Bei der Ankündigung der Bahn, mehr über den Tunnelbau zu informieren, lohnt sich ein Blick zurück. Am Beispiel des geotechnischen Gutachtens, das im Zuge der Planänderung Grundwassermanagement von den Behörden und den betroffenen Anwohnern zur Abklärung der Standsicherheit der Häuser besonders für das Kernerviertel gefordert wurde, kann man den bisherigen Umgang der Bahn mit den Betroffenen exemplarisch aufzeigen:
1. Die Bahn beantragte Anfang 2011 das erste Mal beim Eisenbahnbundesamt (EBA) mehr als eine Verdoppelung der Grundwasserentnahmemenge von 3 auf 6,8 Milliarden Liter. Die Stadt nahm in ihren Stellungnahmen als untere Wasserbehörde vom 27. Mai und 23. Juli 2011 u.a. die Fragen besorgter Anwohner auf und forderte ein geotechnisches Gutachten zur Abklärung der Risiken für die Standsicherheit der Häuser, beispielsweise im Hinblick auf Hangrutschungen, Hohlraumbildung durch Sulfatauslaugung oder Verformung des Untergrunds durch die verstärkte Absenkung des Grundwasserspiegels. Dem EBA empfahl sie im Vorfeld einer weiteren Beteiligung eine Prüfung aller geotechnischen Gutachten durch eine sachverständige Stelle (z.B. Landesamt für Geologie, Rohstoffe und Bergbau, Bundesanstalt für Wasserbau o.ä.) zu veranlassen. Der Umweltminister Franz Untersteller nahm in Absprache mit der Stadt die Fachaufsicht wahr und warf der Bahn öffentlich mangelnde Sorgfalt vor. Die Bahn müsse ihren Antrag nachbessern und zudem auf Schutzmaßnahmen für Bäume und Häuser eingehen (StZ-Berichte 1 / 2 /3).
2. Dies war auch notwendig, da in der ursprünglichen Planfeststellung 2005 die Auswirk- ungen des Grundwassermanagements auf die umgebende Bebauung lediglich auf eine kurze Stellungnahme eines Sachverständigen Institutes aus dem Jahr 2000 genehmigt wurden: „Auswirkungen auf die Bauwerke und Anlagen Dritter: Nachteilige Auswirk- ungen des zentralen Grundwassermanagments auf Bauwerke und Anlagen Dritter sind bei ordnungsgemäßen Betrieb nicht zu besorgen.“ Nachfragen einer betroffenen An- wohnerin des Kernerviertels Anfang August 2011 beim EBA ergaben, dass die Aufsichts-behörde keine Angaben darüber machen konnte, welche Risiken damals von den Sachver-ständigen abgeklärt wurden. Eine Untersuchung der Risiken einer Hangrutschung schätzte das EBA damals gegenüber ihr als „fernabliegende Eventualität“ ein. Im Planfest-stellungsverfahren 2005 lagen daher den betroffenen Anwohnern keine Unterlagen über die Abklärung möglicher Risiken der jahrelangen Grundwasserabsenkung und – infiltration auf die Standsicherheit der Gebäude vor.
3. Die DB reichte jedoch dieses geforderte geotechnische Gutachten nicht nach, sondern zog den Planänderungsantrag – noch vor der Rodung des Schlossgartens im Februar 2012 – zurück. Im Frühjahr 2012 reichte die Bahn erneut einen überarbeiteten Planänderungs-antrag auf erhöhte Grundwasserentnahme beim EBA ein (StZ-Bericht). Im April 2012 antwortete ein Vertreter der Bahn im Bezirksbeirat Mitte auf die Frage nach dem geo- technischen Gutachten, dass eine umfassende geotechnische Abklärung wie beispielsweise zur Infiltration in den Ameisenberg wegen der Tiefe der Brunnen (40-60 Meter) und den felsartigen Böden im Talgrund nicht erforderlich sei.
4. Im Juni 2012 entschied das EBA, dass die Planänderung in einem öffentlichen Ver- fahren mit Anhörung der betroffenen Anwohner durchgeführt wird. Baubürgermeister Matthias Hahn erklärte öffentlich, dass er seit einem Jahr auf das geotechnische Gutachten warte (StZ-Bericht 1 / 2 ). Im Juli forderte die neu gegründete Anwohner-Bürgerinitiative „Netzwerk Kernerviertel“ die Abklärung der Risiken der Grundwasser-absenkung und -infiltration in einem geotechnischen Gutachten und wendete sich an den Umweltminister, der ihnen Unterstützung zusagte. (Pressemitteilung / Berichte 1 / 2 / 3 ).
5. Mitte September 2012 wurden in dem öffentlichen Verfahren die Unterlagen der Bahn ausgelegt. Die Bahn versuchte die Bürger via TV-Bericht mit ausgewählten Fragen zu informieren (Berichte 1/ 2). Die ausgelegten Unterlagen enthalten jedoch nicht das geforderte geotechnisches Gutachten, sondern nur mehrere kurze gutachterliche Stellung-nahmen, darunter eine 4-Seitige des mit dem Tunnelbau beauftragten Bauingenieurs Prof. Dr. Wittke zur Hangstabilität (hier) und ein 6-seitiges zu den Beweissicherungsgrenzen (hier). Die beiden Netzwerke Kernerviertel und Killesberg wiesen in einer Presseerklärung vom 12.9.2012 auf die unzureichende Risikenabklärung hin und forderten erneut ein umfassendes geotechnisches Gutachten.
