Wangen: monatelanger Lärm und Erschütterungen durch Meißel- und Sprengarbeiten und unzureichende Informationen

Wegen der geologischen Verhältnisse kommt die Bahn in Stuttgart-Wangen am Vortrieb des Obertürkheimer Tunnels trotz umfangreicher Vorerkundung deutlich langsamer voran als geplant. Die Tunneltaufe fand im Dezember 2013 statt, die ersten Vortriebsarbeiten starteten am Zwischenangriff im Juni 2014. Wegen der Planänderung zur Tieferlegung der Tunnel ruhten die Vortriebsarbeiten für drei Monate zwischen Ende Januar und Ende April. Eine Zusammenstellung des wöchentlichen Vortriebs an den vier Tunnelbaustellen des Obertürkheimer Tunnels seit Januar 2015 finden Sie hier.

Aktuell sind nur 8,6 % bzw. 973 Meter der geplanten 10,8 Tunnelkilometer des Obertürkheimer Tunnels gegraben. Statt der Anwohnern in Mails angekündigten 3-4 Meter täglichen Vortrieb pro Tunnelröhre sind es seit Ende April 2015 nur durchschnittlich rund 5 Meter täglich in allen 4 Tunnelbaustellen zusammen. Dabei sollten nach den noch im Juli 2014 auf der Bezirksbeiratssitzung Wangen vorgestellten Plänen der Bahn der Tunnelvortrieb Richtung Hauptbahnhof  bis Ende 2015 und Obertürkheim bis Mitte 2016 fertig gestellt sein. Dass diese Planung bereits Makulatur ist und die Wangener viel länger als von der Bahn kommuniziert durch die Vortriebsarbeiten des Obertürkheimer Tunnels beeinträchtigt werden, liegt auf der Hand.

Nur wenigen Stuttgartern ist bekannt, wie stark die Wangener Anwohner trotz bzw. wegen des langsamen Baufortschritts durch die Tunnelvortriebsarbeiten belastet sind. Daher möchten wir Anwohner in der Nähterstraße zu Wort kommen lassen, die schon seit Ende Juni 2014  die Spreng-, Meißel-, Hammer- und Fräsarbeiten für den Vortrieb wegen der geringen Unterfahrungstiefe von weniger als 30 Metern Tag und Nacht  7 Tage die Woche „live“ mitbekommen. Weil die unterirdischen Arbeiten so belastend sind, führen einige Anwohner in der Nähterstraße mittlerweile täglich Protokoll über die Spreng- und Meiselarbeiten. Hier nur ein paar wenige Auszüge aus ihren Notizen oder E-Mails:

„November 2014 – sehr heftige Sprengungen mit Erschütterungen (innen und außen). Teils zwischen 5 und 6 h früh, bis spät abends. Ohne Vorankündigung. Die Sprengungen außerhalb des Hauses habe ich als sehr heftig empfunden. Es kam mir vor als hätte ich Herz-Rhythmus-Störungen. Dies lag wohl an der Druckwelle und der hohen Sprengdosis! Man erschrickt jedesmal zu Tode!“ … „Sonntag, 23.11.2014, früh morgens. Totensonntag! Ich dachte mein Heizkessel ist explodiert!“ … „Sonntag, 05.07.2015, 8:25: Heftige Sprengung/Erschütterungen“ …“Sonntag, 05.07.2015, 6:52: Heftige Sprengung/Erschütterungen“… „Dienstag, 06.07.2015, 20:32: Kratz-/ Fräsgeräusche, spürbare Erschütterungen in der Wohnung.“….Samstag, 11.07.2015, 14:30 Klopf- /Reibe- /Mahlgeräusche, 21:35: Starkes Klopfen/Sprengung/Erschütterungen“… Sonntag, 12.07.2015, 7:47: Sprengungen/starke Erschütterungen“ …„Samstag, 25.07.2015, 6:54: Starke Erschütterungen/Fräsen, 16:50: Starkes Hämmern/Klopfen
22:00: Sprengungen/starke Erschütterungen“ …“15.08.2015  01:00 : ständige Klopfgeräusche. Anruf bei Polizei um Anzeige wegen Ruhestörung aufzugeben. Wurde übel abgewimmelt.“ …“20.08.2014 6:05 Sehr starkes Klopfen/Sprengung/sehr starke Erschütterungen. Wird immer Schlimmer!!! Ca. 1/2 Minute lang! Noch immer erschrecke ich mich zu Tode!“ …“Sonntag, 23.08.2014, 19:37: Sehr starkes Klopfen/Sprengung/sehr starke Erschütterungen. Wird immer Schlimmer!!! Länger andauernd! Der Boden im EG vibrierte!“… „Montag, 31.08.2015, 9:05: erdbebenarige Erschütterungen“… Öfters nachts, teilweise bis 03:00 Meisselgeräusche die einem den Schlaf rauben. Desweiteren schon mal bei der Polizei versucht Anzeige aufzugeben ohne Erfolg. 2 mal bei der ARGE Immissionsschutz angerufen. Nie einen Rückruf erhalten wie versprochen.“… „23.Sept. 01:15: Seit 00:50 versuche ich einzuschlafen. Geht nicht. Es hört und fühlt sich an, als klopft jemand mit dem Vorschlaghammer ans Haus. Man spürt die Erschütterungen jeden Schlages. Die Polizei weigert sich erneut eine Anzeige aufzunehmen. Die Baustelle sei genehmigt und werde ständig überwacht. Dass ich nicht schlafen kann, sei mein Problem. Der Beamte, Herr M., werde sicher nicht deswegen den Baubetrieb einstellen. Meine Ohren seien sicher nicht besser als die Messgeräte. Ich biete ihm an herzukommen und sich die von der Bahn installierten Messgeräte doch anzuschauen. Macht er nicht. Eine Anzeige aufnehmen, wird er auch nicht. Ich solle mich an die Stadt wenden.“

