Überall Wasser? Ungestellte Rückfragen zum Tunnelbau im Anhydrit vor dem Verkehrsausschuss des Bundestages

Vor mehr als drei Wochen fand die Anhörung zu Stuttgart 21 im Verkehrsausschuss des Bundestages statt. Die Berichterstattung konzentrierte sich vor allem auf die Aussagen Thilo Sarrazins, der 2001 als Vorstandsmitglied der DB Netz AG die Rahmenvereinbarung zu S 21 zwischen Land, Stadt, Regionalverband und der Bahn unterzeichnet hatte und auf SÖS-Stadtrat Hannes Rockenbauch, der das Umstiegskonzept vorstellte.

Nahezu unbemerkt blieben die Ausführungen des Tunnelbausachverständigen der Bahn bei Stuttgart 21, Prof. Walter Wittke, über den  Tunnelbau im quellfähigen Anhydrit. Da aufgrund des Reglements im Verkehrsausschuss jede Partei nur ihre eigenen eingeladenen Fachmänner befragte, gab es keinerlei Nachfragen zu seinen Aussagen. Dabei musste die S21-Projektgesellschaft immer wieder zusätzliche teurere Sicherheitsmaßnahmen einräumen. Daher stellten sich uns nach seinem Auftritt  im Verkehrsausschuss zahlreiche Fragen.

Nach dem Video der Anhörung  (Prof. Dr. Wittke ab Std. 1:36) wurde jetzt auch das Protokoll der Sitzung veröffentlicht. Daher können wir seine Aussagen zitieren und mit unseren Fragen bzw. Anmerkungen gegenüberstellen:

Prof. Dr.-Ing. Walter Wittke (WBI GmbH):Ich danke für die Frage. Zunächst darf ich feststellen, dass alle vier Tunnel im Stuttgarter Bereich im Anhydrid verlaufen. Davon sind die Tunnel nach Bad Cannstatt und Feuerbach aufgefahren, ohne Schäden, ohne Hebungen. Auch die Tunnel nach Unter-und Obertürkheim sind aufgefahren, ohne Schäden, ohne nennenswerte Erhebungen. Deshalb meinen wir, dass wir bis heute unseren Erfolg, was das Auffahren der Tunnel anbelangt, bestätigen können. Im Fildertunnel fehlen noch einige Kilometer. Es ist allerdings so, dass dieser Tunnel nicht so problematisch ist, was die quellbedingten Probleme anbelangt.“

Fragen:

  • Wie kann es sein, dass bereits nach den ersten Vortrieben beim Feuerbacher Tunnel mehr Hebungen als auf 100 Jahre eingeplant aufgetreten sind? In der Präsentation zur 17. Sitzung des Lenkungskreises Stuttgart 21 am 1. Februar 2017 heißt es auf Seite 22 „Prognoserechnungen zeigen, dass es zu geringen Hebungen kommt. Mit unterschiedlichen Annahmen (vertikale Gebirgsdurchlässigkeit, Dauer der temporären Entwässerung im Bauzustand) ergeben sich Sohlhebungen von weniger als 1 cm in 100 Jahren.“ Doch bereits im April 2017 schreibt die StZ : „Nach Angaben von S-21-Chef Manfred Leger seien knapp drei Viertel der kritischen Passagen gemeistert. Dabei habe es im Bereich des Tunnels aus Feuerbach Hebungen gegeben. Um bis zu 13 Millimeter habe sich die Oberfläche gehoben, die Bewegungen seien aber vor Monaten zum Stillstand gekommen.“ Ob es bei den 1, 3 cm blieb oder weitere Hebungen gemessen wurden, ist nicht bekannt.

Prof. Dr.-Ing. Walter Wittke (WBI GmbH):Jetzt zur Frage nach der Teuerung. Es hat zwei Gründe dafür gegeben. Der eine Grund war der, dass wir im Jahr 2014 vom Bund beauftragt wurden, die Schäden am Engelbrecht-Basistunnel zu bewerten. Ich hatte mich auch vor dem Projekt schon um diese Unterlagen bemüht. Es lief dort aber ein Gerichtsverfahren, ein Schadensersatzprozess und man konnte mir die Unterlagen vom Regierungspräsidium Stuttgart seinerzeit nicht geben. Ich habe sie dann im Zuge dieses Auftrags bekommen. Das hat zu einer Änderung geführt. Wir sind von der Knautschzone, die seinerzeit ausgeschrieben wurde, im Tunnel Cannstatt und Feuerbach, in diesen beiden Tunneln abgekommen und haben an dieser Stelle ein U-Profil durchgeführt. Das war eine Änderung, die auch offensichtlich mit Mehrkosten verbunden war. Die Kosten kenne ich nicht im Einzelnen.“

