Die angekündigte Kommunikationsoffensive der Deutschen Bahn über die Tunnelbau-arbeiten zu Stuttgart 21 hat jetzt auch Regio-TV erreicht. Dieser Sender berichtete diese Woche in zwei kurzen Fernsehbeiträgen (Beitrag 1 /Beitrag 2) derart haarsträubend verkürzt über die Risiken, die Frage der Haftung und die Entschädigung, dass wir von Seiten der Netzwerke dazu doch einige Anmerkungen dazu machen müssen:
– Gebäuderisiken werden nicht erwähnt: Das im Film gezeigte Ehepaar wohnt in einem der Häuser des Kernerviertels, die wegen der geringen Unterfahrungstiefe mit Betoninjektionen angehoben werden müssen. Die Bahn hatte bislang auf die Erprobtheit des Verfahrens wie zum Beispiel im Zuge des U-15 Baus verwiesen. Doch selbst das Landesamt für Geologie wies in seiner Stellungnahme vom 31.7.2013 daraufhin, dass es sich bei dieser Gesteinsschicht in Stuttgart um ein Pilotprojekt handelt. Auch die Bahn rechnet in ihrer internen Risiken-Liste mit einer 49%igen- Eintrittswahrscheinlichkeit, dass Gebäudeschäden eintreten. Das hat für das Ehepaar gravierende Auswirkungen: die Wohnung ist wegen der Nähe zur Baustelle praktisch unverkäuflich oder kann nur mit einem hohen Abschlag von mindestens 30% verkauft werden.
– Einseitige Beweislast der Eigentümer wird verschwiegen: Die Frage der Haftung im Schadensfall wird in den beiden Interviews mit Ulrich Wecker, Geschäfts- führer von Haus und Grund, und Wolfgang Dietrich, Sprecher des Kommunikationsbüros, völlig verkürzt dargestellt. Beider Tenor: Die Bahn müsse selbstverständlich bei Bau- schäden haften. Diese Aussage wäre aus Sicht der betroffenen Eigentümer uneinge-schränkt zu begrüßen. Nur die Rechtslage, auf die auch ein Jurist der Bahn bei der ersten Informationsveranstaltung für das Kernerviertel ausdrücklich hingewiesen hatte, sieht anders aus. Da die Bahn bislang in den Gesprächen und Verträgen mit den betroffenen Eigentümern eine Beweislastumkehr rigeros ablehnt, müssen die Geschädigten nach den gesetzlichen Haftungsregelungen erst einmal der Bahn und den beauftragten Firmen grobe Fahrlässigkeit bzw. schuldhaftes Handeln nachweisen. Doch wie soll das ohne die Einsicht in die Bauakten möglich sein ?
– Herausgabe von Beweisgutachten: Die Hürden vieler Eigentümer, um an die Beweisgutachten der Bahn bzw. ihres Sachverständigen heranzu kommen, werden im Filmbeitrag verschwiegen. Auf der Informationsveranstaltung der Netzwerke im Rathaus vom 17. 01.14 meldeten sich Betroffene, die auch ein halbes Jahr danach noch kein Gutachten von der Firma ausgehändigt bekamen.
– Vorzeitige Besitzeinweisung als Standardverfahren: Nicht nachvollziehbar ist, dass der Geschäftsführer von Haus und Grund die nur im Falle von der Bahn vorrangig aus Zeitnot praktizierte vorzeitige Besitzeinweisung kritiklos als Regelverfahren vorstellt. Die Bahn hätte in den letzten Jahren genügend Zeit gehabt, um mit den vom Tunnelbau betroffenen Eigentümern Gestattungsverträge, die die Rechte und Pflichten der einzelnen Parteien sowie die Entschädigungshöhe regeln sollten, auszuhandeln.
– Keine Kritik am Gutachten zur Entschädigung: Noch unverständlicher ist, dass Ulrich Wecker als Vertreter von Haus und Grund plötzlich keinerlei Kritik am Stuttgarter Gutachten der Bahn äußert. Noch vor wenigen Wochen suchte Haus und Grund betroffene Eigentümer, die sich in einem Musterprozess gegen die Berechnung der Entschädigungs- summe auf Basis diese Gutachtens wehren. Dazu ein Zitat aus den Stuttgarter Nachrichten vom 26.11.2013: „…Das von der Bahn als „Gutachten“ bezeichnete Papier sei „allenfalls ein Versuch, einen Sachverhalt einer neu erfundenen Methodik zu unterwerfen“, sagt Ulrich Wecker. Der Geschäftsführer des Haus- und Grundbesitzervereins in Stuttgart lässt kein gutes Haar an der Berechnung. Die Entschädigung über die Flächenaus-nutzung (ein bis drei Drittel des Grundstücks) zu ermitteln sei „frei gewürfelt“, so Wecker. Das Gutachten habe einen Auftraggeber, „und der ist Partei“, so Wecker. Weil Haus und Grund als Verband nicht klagen kann, sucht der Verein einen Eigentümer für eine Musterklage…„. Auch die Netzwerke hatten schon seit längerem auf die aus ihrer Sicht unlauteren Bemessungsgrundlagen des Gutachtens hingewiesen. Die Kritik wurde auch von den Referenten auf der Informationsveranstaltung der Netzwerke im Rathaus noch betont.
– Falsche Information über Entschädigungsangebote der Bahn: Die Reportage geht davon aus, dass die Landeswasserversorgung mit der von der Bahn angebotenen Entschädigung in Höhe 48.000 Euro nicht einverstanden sei und daher den Wert ihres Grundstücks von der Stadt überprüfen lasse. Tatsächlich hatte die Bahn mit der Landes-wasserversorgung schon seit einiger Zeit eine schriftliche Vereinbarung über diesen Betrag abgeschlossen. In dem Bericht unerwähnt blieb, das die Bahn plötzlich die Entschädig-ungssumme auf Basis des neuen Stuttgarter Gutachtens auf nur 30.000 Euro reduzieren wollte. Die hohen Entschädigungssummen, die im Fall der Landeswasserversorgung genannt wurden, sind dennoch nicht repräsentativ. Die meisten Hauseigentümer müssen mit deutlich geringeren Entschädigungsangeboten der Bahn in einer maximal drei- bis unteren vierstelligen Größenordnung rechnen. Wie sich die Entschädigungssummen nach dem sog. Stuttgarter Gutachten der Bahn berechnen, hatte der Sprecher des Netzwerks Killesberg e.V. in einem Vortrag erläutert.