Die Wohnhäuser im unteren Kernerviertel sollen nur in einer geringen Tiefe und im äußerst weichen Gestein des ausgelaugten Gipskeupers vom Fildertunnel unterfahren werden. Zwischen Tunnelfirst und Keller sind oft nur wenige Meter. Daher sieht der Planfeststellungsbeschluss zum PFA 1.2./Fildertunnel vor, dass dem Anfahrbereich nächst gelegene Gebäude (Sängerstraße 6-8, Urbanstr. 47-51) mit Hebungsinjektionen zum Schutz vor Senkungsschäden zunächst um ein paar Zentimeter angehoben werden mussen. Ansonsten würden sich die Häuser nach Berechnungen bei der Unterfahrung zu stark setzten. Einen Hinweis auf die zu erwartende Größenordnung gibt die geotechnische Stellungnahme auf Seitte 114ff, die von der Bahn 2013 im Zuge der Planänderung Grundwassermanagement nachgereicht wurde. Danach würden sich die Wohnhäuser im Anfahrbereich bis zur Urbanstraße ohne die Hebungsinjektionen um eine „vortriebsbedingte Gesamtsenkung“ um 5-7 cm setzen.
Für die Hebungsinjektionen müssen drei Schächte (Polizeiparkplatz, Sängerstr. 6 und Urbanstraße 47) mit einem Durchmesser von rund 6 Meter ausgegraben werden, über die dann per Bohrungen Beton in den Untergrund verpresst werden soll. Erste Informationen über die Hebungsinjektionen wurden von der Bahn im Oktober 2013 auf der Rathaus-Veranstaltung präsentiert (hier). Informationsrunden im engen Kreis für die direkt betroffenen Eigentümer über die baulichen und rechtlichen Fragen zu den technisch aufwändigen Hebungsinjektionen waren angekündigt.
Im Dezember 2015 erhielt jedoch ein viel größerer Kreis von Eigentümer im Kernerviertel von der Bahn eine Einladung zu den beiden geschlossenen Informationsveranstaltungen über die Hebungsinjektionen als eigentlich nach der Planfeststellung vorgesehen ist. Grund dafür ist, dass die Bahn jetzt die Hebungsinjektionen auf ein mehr als doppelt so großes Gebiet bis hoch zum Schützenplatz ausweiten will. Auch die Stützmauern der Eigentümer der darüberliegenden Kernerstraße sind von den Hebungsinjektionen betroffen. Das Gebiet, das jetzt die Bahn mit Hebungsinjektionen durch eine Betonierung/Verfestigung des Untergrunds absichern will, findet sich in der Präsentation, die auf der Webseite der Projektgesellschaft Stuttgart-Ulm GmbH eingestellt ist. Die Hebungsinjektionen links der Urbanstraße sind planfestgestellt. Für die zusätzlichen Hebhungsinjektionen bis zum Schützenplatz will die Bahn jetzt eine Planänderung beim Eisenbahn-Bundesamt einreichen. Die Eigentümer wurden aufgefordert bis Mitte Januar 2016 ihre schriftliche Zustimmung dazu zu erteilen:
Dass jetzt bei einer Vielzahl weiterer Wohngebäude im Kernerviertel aufwändige Hebungsinjektionen zum Schutz erforderlich sind, kommt überraschend. Die Bahn hatte seit dem Projektstart für Stuttgart 21 die geologische Vorerkundung und die Sicherheit ihrer geplanten Schutzmaßnahmen beim Tunnelbau betont. Warum jetzt doch die Hebungsinjektionen auch für eine Vielzahl von weiteren, höherliegenden Gebäuden erforderlich ist, wurde in den Veranstaltungen nicht erläutert noch Unterlagen über den Planänderungsantrag dazu bereit gestellt.
