Seit dieser Wochen werden die Sprengungen zur Fertigstellung der Sohle auf den letzten 80 der insgesamt 230 Meter langen Rettungszufahrt (Foto Bahn) unterhalb der Jugendherberge durchgeführt. Der letzte Abschnitt der Rettungszufahrt, die vor Monaten fertig gestellt werden sein sollte, mündet in das Verzweigungsbauwerk mit den Tunnelzuführungen Richtung Wangen und den Fildern. Die wegen der kurzzeitigen Sperrung des Wagenburgtunnels vorab angekündigte Sprengung war zwar im Kernerviertel hörbar; Erschütterungen an der Oberfläche jedoch nicht spürbar. Die Stuttgarter Zeitung berichtete darüber (hier).
Neben den Immissionen, die diese Sprengungen in Stadtnähe verursachen, stellt sich die Frage nach den geologischen Risiken, die damit verbunden sind. Sprengungen waren unterhalb des Kernerviertels eigentlich nicht geplant. So hieß beispielsweise noch in der Pressemitteilung des Verwaltungsgerichtes vom 08.02.2007 zur erfolglosen Klage von Eigentümern gegen den Tunnelbau, deren Wohngebäude sich in der Nähe des heutigen Sprengortes befinden: „… Im Tunnelbau erfahrene Sachverständige hätten umfangreiche Probebohrungen zur Erkundung des durchaus nicht unproblematischen Untergrunds durchgeführt. Auf der Grundlage der dabei gewonnenen Erkenntnisse sei ein schonendes Tunnelvortriebs-verfahren in kleinen Teilquerschnitten (sog. Ulmenstollenvortrieb) unter Einsatz von Baggern und Verzicht auf Sprengungen vorgesehen. Weitere geeignete Sicherungen zum Schutz der Häuser kämen hinzu…“. Auf der Informationsveranstaltung im Rathaus im April 2014 war dann plötzlich von einzelnen lokalen Lockerungssprengungen die Rede. Jetzt sollen die „bergschonenden“ Sprengungen laut Pressemitteilung des Kommunikationsbüros „auf den ganzen Tag ausgeweitet“ werden, soweit die Emmissionen dies zulassen.
Dabei finden diese Sprengungen unterhalb der Wohngebiete Kernerviertel / Uhlandshöhe im geologisch kritischen Übergangsgebiet statt zwischen dem weichen, ausgelaugten Gipskeuper (gelb) und dem unausgelaugten Gipskeuper, der wasserlöslichen Gips (G/rosa) und quellfähigen Anhydrit (A/rot) führt. Dies ist auf den Folien der Informationsveranstaltung vom April 2014 deutlich zu erkennen.:
Die Befürchtung besteht, dass durch die bei Sprengungen ausgelösten Erschütterungen ggf. neue Wasserwegsamkeiten entstehen könnten, die im Bereich des quellfähigen Anhydrit sehr kritisch sind. Dr. Sierig hatte u.a. in der 6.Schlichtung (Folie /Video-Vortrag Dr. Sierig an der 6. Schlichtung /Folien zu den Georisiken beim Tunnelbau von Dr. Jakob Sierig / Vortrag Dr. Sierig in der Rathausveranstaltung „Tunnelgrabungen unter Stuttgart: Ist auch ihr Eigentum betroffen?„) darauf hingewiesen. Daneben ist in diesem Gebiet eine größere Verwerfung (Geologie21) vorhanden, über die ebenfalls Wasserzutritte möglich sind.
Das Netzwerk Kernerviertel hat daher bei der Bürgerbeauftragten Alice Kaiser nachgehakt und um Informationen auf der am nächsten Mittwoch im Osten stattfindenden Anwohnerveranstaltung über die Risiken der Sprengungen gebeten. Die Bürgerbeauftragte hat die folgenden Fragen des Netzwerks an die Vertreter der Bahn weitergeleitet, die daneben auch den bergmännischen und maschinellen Tunnelvortrieb unterhalb der Wohngebiete Uhlandshöhe, Gänsheide und Gablenberg durch die kilometerlangen Anhydritschichten betreffen:
1. Sind Sprengungen auch im oder in unmittelbarer Nähe von anhydrithaltigen Gestein vorgesehen ?
2. Falls ja, welche speziellen Sicherungsmaßnahmen sind bei diesen Sprengungen geplant, damit das Gestein dabei nicht mit Wasser in Kontakt kommt und durch die Erschüt-terungen keine Risse im Gestein bzw. damit neue Wasserwegsamkeiten entstehen ?
3. Welche Sicherungsmaßnahmen sind beim bergmännischen / maschinellen Vortrieb im anhydritführenden Gestein geplant, damit das Gestein nicht mit Wasser in Berührung kommt ?
Bei den Sprengungen wird regelmäßig auf die Erfahrungen der SSB verwiesen, da sie in der Vergangenheit ihre Tunnel mit einzelnen lokalen Sprengungen vorangetrieben hatte. Allerdings durchschneidet keiner der Tunnel – wie man der Festschrift zum 50.jährigen Stadtbahnbau entnehmen kann – Anhydrit-Gestein. Tunnel, die auch durch Anhydrit-Schichten erstellt wurden, sind in Stuttgart nur der Wagenburgtunnel (110 Meter Anhydrit), und der Heslacher-Tunnel (Gesamtlänge 2.300 Meter, nur ein kurzes Stück Anhydrit) sowie die S-Bahn-Wendeschleife (900 Meter Anhydrit) und der Hasenbergtunel (1.100 Meter Anhydrit). Diese Größenordnungen sind jedoch nicht mit Stuttgart 21 vergleichbar.
Für Stuttgart 21 sollen nach einer Aufstellung von Prof. Dr. Wittke (Schaubild WBI) rund 9,6 Tunnelkilometer durch den weichen ausgelaugten und 24,4 Kilometer Tunnelstrecken durch unausgelaugten Gipskeuper (gips- oder anhydritführend) gehen. Insgesamt sind rund 16 Tunnelkilometer im quellfähigen Anhydrit. Anyhritführend sind beispielsweise jeweils 4,3 Kilometer der beiden Röhren des mit der Tunnelvortriebsmaschine aufgefahrenen unteren Fildertunnels entlang der Strecke zwischen Wendekaverne und Degerloch sowie Abschnitte der Tunnel Richtung Wangen (2 Tunnelröhren à 2,2 Kilometer Anhydrit), Bad Cannstatt (2 Tunnelröhren à 130 Meter Anhydrit) und Feuerbach (2 Tunnelröhren à 1,720 km Anhydrit). Entgegen den offiziellen Aussagen rechnet die Bahn in ihrer internen Risikoliste mit einer 49%igen Eintrittswahrscheinlichkeit, dass durch die Bauarbeiten in diesem schwierigen Gestein Probleme eintreten werden (hier). Mehr verlinkte Informationen zum Tunnelbau im Anhydrit finden Sie im letzten Beitrag „Die Tunnelbauarbeiten für Stuttgart 21 in “Unter Tage – Das Herz der Großstadt”