Gestern fand die zweite Informationsveranstaltung für die Anwohner des Kernerviertels im Rathaus statt, zu der die Bahn, die Bezirksvorsteherin Mitte Veronika Kienzle und die Bürgerbeauftragte Alice Kaiser eingeladen hatten. Die Bahn war auf dem Podium wieder zahlreich und hochrangig vertreten. Neben dem Geschäftsführer der Projektgesellschaft Stuttgart Ulm-GmbH Manfred Leger, dem Co-Geschäftsführer und Juristen Peter Sturm, dem Projektleiter des PFA 1.2. und 1.6. Matthias Breidenstein, dem kaufmännischen Projektleiter PFA 1.2. Bernd Sievers, dem Leiter der technischen Fachdienste Dr. Florian Bitzer, den Flächenmanagern Frau Albert und Herr Falk waren auch zahlreiche beauftragte Fachleute der Bahn vertreten: der Rechtsbeistand Dr. Schütz, der oberste Tunnelbauingenieur Prof. Dr. Wittke, sowie die beiden Immissionsschutzbeauftragten Dr. Fritz (Lärm, Erschüterungen) und Dr. Lohmeyer (Luft). Die Stuttgarter Zeitung wird über die Veranstaltung in ihrer morgigen Ausgabe kurz berichten (hier).
Das Netzwerk Kernerviertel hatte Frau Kaiser im Vorfeld der Veranstaltung einen Fragenkatalog zum Bauzeitenplan, der Baulogistik, den Belastungen durch Lärm und Erschütterung, Verkehr und den Unterfahrungen durch die Tunnelvortriebsarbeiten geschickt. Die Bahn setzte jedoch für die Veranstaltung Schwerpunkte (siehe Folien der Bahn), sodass nur ein Teil der Fragen in den Präsentationen und Fragerunden beantwortet wurden. Die Bahn ging im Baugeschehen auch nur auf die Tunnelvortriebsarbeiten und der Abtransport des Aushubs am Wagenburportal ein. Nicht berücksichtigt wurde, dass die auf der anderen Straßenseite der B 14 bereits im Sommer beginnenden Kanal- und Trogbauarbeiten auch die Bewohner des Kernerviertels unmittelbar betreffen werden. Auch der aktuelle Baustand der Baustraßen, die noch weit von ihrer Fertigstellung entfernt sind, wurde von der Bahn auf der Informationsveran-staltung ausgeklammert.
Da die Bahn wieder ausdrücklich Ton- und Bildaufnahmen untersagte, finden Sie hier eine Kurzinformation über die mündliche Beantwortung der schriftlichen Fragen des Netzwerks Kernerviertel durch die Bahnvertreter.
Das Netzwerk Kernerviertel hatte bereits mehrere Male bei der Bürgerbeauftragten moniert, dass im Sinne einer umfassenden Information Filmaufnahmen – und sei es nur mit dem Blickwinkel auf die Folien – selbstverständlich sein müssten. So lässt sich die Vermutung nicht ausräumen, dass von den Bahnvertretern Persönlichkeitsrechte vorgeschoben werden, um später nicht auf die Aussagen festgelegt zu werden.
Dies ist um so bedauerlicher, als die Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm GmbH einen neuen Umgang mit den betroffenen Anwohnern und Eigentümern ankündigt.
So soll der Gestattungsvertrag, die Haftungsversicherung für die beauftragten Baufirmen sowie Unterlagen zur Lärmplanung und -messung (schalltechnische Detailgutachten mit Immissionsplänen, Maßnahmenblätter für den Schallschutz, das Messkonzept und die Messwerte) zukünftig auf der Internetseite des Kommunkationsbüros veröffentlicht werden. Diesen Schritt der Bahn auf die Betroffenen zu kann man nur ausdrücklich begrüßen ! Auch die bereits in der Presse (StZ / StN) angekündigte Zusage des Co-Geschäftsführers Peter Sturm, in den Gestattungsverträgen mit den vom Tunnelbau betroffenen Eigentümern einen Passus zum Anscheinsbeweis – einer rechtlich abgeschwächten Beweisumkehr – mitaufzunehmen und im Schadensfall die Messprotokolle auszuhändigen, kann einen deutlichen Schritt für die Betroffenen bedeuten. Unter welchen konkreten Bedingungen er jedoch von der Bahn eingeräumt wird, wird der neue Gestattungsvertrag zeigen.
