Matthias Gastel, bahnpolitischer Sprecher der Bundestags-Fraktion der Grünen, hat erneut eine Anfrage an die Bundesregierung wegen der Einhaltung des Zeit- und Kostenplans beim Bahnprojekt Stuttgart 21 gestellt. Die beiden Stuttgarter Zeitungen (Meldung 1 / Meldung 2) berichteten vor zehn Tagen darüber.
Die beiden Stuttgarter Zeitungen schreiben in der ersten Meldung: „In der Antwort, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, räumt das Bundesverkehrsministerium ein, dass der Bundesregierung für einen Teilabschnitt der geplanten Neubaustrecke nach Ulm entlang des Flughafens „ein Gegensteuerungsbedarf von einem Jahr“ bekannt ist.“ Und in der zweiten StZN-Meldung heißt es: „Ein Bahnsprecher sagte in Berlin: „Wir halten an dem mit den Projektpartnern vereinbarten Ziel fest, Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm im Dezember 2021 in Betrieb zu nehmen.“ Derzeit gebe es einen Verzug von zwei Jahren. Es seien bereits Gegensteuerungsmaßnahmen entwickelt worden, um ein Jahr aufzuholen. „Wir arbeiten weiter intensiv daran, weitere Gegensteuerungsmaßnahmen zu identifizieren, das heißt, auch das zweite Jahr noch aufzuholen.“
Die Grünen im Bundestag zweifeln an dieser Aussage. Die StZN schreibt: „Özdemir sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Die Karten müssen auf den Tisch. Es kann nicht sein, dass wir scheibchenweise die Wahrheit erfahren.“ Die Menschen in der Region hätten ein Recht darauf, vor der Bundestagswahl zu erfahren, wie dieses Projekt sauber zu Ende finanziert werde.“
Die Zweifel der Grünen-Fraktion an der Einhaltung des Zeitplans bei Stuttgart 21 sind berechtigt. Die Bundesregierung bzw. die Bahn hat das Parlament erneut nicht über die sich abzeichnenden Bauverzögerungen beim Milliarden-Projekt informiert. Schließlich haben Projektverantwortliche die Nichteinhaltung des offiziellen Inbetriebnahmetermins zum Dezember 2021 eingeräumt. Wir möchten daher eine Übersicht der durchaus widersprüchlichen Aussagen zum Zeitplan geben, über die wir in Beiträgen berichtet hatten:
Bahnchef Richard Lutz auf der Pressekonferenz im März 2017 / Zitat SWR: „Ich bin finster entschlossen, dieses Projekt zu Ende zu führen, und zwar zu einem guten Ende“, sagte Lutz am Donnerstag bei der Bilanzvorlage des Konzerns in Berlin. „Wir werden es machen, im Rahmen der Kosten und im Rahmen der Terminpläne, die wir vereinbart haben.“
Bahnvorstand Roland Pofalla im April 2017 / Zitat StZ-Interview: „Zunächst einmal bleibt es beim bisherigen Stand. Die Projektgesellschaft hat im Jahr 2016 festgestellt, dass gegenüber dem bisherigen Zeitplan zwei Jahre aufzuholen sind. Ein Jahr glauben wir schaffen zu können. Wir arbeiten aber weiter daran, weitere Zeit gutzumachen. Und in den kommenden zwölf Monaten sehen wir dann klarer, was die Eröffnung angeht. […] Bis zum Beginn des nächsten Jahres stehen noch größere Vergaben an, die mit einem Zeitplan unterlegt sein müssen.“
S21- Geschäftsführer Manfred Leger auf der Anwohnerveranstaltung im März 2017 / Netzwerk-Beitrag: „Gegensteuerungsmaßnahmen zur Einholung des zweijährigen Verzugs am Südkopf des „Tiefbahnhofs“ seien, so erklärte Manfred Leger, wegen der hochkomplexen Bauabläufe schwierig. Zudem sei die Bahn beispielsweise in anderen Abschnitten wie dem Filderabschnitt im Rückstand. Die Bahn halte jedoch weiterhin am Termin Dezember 2021 für die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 fest. Schließlich wolle man nicht wie beim BER den Termin immer wieder nach hinten schieben. Zudem würde das Bauen bei diesem aus Steuergeldern mitfinanzierten Großprojekt dann teurer werden, weil der Druck auf die Baufirmen nachlassen würde.“
