Das Eisenbahn-Bundesamt hat Prof. Dr. – Ing. Kurt-Michael Borchert (GuD Geotechnik und Dynamik Consult GmbH, Berlin) als geotechnischen Sachverständigen beauftragt, der die Pläne der Bahn für die Gründung des „Tiefbahnhofes“ und die wechselseitige Beeinflussung von Nachbarbebauung und Baugrube baubegleitend überprüfen soll. Die Konstruktion des „Tiefbahnhofes“ mit seinen Kelchstützen und Lichtaugen sowie der geologisch schwierige Untergrund stellt hohe Anforderungen an die Gründung dar, da „das Kelchdach sehr empfindlich auf Setzungsdifferenzen reagiert“. Für die Gründung des „Tiefbahnhofes“ sowie seiner Anfahrbereiche am Nord- und Südkopf sind über 4.000 Ramm- bzw. Bohrpfähle erforderlich.
Letzen Montag sprach er in einer Vortragsreihe über aktuelle Fragestellungen aus der Geotechnik an der Universität Stuttgart/Institut für Geotechnik. Er hatte bereits 2014 in einem Vortrag über den Stand seiner Prüfarbeit berichtet. Seinen damaligen Vortrag anlässlich eines Symposiums, der für Interessierte viele Informationen enthält, können Sie hier abrufen. Bereits damals wies er daraufhin, dass die Bestimmung der Bodenkennwerte durch den Bodensachverständigen und die darauf aufbauende geotechnische Prüfung auch aufgrund der heterogenen Bodenverhältnisse im Stuttgarter Baugrund sehr komplex seien: „Insbesondere wenn örtlich, wie bei der Baumaßnahme Stuttgart 21 dann auch noch lokal variierende Baugrundverhältnisse vorkommen (stark variierende Verwitterungsgrade des Gipskeupers, Möglichkeit des Vorliegens von Dolinen) ist die Ermittlung von standortspezifisch „korrekten“ bodenmechanischen Kennwerten keine einfache Aufgabe.“
Die Nachrechnungen der Probebelastungen für die Ortbetonrammpfähle stellt aus seiner Sicht eine große Herausforderung dar, bei der eine ingenieurpraktische Lösung auf dem aktuellen Stand der Forschung erst noch entwickelt werden müsse. Auch die Auswirkungen von Rammarbeiten auf die anderen Pfähle innerhalb einer Pfahlgruppe seien komplex. Nahgelegene, frisch gesetze Pfähle könnten beispielsweise durch Risse im Beton in ihrer Tragfähigkeit beeinträchtigt werden.
Auch die Beurteilung der Auswirkungen der Gründungs- und Tiefbauarbeiten auf Nachbarbauwerke ist Teil seiner Arbeit. Als Beispiel nannte er zum einen das Gebäude der LBBW, bei dem bis auf nächster Nähe die Bauarbeiten für den Trogbau stattfinden. Die vorderen Säulen des Gebäudes sind extrem setzungsempfindlich. Aus wirtschaftlichen Gründen wurden sie damals beim Bau des Gebäudes kürzer als eigentlich erforderlich in den Boden gegründet. Die prognostizierten 3mm (!) Senkungen hätten dem Gebäude Schäden zugefügt. Diese Prognosen hatten nach Aussage von Prof. Borchert lange Diskussionen auf der Ebene der LBBW- und Bahnvorstände ausgelöst. Daher mussten technisch aufwendige senkrechte Hebungsinjektionen bei den beiden Pfählen bis auf 0,5 bis 1 mm durchgeführt werden. Wir hatten über den Rechtstreit der LBBW kurz berichtet. (Anmerkung: Dass bereits bei so geringen Werten bei einem empfindlichen Gebäuden Schäden enstehen können, ist vor dem Hintergrund der weit höheren prognostizierten Senkungen für die Gebäude entlang der Tunnelstrecken sehr interessant). Als weiteres Beispiel für seine Prüfarbeit nannte Prof. Borchert das knappe Unterfahren und das Auffangen der denkmalgeschützten Bahndirektion. Hier müssten komplexe statische Probleme, insbesondere die Lastverminderung auf die darunterliegenden SSB-Tunnel, gelöst werden.