Weiter in der Kritik bleibt die Lärmfrage. Im Vorfeld der Veranstaltung hatte das Netzwerk Kernerviertel die Lärmprognosen des langjährigen Bahngutachters und Immissionsschutzbeauftragten massiv kritisiert und eine Prüfung und Messung durch die Stadt Stuttgart gefordert. Auch im Dialog auf der Veranstaltung konnte die Kritik des Netzwerks, dass die Lärmprognosen nicht den Auflagen der Planfeststellung entsprechen, nicht ausgeräumt werden. Dr. Fritz hielt die isolierten Berechnungen für den Kanal- und Trogbau für weiterhin ausreichend, obwohl nach den Vorgaben der Planfeststellung eine Lärmprognose auf Basis sämtlicher gleichzeitig stattfindenden Bauarbeiten zu erfolgen hat. Sein Hinweis, dass bereits in der Planfeststellung Maximalwerte ermittelt wurden, ist für das Netzwerk nicht nachvollziehbar. Denn die aktuell berechneten Dezibelwerte für das Kernerviertel übersteigen teilweise die Werte der Planfeststellung. Auch sein Argument, dass beim letzten schalltechnischen Detailgutachten vom 13.06.2013 der Nesenbachdüker enthalten sei, ist nicht verständlich. So heißt es auf Seite 20 des Gutachtens ausdrücklich, dass die Arbeiten des Nesenbachdükers in einem gesonderten Detailgutachten behandelt werden. Vermutlich vor dem Hintergrund, dass das EBA noch nicht über die Planänderung in der Bauweise ( offene Bauweise mit Bohrpfählen statt bergmännisch mit Druckluft) entschieden hat. Einzig die noch nicht berücksichtigte Lärmplanung der Hebungsinjektionen in der Sänger-/Urbanstraße räumte er ein. Die Bahnvertreter gingen auch nicht auf den Vorwurf ein, dass betroffene Straßenzüge im Viertel, wie z.B. Teile der Wera- und Schützenstraße mit freier Sicht auf die Baustelle, in den Lärmgutachten nicht mit Prognosewerten berücksichtigt wurden. Auch die Gutachten zu den Schallschutzfenstern, um deren Einsicht das Netzwerk Kernerviertel sich seit 4 Monaten bemüht, bleiben weiterhin unter Verschluss. Die Bahn beruft sich dabei auf den Schutz der Eigentümer. Auf Anfrage könnten sie jedoch die Fassadenwerte ihres Hauses erhalten. Dabei sollte nach den Vorgaben der Planfeststellung nicht die Bahn, sondern das Eisenbahnbundesamt über die aktiven und passiven Schutzmaßnahmen entscheiden.
Das Netzwerk forderte auf der Veranstaltung umfassende Lärmmessungen. Der Rechtsbeistand Herr Dr. Schütz erklärte jedoch, dass die Bahn dazu nicht verpflichtet sei. Daher forderte auch die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle, dass die Stadt Messungen vornimmt. Sie wird sich in dieser Angelegenheit an den Oberbürgermeister wenden. Auch die Grünen-Fraktion im Gemeinderat hatte die Forderungen des Netzwerks aufgegriffen und dazu einen Antrag gestellt. Das Netzwerk Kernerviertel möchte sich auf diesem Weg ausdrücklich bei Frau Kienzle, der Grünen-Fraktion im Gemeinderat und den Mitgliedern des Bezirksbeirats Mitte, die parteiübergreifend die Forderungen des Netzwerks zum Lärmschutz unterstützen, bedanken !
Ein Schmankerl zu Schluss: Auf die Frage einer Bürgerin, ob und warum der Infiltrationsbrunnen 202 in der Werastraße nicht in Betrieb genommen wird, konnten die Bahnvertreter auf dem Podium keine Auskunft geben und daher sah sich eine Vertreterin des Netzwerks gezwungen, die Frage zu beantworten. Dabei hatte das Netzwerk Kernerviertel schon an der letzten Veranstaltung im November danach gefragt, da die Stadt Stuttgart in ihrer Stellungnahme vom 31.7.2013 den Betrieb des Brunnens wegen der Gefahr einer Hohlraumbildung durch Sulfatauslaugung untersagt und eine Nutzung dieses Brunnen als Steuerpegel gefordert hatte. Auch bei der letzten Veranstaltung konnte der damals anwesende verantwortliche Geologe der Bahn, Herr Dr. Westhoff, diese Frage nicht beantworten und das Netzwerk erhielt anschließend eine Mail von der Bürgerbeauftragten, die diese Brunnenstilllegung bestätigte.