verfahren zum Einsatz kommen soll. Zwar ist der Folie zu entnehmen, dass das Düsenstrahlverfahren „im weiteren Vortrieb zum Anwendung kommen“ soll. Beim Düsenstrahlverfahren wird ein Zement-Boden-Gemisch in den Untergrund injiziert. Dann war in der Veranstaltung davon die Rede, dass dieses Verfahren nur an den kritischen Stellen, wie im Bereich der Bruckwiesenbrücke, durchgeführt werden soll, damit die Pfeiler vor Setzungen geschützt werden. Ansonsten werde das in Hohlräumen gebundene Grundwasser während des Vortriebs über die Horizontalbrunnen unter Vakum dem Boden entzogen.
  • Bei dem abgepumpten Wasser handelt es sich um Grundwasser und einen kleinen Anteil Neckarwasser. Es sei kein Mineralwasser angetroffen worden. Das abgepumpte Wasser wird beim Untertürkheimer Inselkraftwerk zu Tage gefördert. Dazu wurde extra eine Grundwasseranlage eingebaut. Andreas Dörfel geht davon aus, dass sich nach Ende der Bauarbeiten der Grundwasserspiegel wieder einpendelt. Die Grundwasserabsenkung am Sportplatz wird vom Amt für Umwelt der Stadt Stuttgart überwacht.
  • Die beiden Bezirksbeiräte Monika Geiger (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) und Christoph Hofrichter (SÖS-LINKE-PluS) hakten wegen möglichen Rissen an Wohnhäusern in Obertürkheim, wie z.B. Reichbergstraße, aufgrund der langfristigen Senkung des Grundwasserspiegels nach. Laut Andreas Dörfel seien keine Schadensmeldungen bei der Bahn eingegangen. Er hält auch den Abstand des Absenktrichters zu den erwähnten Häusern als zu weit von der Tunnelbaustelle entfernt, um Schäden zu verursachen.
  • Geplant ist, dass der Tunnelvortrieb Richtung Obertürkheim 2021 fertiggestellt ist. Das Rohbauende ist für 2022/23 geplant. Dann sollen die für den Trogbau verschwenkten Gleise wieder zurück verlegt werden.
  • Hans-Jörg Jäkel, Ingenieure22,  erinnert an die Tunnelhavarie in Rastatt und an die Situation in Untertürkheim, weil die Bahngleise dort wie auch in Obertürkheim nur sehr knapp untertunnelt werden sollen. Andreas Dörfel argumentierte, dass diese Tunnelvortriebsarbeiten nicht miteinander vergleichbar seien. Im Gegensatz zu Rastatt würde in Unter- und Obertürkheim keine Tunnelvortriebsmaschine eingesetzt. Beim bergmännischen Vortrieb könne man auf eine veränderte geologische Situation deutlich schneller reagieren und hätte gegebenfalls die Möglichkeit den Tunnelvortrieb vorübergehend zu stoppen. In Untertürkheim wären auch ca. 8 Meter zwischen Tunnelfirst und Bahngleise. In Obertürkheim lägen die Gleise auch nicht auf einem aufgeschotterten Bahndamm.

2. Oberirdische Bauarbeiten in Obertürkheim

Nach Vorarbeiten und fünfundzwanzig, langfristig geplanten Sperrpausen (Folie) wurden im Mai 2019 die Gleise für das Trogbauwerk mit der geplanten Anbindung des Tunnels an die Bestandsgleise verschwenkt (Folie). Mit dem damit geschaffenen freien Baufeld muss nicht mehr in den Bahnverkehr eingegriffen werden. Sperrpausen sind erst wieder bei der Rückverschwenkung vorgesehen. 2020 sind auch keine Sperrpausen wegen der Sperrung der Schnellbahnstreck Stuttgart-Mannheim möglich. Die Bauarbeiten für das Trogbauwerk der Tunnelanbindung sind auf folgendem Obertürkheimer Bahngelände geplant:

  • Ab August 2019 werden die lärmintensiven Verbauarbeiten starten, die ca. auf ein Jahr incl. Aushub angesetzt sind (Folie). Auf der Infoveranstaltung wurde weder darüber informiert, welche lauten Baugeräte für den Verbau (Bohr- oder Rammpfähle?) zum Einsatz kommen, noch mit welchen Lärmbelastungen für die Anwohner zu rechnen sei.
  • Andreas Dörfel musste einräumen, dass das schalltechnische Gutachten, das die Schallimmissionen für die Umgebung prognostizieren soll, noch beim Gutachter Peter Fritz in Arbeit ist. Es sei kurz vor der Fertigstellung und würde dann auf der Webseite der Projektgesellschaft veröffentlicht. [Anmerkung: dies ist bis heute nicht erfolgt]. Es sei damit zu rechnen, dass Eigentümer in ca.70 bis 80 Meter Entfernung zur Baustelle wegen dem Anspruch auf passiven Lärmschutz (Schallschutzfenster) von der Projektgesellschaft angeschrieben werden. Eine Anwohnerin kritisierte, dass die Einholung von Angeboten, die Beauftragung und der Einbau von Schallschutzfenstern bis zum Baubeginn im August nicht realistisch sei.
  • Der Aushub für den Trog wird mit Lkws auf einer Baustraße entlang der Bahngleise, der Hafenbahnstraße Richtung Otto-Konz-Brücke und die B10 abtransportiert.
  • Es fallen nur noch Restarbeiten für den Bau des Kanals an, der in den Uhlbach umgeleitet wird (Folie). Dann ist die Augsburgerstraße wieder frei. In der Augsburger Straße mussten wegen den Bauarbeiten für Stuttgart 21 die Regenwasserkanäle in der Augsburger Straße ersetzt werden.
  • Die neue Fußgänger- und Radwegunterführung am Imweg wird im Frühjahr 2020 in Betrieb genommen (Folie). Mit der Inbetriebnahme kann dann der Radweg in diesem Bereich wieder rückverlegt und damit die Umleitung etwas verkürzt werden (Folie). Die restliche Strecke des alten Radwegs kann erst wieder in Betrieb genommen werden, wenn die Gleise wieder verschwenkt sind.
  • Auf der Baueinrichtungsfläche in Obertürkheim wird nach Ende der Baumaßnahmen ein umzäunter Rettungsplatz eingerichtet. Eine Umgestaltung und Nutzung als Aufenthaltsplatz für die Anwohner, z.B. zum Boule-Spielen, sei nicht möglich. Der Platz muss nach dem Sicherheitskonzept für die aus dem Tunnel geretteten Fahrgäste ständig bereit stehen. Auch das von Anwohnern vorgebrachte Argument, dass die Rettung aus dem Untertürkheimer Tunnelast auf die vierspurige Benzstraße führt und dort kein abgesperrter Rettungsplatz vorgehalten werden muss, zog bei Andreas Dörfel nicht.

3. Geplante Lärmschutzwand in Obertürkheim

  • Auf der Infoveranstaltung wurde länger über die geplante Lärmschutzwand diskutiert. Diese soll nicht im Bereich des Trogbaus, sondern in dem Abschnitt errichtet werden, in dem die vier Gleise auf sechs Gleise verschwenkt werden. Die Bahngleise rücken damit drei bis vier Meter näher an die Wohnbebauung des Imweg heran. Die vier Meter hohe Lärmschutzwand soll bis 17 dB(A) den Lärmpegel des Bahnverkehrs reduzieren (Folie).
  • Sie soll erst am Ende der Bauarbeiten errichtet werden, damit sie während der Bauarbeiten nicht beschädigt wird.
  • Die Bezirksbeirätin Monika Geiger (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) kritisierte, dass aus den präsentierten Plänen keine konkreten Entfernungen zur Wohnbebauung eingetragen sind. Man könne optisch nicht die Dimension der Lärmschutzwand und die Sichteinschränkung für die nahen Wohnhäusern erkennen (Folie). Auch CDU-Bezirksbeirat Matthias Föll forderte eine einfache Simulation der Wand, z.B. mit einem einfachen Holzgerüst. Andreas Dörfel bot an, dass man sich mit dem Bezirksbeirat über die Simulation und die Gestaltungsmöglichkeiten der Schallschutzwand austauschen könne. Dieses Jahr sei dies jedoch wegen der noch laufenden Bauarbeiten nicht erforderlich.
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