  • Wie kann ein Tunnelsachverständiger nicht über die ungefähren Mehrkosten eines neuen Bauverfahrens informiert sein, das er selbst vorschlägt?
  • Warum erwähnt er nicht, dass der Nutzen des neuen Bauverfahrens mit dem U-Profil durchaus umstritten ist? Dieses neue Bauverfahren hatten die vom Aufsichtsrat der DB AG beauftragten Gutachter, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und das Schweizer Ingenieurbüro Ernst, Basler & Partner  kritisiertSo heißt es in dem KPMG-Gutachten u.a.: „Der Nutzen der zusätzlich ausgebrochenen und mit Spritzbeton verfüllten Ecken in der Sohle des U-Profils zur Minimierung der seitlichen Kluftbildung ist aus unserer Sicht fragwürdig. Ausbruchsbedingt treten Sprödbrüche auf, wodurch die Gebirgsdurchlässigkeit erhöht und ein Quellvorgang ausgelöst werden kann. Bei einem U-Profil sind diese Sprödbrüche bei weitem ausgeprägter als bei einem Kreisprofil.“

Prof. Dr.-Ing. Walter Wittke (WBI GmbH):Die zweite Änderung, die sich ergeben hat, war eine geologische, auf Cannstatt und Feuerbach. Wir sind–aufgrund der Erkundungen–von zusammenhängenden Linsen ausgegangen; dass wir zumindest annäherungsweise die Verhältnisse des Fildertunnels antreffen würden. Das hat sich nicht bestätigt.

  • Wie kann es sein, dass man annährungsweise von ähnlichen Verhältnissen wie beim Fildertunnel ausging, obwohl die Tunnellängsschnitte dies eindeutig widerlegen?  Aus der Gegenüberstellung der Längsschnitte des Tunnelbausachverständigen aus dem Jahr 2010 geht auch für Laien deutlich hervor, dass der rotmarkierte Anhydrit im Feuerbacher und Bad Cannstatter Tunnel völlig anders als im Fildertunnel anzutreffen sein wird. Während im Fildertunnel ein mehrere Kilometer langer Anydritschicht mit einer hohen Überdeckung erkennbar ist, liegen im Feuerbacher Tunnel drei einzelne tiefliegende Anhydritlinsen mit fast keiner Überdeckung vor.

Prof. Dr.-Ing. Walter Wittke (WBI GmbH): Es ist so, dass die Linsen aufgelöst sind, das praktisch überall Wasser ist, und das führt zu einem erhöhten Injektionsaufwand. Das heißt, die Injektionen zur Abdichtung Anhydrid haben einen wesentlich größeren Aufwand als prognostiziert. Das sind die beiden Gründe für die Kostenerhöhung, die ich nennen kann, aus der Sicht des Anhydrids.“

  • Warum wurden Warungen von erfahrenen Geologen im Vorfeld ignoriert? So hatte der vom Netzwerk Killesberg beauftragte Geologe Dr. Hermann Behmel in seiner Stellungnahme vom 23. Juni 2013 auf das Risiko des Tunnelbaus im Anhydrit unter dem Kriegs- und Killesberg hingewiesen, bei dem sich aufgrund der Störungen, oft breite Gesteinszerüttungen, der Wasserzutritt in den Anhydrit kaum vermeiden liese. Die Einwände der Netzwerke und ihres Sachverständigen wurden vom Regierungspräsidium Stuttgart als Anhörungsbehörde damals lediglich zu den Akten genommen. Dabei hatte Prof. Dr. Wittke bereits Ende 2013 im Jahrbuch „Tunnelbau 2014“  einen  Aufsatz  über die Bautechnik zusätzlicher Kunstharzinjektionen beim S21-Tunnelbau veröffentlicht, die den Wasserzutritt beim Feuerbacher und Bad Cannstatter Tunnel unter dem Kriegs- und Killesberg verhindern soll.

Prof. Dr.-Ing. Walter Wittke (WBI GmbH):Die Frage nach den Risiken. Ich bin der Meinung,dass wir praktisch keine Risiken mehr haben. Woher nehme ich die Sicherheit? Ich habe mich mit meinem Team–, ich bin emeritierter Professor der RWTH Aachen, wie Sie vielleicht wissen–ich habe mich auch in meiner Hochschulzeit schon seit den 70iger Jahren mit der Problematik des Quellens befasst. Wir haben ein Modell entwickelt. Es gibt ein Versuchsbauwerk im Freudensteintunnel, das die Deutsche Bahn betrieben hat–den können Sie heute noch besichtigen–, das mit Messeinrichtungen versehen war, und den wir mit unseren Modellen kalibriert haben. Daraus haben wir unsere Schlüsse gezogen. Das ist einmal trockner Vortrieb, in Vergangenheit sind an demTunnel beim nassen Vortrieb beim Bau viele Quellhebungsschäden aufgetreten, in der Schweiz, in Deutschland auch. Wir haben die wasserführenden Äußerungsfronten durch vorauseilende Polyurethaninjektionen abgedichtet. Ich sagte schon, wir haben das U-Profil gemacht. Wir haben während des Baus Proben entnommen und den Anhydridgehalt bestimmt. Auch Erkundungsbohrungen; nach oben wurden ergänzende Bohrungen gemacht. Wir haben Abdichtungsinjektionen, also die aufgelockerten Zonen abgedichtet, um dem Wasser den Zutritt zu erschweren. Ich bin der Meinung, dass wir mit diesen Maßnahmen die Tunnel erfolgreich herstellen können.