6. Beim Regierungspräsidium Stuttgart gingen zum Einwendeschluss Anfang November 2012 mehr als 10.000 Einwendungen gegen die Planänderung ein. Darunter auch zahl- reiche Schreiben betroffener Anwohner aus dem Kernerviertel und dem Killlesberg, die auf das fehlende geotechnische Gutachten der Bahn hinwiesen. Das Amt für Umwelt- schutz der Stadt monierte in seiner Stellungnahme zu den ausgelegten Bahnunteragen zahlreiche Punkte, darunter auch das weiterhin fehlende geotechnische Gutachten. (hier / Berichte 1 / 2 ). Auch das Landesamt für Geologie hielt die von der Bahn vorgelegten Unterlagen für unzureichend (hier).
7. Im April 2013 forderte das Netzwerk Kernerviertel erneut in einer Presseerklärung das geotechnische Gutachten ein. Zeitgleich reichte die Bahn eine zusammenfassende geotech-nische Stellungnahme nach beim Regierungspräsidium nach, die im Internet veröffent- licht wurde (hier / Bericht).
8. Noch bevor die Stadt Stuttgart und das Landesamt für Geologie zu dieser nachge- reichten Unterlage schriftlich Stellung genommen hatten, setzte das Regierungspräsi- dium auf Druck der Bahn einen Erörterungstermin im Juli 2013 an. Sowohl das Verkehrs- als auch das Umweltministerium hatten sich im Vorfeld öffentlich gegen einen verfrühten Termin gewandt (Berichte 1 / 2 / 3 / 4 / 5). Auch die Netzwerke forderten in einem Schrei- ben an den Regierungspräsidenten Johannes Schmalzl die Verschiebung des Erörterungs-termins bis die Stellungnahmen vorlägen (hier). Die Erörterung musste bereits am zweiten Tag wegen Befangenheit des Versammlungsleiters abgebrochen werden (Berichte 1 / 2 / 3)
9. Anfang August 2013 legte das Landesamt für Geologie die schriftliche Stellungnahme zu der zusammenfassende geotechnischen Stellungnahme der Bahn vor, in der weiterhin noch offene Fragen an die Bahn formuliert sind (hier / StZ-Bericht).
10. Unmittelbar am ersten Tag nach den Schulferien begann die 5-tägige Erörterung, bei der die betroffenen Anwohner u.a. der Bahn Verharmlosung vorwerfen ( Bericht). Der Sachverständige des BUND hält das Grundwasserströmungsmodell der Bahn für Prognosen, u.a. auch die der Hangstabilität, für nicht geeignet (Bericht 1/2). Der BUND forderte die Prüfung der geotechnischen Stellungnahmen der Bahn durch externe unab- hängige Sachverständige.
11. Die Netzwerke forderten mehrfach wegen noch offener Fragen und des Bekannt-werdens der bisher von der Bahn verschiegenen internen Baurisiken eine Fortsetzung der Erörterung (PM 1 /2) , die dann Mitte Dezember 2013 stattfand und aus Sicht der Netzwerke zahlreiche Fragen zur Gebäudesicherheit offenließ (hier / Berichte 1/2).
Fazit: Allein die Darstellung des zeitlichen Ablaufs zeigt auf, dass die Bahn ein geotechnisches Gutachten zur Abklärung der Standsicherheit der Gebäude für das während der gesamten Bauzeit erforderliche Grundwassermanagement weder bei der Planfeststellung noch bei der Planänderung ausgelegt hatte. Die betroffenen Anwohner wurden daher weder informiert, noch hatten sie bisher die Möglichkeit, dagegen schriftliche Einwendungen zu erheben.
Trotz massiver Forderungen von Seiten der Stadt Stuttgart, des Umweltministeriums und der in den Netzwerken zusammengeschlossen Anwohner hielt die Bahn es nicht für erforderlich, diesen bei der Auslegung der Unterlagen zur Planänderung nachzukommen. Statt dessen sah die Bahn kurze und teilweise unzureichende gutachterliche Stellung-nahmen der am Bau involvierten Gutachter sowie eine Fernsehsendung als Nachweis und als Information für ausreichend an. Die Verantwortung des EBA, das bereits im Frühsommer 2011 von der Stadt Stuttgart eine eindeutigen Hinweis auf die Notwendigkeit dieses geotechnischen Gutachtens und seiner Prüfung durch geeignete Fachbehörden erhielt und dies nicht gegenüber der Bahn durchsetzte, wäre noch zu thematisieren.
Erst Monate nach Einwendeschluss reichte die Bahn dem RP eine zusammenfassende geotechnische Stellungnahme (kein Gutachten) nach. Die betroffenen Anwohner konnten sich nicht mehr schriftlich, sondern – soweit sie die Möglichkeit hatten – nur mündlich auf der Erörterung dazu äußern. Die geotechnische Stellungnahme der Bahn wurde zwar den Fachbehörden zur Prüfung vorgelegt. Auf Druck der Bahn sollte die Erörterung jedoch stattfinden, bevor die Einschätzungen der Fachbehörden fertig waren.
Gleichzeitig wurden nach der Erörterungswoche bahnintern eingeräumte Baurisiken u.a. auch für die Gebäudesicherheit bekannt, die die Bahn bislang abgestritten und auch nicht in ihrer geotechnischen Stellungnahme eingearbeitet hatte. Daher sind aus Sicht der Netzwerke zahlreiche Fragen zur Gebäudesicherheit offengeblieben.