Vorgestern berichtete Dr. Florian Bitzer, Abschnittsleiter der technischen Fachdienste vor den Stadträten im Umwelt- und Technikausschuss des Gemeinderates über die Immissionen bei Stuttgart 21. Die vorgestellten Folien können Sie hier abrufen. Das was Dr. Bitzer den Stadträten präsentierte, war doch für einen Routinetermin sehr erstaunlich. Erstmals räumte die Bahn ein, dass die Entscheidungen über den aktiven und passiven Schallschutz auf viel zu niedrigen Lärmprognosen basierten. Die Bahn muss jetzt sehr viel Geld in die Hand nehmen und will vorrangig in den aktiven Schallschutz investieren. Die beiden Stuttgarter Zeitungen (StZ: Stuttgart 21 stösst an technische Grenzen / StN: Die Bahn ist vom Lärm überrascht) berichten gestern ausführlich darüber. Die Stuttgarter Zeitung kommentiert dies mit den Worten „Glaubwürdigkeit verspielt„.
Laut der Präsentation im UTA wird im Kernerviertel eine 10 Meter hohe Lärmschutzwand entlang der Sängerstraße gebaut, die trotz der Höhe die Windlast tragen soll. Die Lärmschutzwand soll davon 25 dB(A) „schlucken“ Die Rettungszufahrt am Wagenburgtunnel wird eingehaust bzw. bekommt ein „Dach“ und soll damit auch den Lärm durch die Verladung des Aushubs und des Förderbandes abdämpfen. Bei dieser Entscheidung spielt sicherlich auch der geplante Einsatz eines Steinbrechers eine Rolle. Dieser soll rund um die Uhr für die Zerkleinerung der durch die Sprengarbeiten aus dem Fels gebrochenen Steinbrocken sorgen, damit diese per Förderband abtransportiert werden können.
Am Wartberg weiß die Bahn noch nicht, wie es weitergehen soll. Klar ist, dass die Bahn den Tunnelaushub im Nachtzeitraum wegen Überschreitung des Spitzenpegels der AVV-Baulärm jetzt nicht mehr verladen kann. Eine Einhausung des Zwischenangriffs und ein Förderband ist im Gespräch. Auch hier hatte der Bahngutachter im Vorfeld viel zu niedrige Lärmprognosen berechnet. Den Anwohnern am Wartberg wurde damit zu unrecht Schallschutz verwehrt. Besonders pikant ist, dass viele der Wohneigentümer im Dezember 2014 noch ein Schreiben der Bahn über den Anspruch auf passivem Schallschutz erhielten und die Bahn kurz danach wegen neuer niedrigerer Werte „zurückruderte“.
Dass die Lärmprognosen von den Bahngutachtern viel zu niedrig berechnet wurden, dürfte für die Bahn eigentlich nicht überraschend kommen. Die Anwohner-Netzwerke hatten die Bahn, das Eisenbahn-Bundesamt sowie die Stadt Stuttgart in der Vergangenheit immer wieder auf Defizite bei der Lärmplanung und – überwachung bei Stuttgart 21 hingewiesen.
Beispielsweise hatte das Netzwerk Kernerviertel bereits vor mehr als 1 1/2 Jahren in mehreren Schreiben immer wieder moniert, dass die 2013 erstellten Lärmprognosen für das Kernerviertel nur von einem rudimentären Baugeschehen ausgehen und damit nicht den Anforderungen der Planfeststellung nach einer umfassenden Lärmplanung entsprachen. Insbesondere fehlte das komplette Baugeschehen am Baufeld 25, das direkt neben den Wohngebäuden liegt. Erstellt hatte dieses schalltechnische Detailgutachten der langjährige Gutachter Peter Fritz, der zugleich bei Stuttgart 21 als „unabhängiger“ Immissionsschutzbeauftragter fungieren soll. Aus Basis dieser unzureichenden Lärmprognosen aus dem Jahr 2013 wurden die Anforderungen für den passiven Schallschutz im Kernerviertel bemessen und zum Teil auch eingebaut. Die Bahn reichte aufgrund der massiven Kritik des Netzwerks Kernerviertel im Dezember 2014 ein neues schalltechnisches Detailgutachten nach, das u.a. die Baurbeiten am Baufeld 25 berücksichtigte und damit unmittelbar neben der Baufläche deutlich höhere Pegelwerte von bis zu 80 dB(A) prognostizierte. Zum Vergleich: der Richtwert der AVV-Baulärm für Bauarbeiten im Tageszeitraum in überwiegenden Wohngebieten liegt bei 55 dB(A) . Bei dem neuen Gutachten vom Dezember 2014 sind allerdings die täglichen Bauzeiten niedrig angesetzt und die lärmmintensiven Bohrpfahlarbeiten der SSB und für den Nesenbachdüker wegen fehlender Ausführungsplanung mit einem relativ niedrigen pauschalen Lärmpegel aus der Planfeststellung berücksichtigt. Es kann also ggf. noch lauter werden.
Daher ist aus Sicht der Netzwerke die Entscheidung des Vorstands der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH Millionenbeträge in aktiven Schallschutz, wie z.B. Lärmschutzwände, bei Stuttgart 21 zu investieren, richtig und notwendig. Die Netzwerke hatten immer wieder darauf hingewiesen, dass nach den gesetzlichen Regelungen bzw. der Planfeststellung der aktive Schallschutz Vorrang hat. Doch die schalltechnischen Detailgutachten enthielten bislang bis auf die Lärmminderungsmaßnahmen bei der Tunnelbewettterung i.d.R. nur den Standardsatz des Bahngutachters und Immisionsschutzbeauftragten, dass ein aktiver Schallschutz nicht möglich sei. Hohe Lärmschutzwände sind sicherlich erst einmal störend. Bei aktivem Schallschutz besteht zumindest die Möglichkeit tagsüber einmal die Fenster zu öffnen oder auch die Außenbereiche (Balkon, Terasse) zu nutzen. Von daher ist dies ein Schritt in die richtige Richtung.