Laut den beiden Stuttgarter Zeitungen (hier) hat der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn die Bahn „zu einer pünktlichen Fertigstellung des umstrittenen Bauprojektes Stuttgart 21 aufgefordert“.
In der gestrigen Meldung wird Kuhn indirekt zitiert: „Es sei ein Skandal, dass der Bund nicht interveniere und Geschwindigkeit anmahne. Immerhin sei das Eisenbahnbundesamt als Genehmigungsbehörde für das Projekt dem Bund unterstellt, der immer wieder die nationale und europäische Bedeutung des Projektes hervorhebe […] Die Bahn habe sich im Finanzierungsvertrag verpflichtet, den Tiefbahnhof samt Anbindung zur Neubaustrecke nach Ulm 2021 fertigzustellen, erläuterte Kuhn. Es mache einen signifikanten Unterschied für die Lebensqualität der feinstaubgeplagten Stuttgarter, ob das Vorhaben in vier oder in zehn Jahren fertig werde.“
Seine Forderung ist sicherlich nicht nur der Sorge um die Lebensqualität der Stuttgarter und die Freimachung des Bahngeländes für die internationale Bauausstellung, sondern auch der Klage der Bahn auf Mitfinanzierung von Mehrkosten bei einer späteren Fertigstellung geschuldet. Dass der OB eine Fertigstellung erst in 10 Jahren für nicht ausgeschlossen hält, macht allerdings sehr hellhörig.
Bislang räumte die Bahn im Juni 2016 ein, dass die Bauarbeiten für den „Tiefbahnhof“ zwei Jahre im Rückstand sind. Gegensteuerungsmaßnahmen, parallele Bauarbeiten in mehreren Baufeldern und die Ausweitung der Bauzeiten in den Nachtzeitraum, wurden damals angekündigt. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG bemängelte jedoch in ihrem Prüfbericht vom 27.9.2016 auf Seite 28 und 131: „Den von der PSU ausgewiesenen Gegensteuerungsbedarf in der Höhe von € 524 Mio. konnten wir inhaltlich nicht überprüfen, da uns hierzu keine Maßnahmen vorliegen.“ Mehr zu den einschränkenden Prüfvermerken finden Sie in der aktuellen Rede von Hans Heydemann, Ingenieure 22. Auch der Aufsichtsrat der DB AG fordert vom Bahnvorstand für die nächste Aufsichtsratssitzung laut den Stuttgarter Nachrichten vom 14.12.2016 „eine detaillierte Aufstellung der seit Juli versprochenen „Gegensteuerungsmaßnahmen“.
Den Stuttgarter Bürger und betroffenen Anwohnern geht es nicht anders. An den am Wochenende stattgefundenen „Tagen der offenen Baustelle“ suchte man vergeblich nach Zeitplänen für die Fertigstellung des „Tiefbahnhofs“ und der SSB-Arbeiten. Im letzten Jahr war noch im Januar 2016 eine große Schautafel mit den Bauschritten am Südkopf der Bauarbeiten für den Tiefbahnhof, den Nesenbachdüker und die SSB bis 2023 aufgestellt. Auf Nachhaken des Aktionsbündnisses und des Netzwerks Kernerviertel dementierte damals die Bahn diesen Zeitplan als veraltetes Ergebnis eines Workshops. Jetzt wurden diese Bauschritte in der exakten Reihenfolge wieder ausgehängt, allerdings ohne Zeitangaben. Man findet sie in der Fotodokumentation der Schautafeln von Wolfgang Rüter unter Bild 82-100.
Für die Fertigstellung des „Tiefbahnhofs“ waren dieses Jahr zwei sehr komplexe Schautafeln aufgestellt. Zum einen „Wie der Durchgangsbahnhof gebaut wird“ in 40 Bauschritten (Bild 23-67) und an anderer Stelle die Tafel „Weitere 30 Bauschritte, dann ist der Bahnhof fertig“. Keine einzige Jahreszahl lässt sich auf den beiden Tafeln finden. Zur mangelnden Information trug bei, dass der aktuelle Baustand nicht zeitlich zugeordnet wurde. Der derzeit laufende gleichzeitige Bau der Bodenplatte in den Baufeldern 16, 17 und 22 lässt sich aus diesem Bauschrittsplan nicht herauslesen.