Angesichts dieser eindrücklichen Beschreibungen sollte man meinen, dass die Wangener Anwohner vorher über die kommenden Belastungen informiert wurden, auf ihre Beschwerden reagiert und sie regelmäßig über die gemessenen Immissionswerte informiert werden. Doch in Wangen werden die Anwohner schlichtweg allein gelassen. Die einzige Information, die im Vorfeld der Tunnelvortriebsarbeiten bzw. der Sprengungen erfolgte, war ein Flyer, der im Sommer 2014 verteilt wurde. Auf der Internetseite des Kommunikationsbüros finden sich Hinweise über die Bauarbeiten in Wangen, die nicht im Entferntesten die eingetretenen Belastungen ankündigten. Im Bezirksbeirat Wangen wurden den Bezirksbeiräten und den anwesenden Bürgern am 24.Juli 2014 von Bahnvertretern nur ein erschütterungsarmes Sprengverfahren angekündigt: Wangen Sprengungen

Eine öffentliche Informationsveranstaltung für die betroffenen Wangener Bürger über die Immissionsbelastungen durch die Spreng- und Meißelarbeiten fand nicht statt. Diese müsste der Bezirksbeirat Wangen bzw. die Bezirksvorsteherin und Tunnelpatin Beate Dietrich gegenüber der Bahn einfordern. Die Anwohner hatten sich auch an sie gewandt und um Unterstützung gebeten. Die letzte Anwohnerveranstaltung wurde 2012 durchgeführt. Auf Nachfrage des Netzwerks Wangen Mitte September bot die Bürgerbeauftragte Alice Kaiser ein Gespräch am 21.10.2015 an. Also zu einem Zeitpunkt, an dem der Tunnelvortrieb die Häuser der Nähterstaße wahrscheinlich schon passiert hat und die Überdeckung ein paar Meter höher ist.

Für die mittlerweile nur noch zwischen Empörung und Resignation schwankenden Anwohner, deren Nerven durch die schlaflosen Nächten blank liegen, ist dies aktuell wenig hilfreich. Zumal die Bauinfo und die von den Bürgern immer wieder um Hilfe gebetene Polizei lediglich auf die Zulässigkeit der Bauarbeiten verweisen. Doch bis heute gibt die Bahn auf mehrfache Nachfrage des Netzwerks Wangen weder die Messgutachten über Erschütterungen und Lärm heraus, noch veröffentlicht sie diese (wie eigentlich zugesagt) auf der Webseite des Kommunikationsbüros. Derzeit sei der zuständige Mitarbeiter im Urlaub, so die aktuelle Antwort der Bahn. Doch der einzige Messbericht, der zum Sprengvortrieb in Wangen eingestellt ist, stammt vom 18.11.2014. Nach diesem sind die Sprengarbeiten wegen der Überschreitung des zulässigen nächtlichen Spitzenpegels im Nachtzeitraum der AVV-Baulärm zwischen 20 Uhr und 7 Uhr nicht zulässig. Auf die Strafanzeige hin, die 27 Wangener Bürger im November 2014 wegen der lauten nächtlichen und sonn- und feiertäglichen Sprengungen eingereicht haben, kam keine Reaktion von Seiten der Polizei oder Staatsanwaltschaft.

Eine Hotelunterbringung wurde den lärmgeplagten Anwohnern der Nähterstraße nicht angeboten. Dabei ist dies nach einem Bericht des Teckboten in ähnlichen Fällen beim Bau der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm üblich. Es gäbe auch ein Budget dafür. Auch bei Stuttgart 21 hatte die Bahn im Dezember 2014 nach den Erfahrungen mit den Rammarbeiten in Untertürkheim erklärt, bei unerträglichen Baulärm eine vorübergehende Hotelunterbringung zu zahlen.

Messgeräte zur Überwachung, welche Erschütterung durch den Vortrieb an den Gebäuden einwirkt, wurden schriftlich zugesagt. Die Eigentümer mussten auch vertraglich einer Aufstellung auf ihrem Grundstück zustimmen. Doch wie der Fall des im letzten Beitrag über Wangen geschilderten Eigentümers zeigt, wurden die Messgeräte erst vor kurzem installiert. Die Erschütterungen sind jedoch schon seit geraumer Zeit zu spüren. Wie hier eine Überwachung der niedrigeren Grenzwerte, die nach der Planfeststellung bei Erschütterungen über 2 Monate gelten, erfolgen soll, ist fraglich.

Die Hoffnung, dass der Alptraum der unterirdischen Vortriebsarbeiten bald vorbei ist, können sich jedenfalls die Anwohner der Nähterstraße nicht machen. Bisher haben nur die Vortriebsarbeiten der Weströhre ihre Häuser erreicht. Bei der Oströhre kommen die unterirdischen Arbeiten bislang noch langsamer voran. Aktuell müssten sie noch vor der Ulmer Straße stehen. Und in absehbarer Zeit müssen die Wangener Anwohner wieder mit Lärm und Erschütterungen durch den Vortrieb der zweiten Röhre rechnen…

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