  • Warum musste trotz der jahrzehntelangen Forschung die Bauweise beim Feuerbacher und Bad Cannstatter Tunnel  komplett umgeplant werden?
  • Warum wurde nicht erwähnt, dass die Kombination dieser Schutzmaßnahmen erstmals beim Tunnelbau im Anhydrit angewandt wird? Im Januar 2017 berichtete Matthias Gastel, Bundestagsabgeordneter der Grünen, berichtet auf seiner Webseite über eine Anfrage zum Tunnelbau im Anhydrit an die Bunderegierung und stellt fest, dass die Bundesregierung erschreckend ahnungslos sei“Er hat bei der Bundesregierung nachgefragt, „ob es bereits fertiggestellte Tunnel gibt, die nach diesem Verfahren gebaut wurden und ob es im Nachhinein Probleme durch aufquellendes Anhydrit gegeben hat. Die Bundesregierung konnte jedoch trotz mehrmaliger Nachfragen – und obwohl sie sich erfahrungsgemäß bei derartigen Fragen bei der Deutschen Bahn erkundigt – keinen einzigen Tunnel benennen, der in dieser Bauweise gebaut und in bereits in Betrieb genommen wurde.“

Prof. Dr.-Ing. Walter Wittke (WBI GmbH): „Wir haben natürlich auch verglichen, was bei anderen Tunneln war. Auch die Schweizer Tunnel, soweit uns die Unterlagen zugänglich waren, haben wir verglichen. Wir haben die Ursachen erkennen können, aus denen heraus dort Schäden waren. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir–sicherlich kann man Risiken konstruieren, immerhin kann man das im wissenschaftlichen Bereich–aber aus praktischer Sicht meine ich, können wir davon ausgehen, dass die Tunnel betriebsfertig bleiben über viele Jahre. Unsere Prognosezeit ist 100 Jahre und ich lebe dann vermutlich nicht mehr und Sie können mich dafür nicht mehr zur Rechenschaft ziehen. Aber ich denke mal, es werden viele Jahre sein. „

  • Warum erwähnt er nicht, dass die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen konkret von den vom Aufsichtsrat der DB AG beauftragten Experten angezweifelt wird?  Die vom Aufsichtsrat der DB AG beauftragten Gutachter, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und das Schweizer Ingenieurbüro Ernst, Basler & Partner,  warnen in einem streng vertraulichen Gutachten auf das unterschätzte Risiko beim Tunnelbau im Anhydrit bei Stuttgart 21 hin. Das Fazit der Studie: Es gebe für Tunnel im Anhydrit generell „keine bautechnische Lösung“, die eine risiko- und unterhaltsfreie Nutzung über Jahrzehnte zuverlässig sicherstellen könne. Insofern müsse man sich bewusst sein, dass bei jedem dieser Bauwerke „ein im Ingenieurbau unüblich großes Risiko für die Betriebstauglichkeit besteht“.
  • Warum erwähnt er nicht, dass nach einem Bericht der Stuttgarter Zeitung (hier) selbst die Tunnelbaufirma  diese neue Technik im Anhydrit zum Schutz vor eindringendes Wasser als nicht „nachhaltig“ bezeichnet?
  • Wie kann man sicher sein, dass die in die Risse und Klüfte gespritzten Kunstharzinjektionen tatsächlich bis zu 100 Jahre halten und nicht spröde und für Wasser durchlässig werden?

Alamierend ist, dass Herr Prof. Dr. Wittke vor dem Ausschuss einräumen musste, dass die Anydritlinsen im Bad Cannstatter und Feuerbacher Tunnel nahezu „aufgelöst“ sind und „überall Wasser“ anzutreffen war.  Die Acrylatgel-Injektionen müssen daher jeden Riss abdecken und das Material auf mindestens 100 Jahre die Abdichtung gewährleisten. Bis heute wurden jedoch die betroffenen Eigentümer am am Kriegs- und Killesberg nicht über die angetroffenen geologischen Verhältnisse, die Bauweise und die damit verbundenen Risiken informiert. Das Netzwerk Killesberg ist dazu Anfang Juni wegen einer Informationsveranstaltung zum Tunnelbau im Anhydrit auf die Bürgerbeauftragte der Stadt zugegangen.

Dieser Beitrag wurde unter Anhydrit, Bund, Feuerbach, Gablenberg, Gänsheide, Killesberg, Tunnelstrecken, Wangen veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.