Auch die Nachfrage nach den bereits in der Presse angekündigten Nachtbauarbeiten wurde nur nach mehrfachen Nachhaken ausweichend beantwortet. Ja, es hätte im Baufeld 16 ein einwöchiger Testbaubetrieb im Nachtzeitraum stattgefunden, bei dem keine Immissionsbelastung für die Umgebung gemessen wurden. Mehr wisse man noch nicht…
Die Zurückhaltung mag daran liegen, dass die Entscheidung über die parallelen Bauarbeiten in mehreren Baufeldern und die Ausweitung der Bauzeiten in den Nachtzeitraum noch zur Prüfung beim Eisenbahn-Bundesamt liegt. Darüber berichteten die Stuttgarter Nachrichten am 14.12.2016. Darin wird auch Baubürgermeister Peter Pätzold zitiert, nachdem es noch „Detailuntersuchungen“ bräuchte. Unter anderem muss laut StN die Grundwassersimulation für das zeitgleiche Öffnen mehrerer Baugruben aktualisiert werden. Der BUND fordert wegen den Auswirkungen auf Natur und Gebäude ein offizielles Planänderungsverfahren.
Die StN zitiert dazu den BUND: „Rechne man die Zeit für Gutachten und Prüfung zusammen, könne die Bahn laut BUND- Regionalgeschäftsführer Gerhard Pfeifer erst 2020 mit einer Genehmigung rechnen. „Die Bahn lügt sich beim Zeitplan weiter in die Tasche. Sie sollte dazu stehen, dass es länger dauert und mehr kostet. Eine noch stärkere Gefährdung des Grund- und Mineralwassers wie bisher, darf es nicht geben. Gefährdet sind auch die Baumbestände im Schlossgarten“, lautet Pfeifers Fazit.“
Sprich, die auf den „Tagen der offenen Baustelle“ vorgestellten 70 Bauschritte für die Fertigstellung des Tiefbahnhofs und der Bauablauf am Südkopf könnten sich, soweit das EBA dies genehmigt, noch gravierend ändern. Unklar ist, wann und ob. Doch diese Information wurde an den Tagen der offenen Baustelle weder auf den Schautafeln noch im Gespräch kommuniziert.
Auch nicht kommuniziert wurde, dass die Kelchstützen des „Tiefbahnhofs“ mangels Freigabe durch das EBA noch gar nicht gebaut werden können. So heißt es in einer Meldung der Stuttgarter Nachrichten vom 19.12.2016: „So sollte bereits Ende 2015 die erste Stütze im Schlossgarten für das Hallendach des Bahnhofs stehen. Sie werde „sehr bald wachsen“, sagte Manfred Leger, man brauche Ausnahmegenehmigungen, die sehr schwierig einzuholen seien.“
Fazit: auf an den letzten „Tagen der offenen Baustelle“ gab es zwar mehr als im letzten Jahr zu sehen. Es wurden jedoch die Schwierigkeiten, mit denen die Bahn beim Bau des „Tiefbahnhofs“ zu kämpfen hat, ausgeblendet. Im letzten Jahr wurde für den Südkopf ein angeblich überholtes Schaubild über den Bauablauf aufgestellt. Dieses Jahr wurden den Besuchern Zeitpläne für das Großprojekt erst gar nicht mehr präsentiert. Und über die Presse angekündigten Nachtbauarbeiten keine Information.
Dafür hatten die Besucher mit Kindern u.a. die Gelegenheit einen Bagger zu fahren. Und Europas größte Baustelle wurde in der Werbung durch den S21-Verein auf ein putziges, pastellfarbenes „Bob-der-Baumeister-Format“ gestutzt: