Bericht zur Informationsveranstaltung für das Kernerviertel

Großer Andrang gestern bei der ersten Informationsveranstaltung der Bahn für das Kernerviertel, zu der der Bezirksbeirat Mitte eingeladen hatte. Über 500 Anwohner wollten sich im Rathaus über die anstehenden Bauarbeiten informieren. Neben der Bezirksbürgermeisterin Veronika Kienzle, der Bürgerbeauftragten der Stadt Alice Kaiser war die Bahn war mit einer beachtlichen Anzahl von 15 Mitarbeitern und Experten auf dem Podium vertreten. Die Befürchtungen der Anwohner über die kommenden Baustellenbelastungen und die Gefahr möglicher Gebäudeschäden konnten jedoch nicht ausgeräumt werden.

Berichterstattung der beiden Stuttgarter Zeitungen (StZ /StN).  Webblogs und Live-Twittermeldungen (schaeferweltweit /Parkschützer-Statements).

Entgegen der ursprünglichen Ankündigung in der Zeitung, konnten nach einer allgemeinen Einführung über die bereits angelaufenen und geplanten Bauarbeiten für den Fildertunnel und einem kurzen Überblick über die Baulogistik, doch noch Fragen mündlich gestellt werde. Die Moderation für die Fragesteller aus dem Publikum  übernahm die Bezirksbürgermeisterin Veronika Kienzle. Der Folienvortrag der Bahnvertreter (hier) beschränkte  sich leider nur auf die Darstellung der Bauarbeiten für 2013 und 2014 und enthielt weder  einen detaillierten Zeitplan noch Aussagen zu den konkreten Auswirkungen für das Stadtviertel. Einige der in der Veranstaltung präsentierten Folien sind auch nicht auf der Webseite des Kommunikationsbüros veröffentlicht.

Die Veranstaltung verlief in einem sachlichen Ton, dennoch blieben nach über 3 1/2 Stunden ein Teil der schriftlich eingereichten Fragen offen. Die Bürgerbeauftragte Alice Kaiser sagte zu, dass diese noch per Mail beantwortet werden. Zukünftig sollen 2 x im Jahr Informationsveranstaltungen über anstehende Baumaßnahmen für das Kernerviertel stattfinden.

Einige Fragen der Anwohner wurden leider von den Sachverständigen der Bahn technisch zu umfangreich beantwortet, z.B wollten die Besucher der Veranstaltung statt der Schilderung des Ablaufs einer Hebungsinjektion erst einmal die betroffenen Häuser erfahren. Für die nächste Veranstaltung hat die Bahn auch genauere Zeitpläne der einzelnen Bauarbeiten zugesagt.

Unverständlich ist, dass bei dieser ersten Informationsveranstaltung für die betroffenen Anwohner im Kernerviertel Ton- und Videoaufnahmen wegen des Einspruchs von Bahnvertretern nicht zugelassen waren. Wenn die Bahn es ernst mit der begonnenen Kommunikation mit den betroffenen Bürgern meint, so müssten Aufzeichnungen als Teil der Informationsarbeit selbstverständlich sein. Lediglich Fotos waren erlaubt. Daher kurz einige Informationen aus der Veranstaltung:

– Erste Erfolge zeigen die Beschwerden der Anwohner über die ständig (auch nachts) auf der Baustellenfläche neben dem Wagenburgtunnel beim Rückwärtsfahren piepsenden Baumaschinen.  Die Bahn beantragt gerade eine Ausnahmegenehmigung, damit sie die Auflagen der Berufsgenossenschaften nicht erfüllen muss. Diesen Antrag kann sie nur aufgrund von Beschwerden stellen.

– Seit 26.10.2013 wird die zweite Röhre des Wagenburgtunnels als Rettungszufahrt ausgebaut. Über diese Rettungszufahrt sollen dann die beiden zweigleisigen Tunnelröhren des Anfahrbereichs bis zur Wendekaverne (auf Höhe der Hausmannstraße) mit Baggervortrieb und lokalen Lokersprengungen vorgetrieben werden.

– Die beiden Röhren des Fildertunnels nach der Wendekaverne Richtung Degerloch werden bis auf eine kurze Unterbrechung beim Zwischenangriff Sigmaringerstraße mit einer 180 Meter langen Tunnelvortriebsmaschine aufgefahren. Auf Nachfrage versicherte die Bahn, dass die Anlieferung der vorgefertigten tonnenschweren Betonteile, die nur per Schwerlaster transportiert werden können, nicht über die ohnehin schon hochbelasteten Innenstadtstraßen, sondern nur über das Filderportal bzw. den Zwischenangriff erfolgen soll.

– Der Tunnelvortrieb läuft bis auf Sonn- und Feiertags rund um die Uhr. Der Aushub in der ersten Phase bis Juni soll mit LKWs in der Regel werktags (einschl. Samstags) in der Zeit zwischen 7 bis 20 Uhr über die öffentlichen Straßen abtransportiert werden.Nach Aussage der Bahnvertreter würden dafür täglich lediglich  4 LKW-Fahrten (incl.  2 Rückfahrten)  anfallen.

– Ab Juli/August soll ein Förderband den Aushub über die B 14 auf die Logistikfläche S 3 rechts neben der Grundwassermanagementanlage rund um die Uhr (Ausnahme Sonn- und Feitertags) transportieren. Ab August sollen die bereits seit langem von der Bahn angekündigten und nach dem Planfeststellungsbeschluss erforderlichen Baustraßen zum Abtransport des Aushubs fertig gestellt sein.

Wegen der geringen Überdeckung zur Tunneloberkante müssen Häuser an der Sänger- und Urbanstraße mit Betoninjektionen über Rohre angehoben werden. Ansonsten würden sich die Häuser nach Berechnungen bei der Unterfahrung zu stark setzten. Für die Hebungsinjektionen müssen drei Schächte (Polizeiparkplatz, Sängerstr. 6  und Urbanstraße 47) mit einem Durchmesser von rund 6 Meter ausgegraben werden.

– Die Bahn betonte die erprobte Sicherheit dieses Verfahrens, das auch beim Bau der U15-Stadtbahn angewandt wurde. Dennoch werden erstmals in Stuttgart Gebäude in diesen Erdschichten angehoben. Darauf hatte das Landesamt für Geologie in seiner Stellungnahme vom 31.07.2013 zu den von der Bahn im Planänderungsverfahren Grundwassermanagement vorgelegten geotechnischen Unterlagen hingeweisen:

„…Hebungsinjektionen sind ein vielfach angewandtes und ausgereiftes Verfahren zur Setzungskompensation. Der Erfolg der Injektionsmaßnahmen an der U15-Trasse kann für den betrachteten Bereich nicht zum direkten Vergleich herangezogen werden. Dazu sind die geologischen und morphologischen Verhältnisse zu unterschiedlich. An der Urban-/Sängerstraße sollen Hebungsinjektionen im Hangbereich auch in quartären Schichten durchgeführt werden. Dem LGRB sind für derartige Verhältnisse noch keine Vergleichsfälle im Stadtgebiet bekannt…“

– Die Anwohner zweifelten die Sicherheit des Verfahrens in der Veranstaltung an und fragten nach dem Fall, wenn tatsächlich Schäden an den Häusern eintreten würden. Nur die Gebäude am unteren Teil des Kernerviertels sind im Beweissicherungsverfahren der Bahn mitaufgenommen. Dies ist jedoch keine Garantie für eine Schadenshaftung durch die Bahn. Dr.Schütz, Rechtsanwalt der Bahn, erklärte, dass im Schadensfalle erst einmal die Schuldfrage gegenüber der beauftragten Baufirma  geklärt wird. Die Baufirma haftet, wenn sie den Schaden schuldhaft verursacht hat, d.h. wenn er auf einem vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhalten beruht. Dasselbe (Haftung bei Vorsatz oder Fahrlässigkeit) gelte auch für die Bahn. Eine sog. „Risikohaftung“ bestehe aber nicht. Die Bahn werde sich jedoch im Schadensfall um die Klärung der Situation bemühen. Auf den Vorschlag von Ex-MdB und Mitglied des Netzwerks Peter Conradi und des Stadtrats Dr. Michael Kienzle, dass die Bahn hier eine unabhängigen Rechtsanwalt als Anlaufstelle für die Geschädigten einrichtet, gingen die Bahnvertreter nicht ein.

– Daher empfehlen die Netzwerke den von der Untertunnelung betroffenen Eigentümern den alternativen Vertragsvorschlag der Juristen zu S21, in dem die Beweislast in der Haftungsfrage umgedreht wird. Die Bahn, die auch den Zugriff auf alle Bauunterlagen hat, soll den Nachweis führen, dass der Schaden nicht durch den Tunnelbau entstanden ist. Eine Stellungnahme der Juristen zu dem Vertrag der Bahn finden Sie hier. Die Netzwerke hatten sich bereits schon Anfang des Jahres in einem Brief an den Oberbürgermeister Fritz Kuhn gewandt und einen städtischen Obman/-frau für die durch die Bauarbeiten zu Stuttgart 21 Betroffenen gefordert.

– Ab  Sommer sollen dann nach Aussage  der Bahn auch die ersten Baugruben für den Tiefbahnhof ausgegraben und über die Baustraßen dann abstransportiert werden. Damit die SSB mit den Bauarbeiten zur Verlegung der Haltestelle Staatsgalerie beginnen kann, wird an der Baugrube 22 für den Tiefbahnhof begonnen. Mit lärmerschüttternden Rammarbeiten  zur Einbringung der insgesamt  4.460 Bohrpfähle ist werkstags zwischen 7 und 20 Uhr zu rechnen. Sie werden nach Aussage der Bahn rund 4 Jahre bis 2018 andauern.

– Die Bahn hat gemäß dem Planfeststellungsbeschluss zum PFA 1.1. dem Eisenbahn-bundesamt eine detaillierte Lärm- und Erschütterungsplanung vorgelegt. Auch sollen jetzt noch die Messpunkte im Kernerviertel festgelegt werden. (Anmerkung: Das Netzwerk Kernerviertel wird die Einsicht in diese Unterlagen beantragen.) Welche Auswirkungen die mehrjährigen Rammarbeiten auf die nahgelegenen Gebäude des Kernerviertels haben, bleibt abzuwarten. In Untertürkheim wurde kürzlich ein Gebäude in der Gaggenauerstraße nach den ersten Rammarbeiten beschädigt, obwohl es nach den Berechnungen der Bahn außerhalb der eigentlichen Beweissicherungszone für die Erschüttterungen lag.

– Angaben zu den konkreten Belastungen durch Lärm machte die Bahn nicht. Die Übertragung des Lärms und die Erschütterung  hinge von vielen Faktoren ab. Die Obergrenzen für den Lärmschutz beruhen auf Tagesmittelwerten. Es würde aber zu Überschreitungen der Grenzwerte kommen. Der Immissionsschutzbeauftragte der Bahn für Lärm und Erschütterungen, Dr. Fritz,  meinte auf Nachfrage eines besorgten Bürgers, dass der Charakter des Kernerviertels während der Bauarbeiten sich von einem reinen Wohngebiet in ein „Mischgebiet“ verwandeln würde.

– Es kamen auch keine konkreten Aussagen vom zweiten Immisionsschutzbeauftragten der Bahn, Dr. Lohmeyer, zur Luftbelastung durch den intensiven Baustellenbetrieb- und verkehr. Die Bahn verwies lediglich auf die Auflage zu Dieselrußpartikelfiltern. Diese wurde jedoch erst durch den gerichtlichen Vergleich der Bahn mit der Deutschen Umwelthilfe erzielt. Dennoch wiesen einige der Besucher daraufhin, dass die Bahn weiterhin Fahrzeuge mit gelben und roten Plaketten im Stadtgebiet einsetzt. Diese Fahrzeuge, soweit es sich nicht um nachrüstbare Sonderbaumaschinen handelt,  sollten der Bahn und am besten parallel dazu auch der Umwelthilfe gemeldet werden.