S21-Architekt Christoph Ingenhoven im März 2017 / Zitat SWR-Interview: „Insofern gleich schon der Kommentar zu dem Thema Kosten und Termine. Man darf sich einfach nichts vormachen. Die Länge eines Projektes, das Hineinziehen in immer neue Genehmigungen macht am Ende natürlich den großen Unterschied aus, wenn man Vorkalkulation mit endgültigen Kosten, wenn man den vorgesehenen Terminplan mit dem endgültigen Terminplan vergleicht. […] Der offizielle Terminplan spricht von 2022. Die Bahn spricht davon, es könne bis zwei Jahre länger dauern. Man habe aber – das wissen wir auch tatsächlich – Maßnahmen ergriffen, um das nach Möglichkeit wieder rückgängig zu machen. Diese zwei Jahre Verzug. Einigen wir uns doch in der Mitte. Sagen wir doch 2023.“
S21-Abschnittsleiter Michael Pradel auf einer Pressekonferenz im Mai 2017 über die Ankündigung der ersten Kelch-Betonarbeiten / Zitat StN: „Das Stuttgarter Unternehmen Züblin will im Juni, rund 18 Monate später als ursprünglich vorgesehen, mit dem Betonieren dieses Stützenteils starten. Fertig geschalt und betoniert werden kann die komplette, oben stark auskragende und einen Ring bildende Kelchstütze erst, wenn das Eisenbahn-Bundesamt (Eba) die 18. Planänderung der Bahn genehmigt hat. Mit ihr rücken die bisher in der Mitte der Bahnsteige vorgesehenen Fluchttreppenhäuser an die Enden. […] Ab 2018 sollen dann alle fünf Monate bis zu drei Stützen entstehen, so Pradel am Freitag bei einer Pressekonferenz im Bahnhofsturm. Insgesamt sind es 28. Der Rohbau der riesigen Halle könnte im Sommer 2021 vollendet sein – frühestens. In Unterlagen aus 2015 für den S-21-Lenkungskreis waren für den technischen Ausbau im Tiefbahnhof und für den Probebetrieb (zwölf Monate) insgesamt drei Jahre veranschlagt worden. Das würde die Inbetriebnahme auf Ende 2024 schieben.“
Die Zitate zeigen, dass der offizielle Zeitplan von Stuttgart 21 mit einer Inbetriebnahme zum Dezember 2021 nicht zu halten ist, weil Gegensteuerungsmaßnahmen wegen des komplexen Bauablaufs und fehlender Genehmigungen nicht im erforderlichen Umfang realisierbar sind. Die Bahn beabsichtigt einen neuen Zeitplan für Stuttgart 21 jedoch erst nach der Bundestagswahl Anfang 2018, wenn weitere größere Vergaben anstehen, bekannt zu geben. Nicht erwähnt wurde, dass dann eigentlich auch die 18.Planänderung für die Verlagerung der Fluchtreppen vom EBA genehmigt sein müsste, von der der Baufortschritt der Bahnsteighalle abhängt. Die Bahn rechnet laut letzter Lenkungskreisunterlage vom 28.04.2016 mit einer Genehmigung im Juli 2017, auch wenn laut der Bahn-Unterlage noch zwei weitere Fluchtausgänge einzuarbeiten sind.
Intern schließt die Bahn bereits jetzt einen deutlichen Zeitverzug beim Milliardenprojekt auch über den bislang eingeräumten zwei Jahren nicht aus. Im Dezember 2016 wurde „Ingenieurtechnische Unterstützung des Projektes im Bereich Vertragsmanagement für die Planfeststellungsabschnitte 1.2 und 1.6a.“ mit einer Verlängerungsoption bis 31.10.2024 ausgeschrieben. Wir hatten darüber berichtet. Jetzt findet sich vorletzte Woche im EU-Amtsblatt eine Bekanntmachung der Projektgesellschaft über einen vergebenen Dienstleistungsauftrag für die Bearbeitung baubetriebliche Nachträge bei Stuttgart 21 und der Neubaustrecke. Dieser Auftrag wurde mit zwei Verlängerungsoptionen vergeben: Die zweite Option geht bis zum 31.10.2025.