Eigentümer des Kernerviertels, die im Rahmen der Planfeststellung gegen die unzureichenden Sicherungsmaßnahmen beim Tunnelbau geklagt hatten, fanden vor dem Verwaltungsgerichtshof BW und dem Bundesverwaltungsgericht kein Gehör. Der Gutachter der Bahn vor Gericht, Prof. Dr. Wittke, befand die Schutzmaßnahmen seiner eigenen Planung für ausreichend. So kann man im Urteil des 5.Senats des Verwaltungsgerichtshofes vom 08.02.2007 folgende Einschätzung des Gerichts lesen: „Durch die vorgesehene, im Einzelnen in der tunnelbautechnischen Stellungnahme des Gutachters Prof. Dr.-Ing. W. „Zur Unterfahrung der Gebäude … Straße … und … Straße … sowie der Stützmauer mit dem Fildertunnel“ vom Januar 2006 erläuterte Bauweise würden vortriebsbedingte Senkungen minimiert…. An den untersuchten Gebäuden seien allenfalls Putzrisse zu befürchten. Die Baukonstruktion selbst werde in ihrer Tragfähigkeit nicht beeinträchtigt.“
Die Einschätzung, dass in dem Anfahrbereich nach der Urbanstraße trotz des weichen Untergrunds und prognostizierten 4-5 cm Absenkung keine Hebungsinjektionen erforderlich sind, findet man noch 2013 in der geotechnischen Stellungnahme der Bahn zum Planänderungsverfahren Grundwassermanagement, die ebenfalls das Büro WBI, Wittke beratende Ingenieure, mitverantwortet hat. Auf Seite 116 heißt es:
Wie wenig belastbar diese vor Gericht und im Planänderungsverfahren abgebene Einschätzung des Sachverständigen der Bahn für den Tunnelbau bei Stuttgart 21 war, zeigt jetzt die Ausweitung der erforderlichen Hebungsinjektionen im Kernerviertel, die der Bahn viel Geld und Zeit kosten wird. Möglicherweise spielt auch die Hinzuziehung des vom EBA berufenen geotechnischen Sachverständigen, über den wir bereits berichtet haben, eine Rolle. Die Bahn betonte in den Informationsveranstaltungen die erprobte Sicherheit dieses Hebungsverfahrens. Dabei sind die Hebungsinjektionen keine Sicherheit für die Anwohner, dass alles beim Tunnelbau problemlos laufen wird:
- Das Landesamt für Geologie wies in seiner Stellungnahme vom 31.07.2013 hin, dass erstmals in Stuttgart Gebäude in diesen geologischen Schichten angehoben. So schrieb das LGRB:„…Hebungsinjektionen sind ein vielfach angewandtes und ausgereiftes Verfahren zur Setzungskompensation. Der Erfolg der Injektionsmaßnahmen an der U15-Trasse kann für den betrachteten Bereich nicht zum direkten Vergleich herangezogen werden. Dazu sind die geologischen und morphologischen Verhältnisse zu unterschiedlich. An der Urban-/Sängerstraße sollen Hebungsinjektionen im Hangbereich auch in quartären Schichten durchgeführt werden. Dem LGRB sind für derartige Verhältnisse noch keine Vergleichsfälle im Stadtgebiet bekannt…“.
- Die Hany-Azer-Risikoliste aus dem Jahr 2011 sieht ein 49%iges Risiko vor, dass bei den Hebungsinjektionen Schäden an den Gebäuden eintreten. So heißt es in der Liste, die mittlerweile auch auf der Webseite der Projektgesellschaft zu finden ist: „Risiko Nr.78 – PFA 1.2/1.6: Schäden Gebäude Sängerstrasse: Bei Störungen im Bereich der Hebungsinjektionen (dienen zur Sicherung der Gebäude) kann der Anfahrbereich eventuell nicht wie geplant ausgeführt werden. Dann müssen Alternativen überlegt werden.“
- Nicht geklärt sind die Auswirkungen der Hebungsinjektionen, beispielsweise auf die Rohrleitungen, die Änderung der Wasserläufigkeit im Gestein oder die Übertragung von höheren Schall- und Erschütterungsimmisionen des Bahnbetriebs durch die Betonierung / Verfestigung des Untergrunds.