Auch im Obertürkheimer Tunnel erfolgen Kunstharz-Injektionen im Anhydrit

Auch in einigen kurzen Abschnitten des Obertürkheimer Tunnels zwischen Wangen und dem Verzweigungsbauwerk Süd unter der Jugendherberge werden wie bei den Tunnel unter dem Kriegs- und Killesberg zusätzliche Kunstharzinjektionen zur Abdichtung gegen den Wassereintritt im anhydritführenden Gipskeuper durchgeführt. Dies bestätigte Andreas Dörfel, Teamleiter Technisches Projektmanagement Abschnitt 1.2/1.6a der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH, auf Nachfrage der Netzwerke 21.

Bei der Tunnelführung unter dem Kernerviertel erwähnten Andreas Dörfel und Abschnittsleiter Günther Osthoff kurz, dass im Obertürkheimer Tunnel vor dem Einbau der Innenschale noch Injektionen durchgeführt werden. Jetzt konnte man in der Ankündigung des im Mai 2019 stattfindenden  5. Felsmechanik-und Tunnelbautag im WBI-Center entnehmen, dass Abschnittsleiter Günther Osthoff über „Einpressungen von Acrylatgel und Polyurethan zur Abdichtung des anhydritführenden Gipskeupers im Bereich der Tunnel nach Ober- und Untertürkheim“ sprechen wird.

Die Anwendung dieser Technik im Anhydrit ist trotz des hohen Aufwands und Kosten nicht unumstritten. Darüber berichtete im Mai 2018 die Stuttgarter Zeitung (hier). Eine  Anfrage zum Tunnelbau im Anhydrit an die Bundesregierung des Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel im Januar 2017 ergab, dass dieses Bauverfahren mit den Kunstharzinjektionen zum Schutz vor Wasserzutritt noch nicht beim Tunnelbau im stark quellfähigen Anhydritgestein eingesetzt wurde.

Weder auf den beiden Anwohnerverstaltungen für den Stuttgarter Osten 2015 und 2016 noch in den Lenkungskreisunterlagen, wie zuletzt vom November 2018, wurde darüber informiert. Der Obertürkheimer Tunnel verläuft unter der Gänsheide und der Wangener Höhe sowie in Teilen von Gablenberg durch quellfähigen Anhydrit. Hier ein Längsschnitt der Tunnelbausachverständigen WBI aus dem Jahr 2010. Rot eingezeichnet ist der unausgelaugte, quellfähiges Anhydrit führende Gipskeuper. Die kleineren, nicht zusammenhängenden Anhydritlinsen befinden sich unter Gablenberg. Links davon die Anhydritschicht unter der Gänsheide, rechts davon unter der Wangener Höhe:

http://netzwerke-21.de/wordpress/wp-content/uploads/WBI-Laengsschnitt-Tunnel-Obert%C3%BCrkheim.jpg

Auf unsere Nachfrage erhielten wir von Andreas Dörfel folgende Antwort, in der zwar der Einsatz von Kunstharz-Injektionen bestätigt, aber auch auf die Unterschiede zu der geologischen Situation unter dem Kriegs- und Killesberg im PFA 1.5. hingewiesen wird:

„Bezugnehmend auf Ihre Emails vom 16.03. sowie vom 18.03. möchten wir Ihnen nachfolgend Auskunft zu den bereits bei der Tunnelführung am 11.03. angesprochenen Injektionen geben:

Es ist korrekt, dass es sich bei den Injektionen in der Zuführung Ober- und Untertürkheim um ein Verfahren analog zum Feuerbacher respektive Cannstatter Tunnel handelt. In der Zuführung Ober- und Untertürkheim unterscheidet sich die Situation insofern, als dass Grundwasser führende Schichten wie aus der Vorerkundung bekannt nur lokal aufgefahren wurden und Grundwasserzutritte relativ eng begrenzt sind.

Aus der Vorerkundung hinlänglich bekannt sind die Übergangsbereiche von der „nassen“, der Verwitterung ausgesetzten Seite zum „trockenen“, Anhydrit führenden Gebirge. Hier fungieren die planmäßigen Dammringbauwerke als hydraulische Sperren.

Im Zuge der detaillierten vortriebsbegleitenden Erkundung war es möglich, über jeden Abschlag die Ortsbrust zu beproben und anhand der gewonnenen Analysenergebnisse detaillierte Informationen über die geologischen Verhältnisse zu erhalten. Grundsätzlich bestätigt werden konnte so das bekannte Modell zweier als Homogenbereiche ausgebildeter Anhydritlinsen zwischen Verzweigungsbauwerk und ZA Ulmer Straße mit Unterbrechung ungefähr im Bereich unterhalb des Gablenberger Friedhofs. Ebenfalls bestätigt hat sich der Schichtenverlauf, wonach im Bereich östlich des Gablenberger Friedhofs der Bochinger Horizont unter die Tunnelröhren abtaucht. Als lokal Grundwasser führender Horizont tritt über den Dunkelroten Mergeln mit ca. 8-10 m Mächtigkeit, die Bleiglanz-Bank (km1BB) auf – mit ähnlicher Ausbildung und lokaler Grundwasserführung.

Bei den Flächeninjektionen handelt es sich um zusätzliche Maßnahmen, um für die gesamte Lebensdauer der Tunnel das Gebirge im Bereich der Tunnelröhren dauerhaft abzudichten. Die Länge der Injektionsabschnitte variieren in Abhängigkeit von den hydrogeologischen Verhältnissen zwischen 20 Meter und 130 Meter – räumlich verteilt auf drei Schwerpunkte: Das Umfeld der Verbindbauwerke 2 (Gänsheide) und 4 (Gablensberger Friedhof) sowie westlich der Jägerhalde in Stuttgart Wangen. Insgesamt handelt es sich um räumlich sehr begrenzte Bereiche von weniger als zehn Prozent der gesamten Tunnelstrecke.“

Der Obertürkheimer Tunnel ist mit zwei Röhren à 6 km insgesamt ca. 12 Kilometer lang. Es wären insgesamt weniger als 600 Meter pro Tunnelröhre, verteilt auf mehrere Abschnitte entlang der ca. 3,2 km langen Strecke zwischen dem Verzweigungsbauwerk Süd und der Wangener Höhe. Damit kommen die Kunstharz-Injektionen in diesem Tunnel auf deutlich kürzeren Strecken zum Einsatz als beim tiefliegenden Anhydrit im PFA 1.5.

Allerdings geht seine Antwort leider nicht auf die Injektionen ein, die 2017 anlässlich eines Wasserzutritts beim Vortrieb am Rande Gablenbergs zum Schutz vor Quellvorgängen erforderlich waren. Dies konnte man einem im EU-Amtsblatt veröffentlichten Nachtrag vom Dezember 2017 zur Durchführung von Injektionen im Gleis 61 HBF (TM 2260-2400)  entnehmen. Darin heißt es:

„Trotz umfangreicher geologischer Erkundungsmaßnahmen im Vorfeld wurden während der Ausführung des Vortriebs im Bereich der Gleisachse (GA) 902 bzw. 62 Hbf Wasserzutritte im Anhydrit führenden Gebirge festgestellt, welche möglicherweise im Zusammenhang stehen mit einer bislang unbekannten geologischen Störung. Nach Maßgabe des Sachverständigen Tunnel müssen die Wasserzutritte in der Formation km 1BH wirkungsvoll unterbunden werden, um unkontrollierte Quellvorgänge mit einhergehenden Folgeschäden dauerhaft auszuschließen. Das Injektionskonzept WBI, so übermittelt am 28.11.2017, ist deshalb zwingend und zeitnah umzusetzen. Die Anordnung führt zu keiner Veränderung des Gesamtcharakters des Hauptauftrages. Die Injektionsmaßnahmen sind erforderlich, um das beauftragte Bau-Soll zu realisieren und das bestehende Baugrundrisiko zu reduzieren.“

Wir möchten noch daran erinnern, dass der Geologe Dr. Hermann Behmel 2013 auf einer Netzwerk-Veranstaltung in Wangen über mögliche Wasserzutritte bei Verwerfungen entlang dieses Tunnels hingewiesen hatte, die „richtig Geld kosten können“. Im fluegeltv-Video spricht er ab Min. 10:15 über den Anhydrit.

Wie hoch die Kosten dieser zusätzlichen Injektionsmaßnahmen in Gablenberg waren, lässt die Bahn im Unklaren. Wie nahezu alle Nachträge beim S21-Tunnelbau, die im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden, ist auch dieser nur mit einem Euro angesetzt.

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