Nach Einschätzung von Prof. Borchert sind die geotechnisch hoch komplexen Fragestellungen beim Bau des „Tiefbahnhofes“ lösbar. Allerdings wies er in seinem Vortrag auf zahlreiche kritische Punkte hin, die – auch vor dem schleppenden Baufortschritt aufhorchen lassen:
- Die Bahn wird im Stuttgarter Talgrund Grundwasserabsenkungen in großem Maße vornehmen, „wie es sonst in Deutschland nicht mehr üblich sei.“ In dieser Größenordnung wurde in Berlin nur noch vor dem Krieg abgesenkt. Die daraufhin eingetretenen Probleme bei Holzpfahlgründung seien zum Teil heute noch spürbar. (Anmerkung: heute werden in der Regel Betonierarbeiten unter Wasser vorgenommen. Dieses Bauverfahren ist jedoch teurer. Die Bahn setzt dieses Verfahren lediglich beim Nesenbachdüker nach einer genehmigten Planänderung ein).
- Bei seiner Prüfung bemängelte er fehlende Nachweise der Gebrauchtauglichkeit (d.h. der Auswirkungen der Bautätigkeit) für die die Nachbargebäude. Es lagen nur Ermittlungen der resultierenden Verformungen vor. Die Festlegung von Schwellen-, Alarm- und Eingreifwerten fehlte. Herstellungsbedingte Verformungen bilden die Programme noch nicht ab. Eine Einstufung in „empfindliche“ und „nichtempfindliche“ Bauwerke war teilweise nicht begründet. (Anmerkung: die Bahn hatte erst im Laufe des Planänderungsverfahrens zum Grundwassermanagment auf Druck der Stadt Stuttgart sowie der Fachbehörden und der Einwände der in den Netzwerke zusammengeschlossenen Betroffenen eine geotechnische Stellungnahme über die Auswirkungen der jahrelangen Absenkungen und Infiltrationen nachgereicht. Wir haben darüber berichtet. Die Netzwerke hatten damals auf der mündlichen Erörterung kritisiert, dass der Gutachter der Bahn in der geotechnischen Stellungnahme / S.81ff bei einigen – auch historischen Gebäuden – als „worst-case“ eine Flachgründung unterstellt, ohne die tatsächlichen Gründungsverhältnisse den Berechnungen zugrunde zu legen).
- Die Wahl des Bodenprofils war zum Teil nicht begründet. Es wurden punktuelle Bohraufschlüsse für die Bemessungen verwendet. Bodenkennwerte wurden teilweise interpoliert (Annahme von Eigenschaften zwischen bekannten Punkten)
aber auch regelwidrig extrapoliert (Annahme der Eigenschaften weiter entfernter Punkte außerhalb des untersuchten Bereichs). „Eine räumliche Variabilität des Baugrundes“ so der Prüfer „sei jedoch bei diesem „Linienbauwerk“ zu berücksichtigen.“ (Anmerkung: die Bahn hatte auch in der Schlichtung (Folie) betont, dass im Vorfeld umfangreiche Bodenerkundungen gemacht wurden). - Die rechnerischen Nachweise für die Franki-Rammpfähle gestalten sich als technisch sehr schwierig. Hier müsse man sich schrittweise herantasten. Prof. Borchert zeigte sich auf seinem Vortrag erstaunt, dass „dass man da noch nie was hatte oder gezeigt hatte.“ Auch bei der Modulierung von Pfahlgruppen , d.h. der gegenseitigen Beinflussung der nahgelegenen Pfähle, sei er als Prüfer überrascht gewesen, wie „wenig Material von den Firmen geliefert wurde.“
- Nach Einschätzung des Prüfers sind „die resultierende Steifigkeit am Pfahlfuß und die räumliche Ausdehnung der Verspannungen am Fuß und um den Pfahl sind jedoch derzeit mit klassischen Verfahren der Geotechnik nicht prognostizierbar.“ Die möglichst realistätsnahe Simulationen des Gesamtsystems sei derzeit noch in der Entwicklung.
- Die zusätzlichen Belastungen für die geplanten Bodenaufschüttungen von 6 Metern auf dem Dach des „Tiefbahnhofs“ mussten noch berechnet werden.
- Erdbebennachweise für kleinere Bauwerke (Brücken, Rohrleitungen) fehlten. Diese sind erforderlich, da Stuttgart in der Erdbebenzone 1 liegt.
Ein Teil dieser Kritikpunkte finden sich in zwei seiner Folien wieder (Folie 1/Folie2).