– Die Bahn musste auch auf Nachfrage einräumen, dass ein Teil des Aushubs mit bestimmten Stoffen vom Filderportal über die B 27  quer durch die Innenstadt (z.B. Hohenheimerstraße) transportiert wird und damit weiteren Baustellenbetrieb in die Stadt verlagert.

– Mit dem Baumaßnahmen ändern sich auch dieFußgänger und Radfahrerwege Bauphase 1 / Bauphase 2 rund um die Baustelle. Im Anschluss an den Querbahnsteig soll ein auf Stelzen gesetzter und überdachter Fußweg am Biergarten vorbei Richtung Planetarium  führen.

– Die Bauarbeiten der SSB zur  Verlegung der Stadtbahnhaltestelle „Staatsgalerie“sollen noch in einer eigenen Informationsveranstaltung vorgestellt werden. Ob der Bezirksbeirat Mitte, der im Vorfeld des entsprechenden Gemeinderatsbeschlusses übergangen wurde, die Einladung übernehmen wird, ist noch unklar.

– Die Bahn ist auch nicht darauf eingegangen, dass noch keine Baugenehmigung für den Nesenbachdüker vorliegt. Die Bahn hat eine Planänderung zum Bau des Nesenbachdükers (offene Bauweise statt Druckluft) beim Eisenbahnbundesamt eingereicht.

– Unklar ist daher, wie sich die die Bauarbeiten (Aushub Tunnelanfahrbereich, Baugrube 22, Nesenbachdüker und SSB-Baustelle) , die Mitte 2014 alle um den Südkopf starten sollen, auf den Straßenverkehr der B 14  auswirken. Auf Nachfrage bestätigte die Bahn, dass trotz der Umbauarbeiten alle Fahrspuren erhalten bleiben. Ein Schleichverkehr durch das Kernerviertel sei jedoch nicht ausgeschlossen.

–  In der Veranstaltung wurde auch die ausbleibende Information der Bahn zum Wasseraustritt bei der Bohrung des Infiltrationsbrunnens 203 kritisiert. Das Wasser sei unterhalb des Bohrlochs an einer Mauer des Hauses der Werastraße / Ecke Sängerstaffel ausgetreten. Danach musste die über 100 Jahre alte und mehrere Meter hohe Mauer zur Straße komplett abgetragen werden. Die Erde sei völlig durchfeuchtet gewesen und die neue Mauer immer wieder durchnässt. Mit dem Spülverlust und dem Austritt, so ein Anwohner, sei eine neue Wasserwegsamkeit entlang des Hanges geschaffen worden.

-Auf die Nachfrage des Netzwerks, ob mit der Umwandlung des Infiltrationsbrunnens 202 (Werastr./Ecke Sängestaffel) in eine Messstelle auch der geplante zweite Strang der blauen Röhren nur bis zur Sängerstaffel / Höhe Urbanstr.  aufgebaut würde, konnte der Geologe der Bahn, Dr. Westhoff, keine Auskunft geben. Das Kommunikationsbüro  will diese Information noch per E-Mail nachreichen.

– Am Ende der Veranstaltung kam noch die  Frage eines Hausbesitzers aus der Kernerstraße, warum er ohne Baugenehmigungen keinen einzigen Umbau an seinem denkmalgeschützten Haus machen darf und die Bahn ohne vollständig genehmigte Planfeststellungsbeschlüsse losbauen dürfe. Er stellte auch die Frage nach der Planrechtfertigung und der Anschnittsbildung. Die Bahnvertreter lehnten eine grundsätzliche Diskussion rundweg ab und verwiesen darauf, dass für private Bauten und Infrastrukturbauten „von öffentlichem Interesse“ anderes Recht gelte.

 Update: Das Netzwerk Kernerviertel hat sich an die Bürgerbeauftragte mit der Bitte gewandt, dass wegen der nicht zugelassenen Bild- und Tonaufnahmen alle auf der Veranstaltung gezeigten Folien und alle für die Anwohner besprochenen relevanten Informationen (z.B. Zeiten der täglichen Bauarbeiten, geschätzter Zeitrahmen und Anzahl der LKW-Fahrten..) noch nachträglich auf der Internetseite des Kommunikationsbüros eingestellt werden.

 

 

 

 

 

 

 

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