Noch letzte Woche hatte Lokalchef Jan Sellner in einem Kommentar (hier) Stuttgart gegen die Kritik des Schauspielregisseurs und ehemaligen Stuttgarter Theaterintendanten Claus Peymann verteidigt. Ja, Stuttgart sei zwar „beschädigt“ und „beeinträchtigt“: „Aber natürlich hat Peymann Recht. Stuttgart ist beschädigt – beschädigt vor allem durch den Krieg, beschädigt und beschnitten durch die beim Wiederaufbau eingezogenen Stadtautobahnen, beeinträchtigt und beansprucht durch jahrelange Großbaustellen. Gezeichnet von Zerwürfnissen in der Bürgergesellschaft.“ Dennoch sei die Stadt das Gegenteil von „menschenfeindlich“.
Jetzt legt Jan Sellner in seinem aktuellen StZN-Kommentar „Baustellen, wohin man schaut, Baulärm, wohin man hört“ nach und räumt ein: „Gleichwohl bemüht man Vergleiche, um die Baustelle Stuttgart zu beschreiben. Dabei unterscheidet sich die Situation des Jahres 2018 nicht wesentlich von der vor einem oder zwei Jahren. Und sie wird sich nächstes und übernächstes Jahr nicht wesentlich verändert haben. Das liegt daran, dass der Eindruck vorherrscht, als ginge in Stuttgart nichts richtig voran. […] Und der Eindruck des stockenden Stuttgart ist ja nicht falsch. Stuttgart 21 rund um den geschrumpften Bahnhof ist und bleibt auf Jahre hinaus ein Riesenloch. Ein City-Krater. Zuletzt hat die Bahn die Fertigstellung von 2021 auf aktuell 2025 verschoben. Daran wird sich die nächste Riesenbaustelle anschließen – der Aufbau des Rosensteinviertels.“ Und am Schluss seines aktuellen Kommentars erhebt er den Wunsch, dass es „am Ende Aufgabe der Stadt und des Oberbürgermeisters [sei], den Bürgern das Bild von der Baustelle Stuttgart zu erklären.“
Aha, und wo bitte bleibt die Frage nach der Verantwortung der Bahn als Bauherrin dieser „stockenden“ Megabaustelle mit dem „City-Krater“? Der Konzern startet sein Bauprojekt im Februar 2010 mit dem Zeitplan, dass Stuttgart 21 Ende 2019 in Betrieb geht. Wieder einmal erst nach einer Bundestagswahl hat sich der Bahnvorstand beim Zeitplan und bei den Kosten für Stuttgart 21 „ehrlich gemacht“. Jetzt wird Ende 2025 für die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 „angestrebt“. Laut S21-Chef Manfred Leger sollen die Rohbauarbeiten bis 2021 abgeschlossen sein und damit die Bahn „komplett aus dem öffentlichen Raum verschwunden sein„. Doch Skepsis ist angebracht. Bislang wurde kein einziger langfristiger Zeitplan bei Stuttgart 21 eingehalten. Verantwortlich dafür sind u.a. von der Bahn und ihrem Sachverständigen für Tunnelbau unterschätzte Risiken, wie dem tiefliegenden Anhydrit unter dem Kriegs- und Killesberg, eine Flut von Planänderungen sowie das bis heute nicht abschließend genehmigte Entfluchtungskonzept für den „Tiefbahnhof„. So ist noch keine einzige der achtundzwanzig Kelchstützen fertig betoniert, weil dem Eisenbahn-Bundesamt weiterhin für die Genehmigung Unterlagen fehlen. Manfred Leger nannte vor zwei Wochen in seiner Begrüßung auf der Infoveranstaltung im Bad Cannstatter Kursaal keinen konkreten Termin für die Freigabe und den Start der Betonarbeiten; die Betonierung der ersten Kelchstütze würde „in 2018 erfolgen“. Dabei war er es, der vor knapp drei Jahren Anfang April 2015 in einem StZ-Interview (hier) mehr Tempo („Warten Sie ab, wie schnell wir hier noch werden“ /“Und dann geht es ratzfatz“) versprach und das (bereits um ein Jahr verzögerte) Betonieren der ersten Kelchstütze für 2016 ankündigte. Wenn es so weitergeht, dann wird die Stuttgarter Innenstadt noch auf Jahre hinaus eine „beschädigte“ Stadt sein, deren Einwohner den Baulärm und die mit dem S21-Baustellenbetrieb verbundenen Einschränkungen ertragen müssen.