Crossrail in London: 42 Kilometer Tunnel und zehn Bahnhöfe- wie Mammutprojekte gelingen können

Stuttgart 21 ist jetzt bei 7,9 Milliarden Euro angelangt und die geplante Inbetriebnahme hat sich von ursprünglich 2019 auf 2024 verschoben.  S21-Architekt Christoph Ingenhoven hält das Projekt mit Blick auf eine weitere fünf bis sechsjährige Bauzeit für unkalkulierbar. Doch sind Kostenexplosionen und Bauverzögerungen bei Mammutprojekten tatsächlich ein Naturgesetz?

Es gibt Gegenbeispiele, wie beipielsweise das Crossrail-Projekt in London, über das wir im März  und September 2015 berichtet hatten. Crossrail ist das nach Pressemeldungen größte Infrastrukturprojekt Europas (vermutlich nur nach dem Budget- Stuttgart 21 und die Neubaustrecke haben mehr Bahnstrecken- und Tunnelkilometer). Crossrail soll mit einer Schienenstrecke von 118 Kilometern, davon 42 Tunnelkilometer, die östlichen und westlichen Außenbezirke Londons innerhalb von nur 45 Minuten erreichbar machen. Die in der rushhour überfüllte Tub in London soll damit entlastet werden. Für Crossrail wurden zehn neue unterirdische Bahnhöfe mit Umsteigemöglichkeiten zu vorhandenen Eisenbahn- oder Untergrund-Linien gebaut.

Das Budget ist auf fast 15 Milliarden Britische Pfund (nach derzeitigem Umrechenkurs 17 Milliarden Euro) angesetzt, das durch einen Zuschuss der Zentralregierung, eine Sondersteuer für Unternehmen in der City und die erwarteten Fahrpreiseinnahmen gedeckt werden soll.

2009 startete das Projekt. Zwischen Mai 2012 und August 2015 gruben sich acht Herrenknecht-Tunnelbohrmaschinen mit durchschnittlich 100 Meter pro Woche durch ein „Gewirr aus Abwasserkanälen, Gas-Pipelines, Fundamentpfeilern, U-Bahn-Trassen und -Schächten„. Teilweise einen halben Meter neben bereits existierenden U-Bahnlinien. Der Vortrieb einschließlich der Innenverschalung der 42 Kilometer Tunnel wurde innerhalb dreieinviertel Jahre realisiert.  Die Inbetriebnahme ist stufenweise geplant. Ende 2018 soll die Elisabeth-Linie nach einer einjährigen Testphase in Betrieb gehen.

Im Oktober 2017 sind laut Webseite  87% des Crossrail-Programms realisiert. Aktuell laufen die Arbeiten für den eisenbahntechnischen Innenausbau durch Siemens. Die ersten Testfahrt sollen demnächst starten. Und bislang hat man den Zeitplan als auch das Budget eingehalten! Hier eine Grafik auf der Webseite:

Ntv berichtete im September 2017 (hier) über den aktuellen Stand der Bauarbeiten:

Mehr als 80 Prozent von Crossrail sind bereits fertiggestellt. Für Jones ist das aber kein Grund, überschwänglich zu werden. „Ich sage immer, die letzten 20 Prozent sind so schwer wie die ersten 80“, stellt er klar. „Es ist immer schön, eine hübsche Verpackung zu haben und all die Tunnel und Schienen miteinander zu verbinden, aber wir müssen das System zum Laufen bringen, damit die ‚Modelleisenbahn‘ auch funktioniert.“

Und zum Umgang mit den Anwohnern ist zu lesen: „Dann zeigt der Bauleiter auf die Wand. „Die Platten in der Verkleidung haben kleine Löcher, die die Akustik dämpfen. Wir haben ziemlich viel Arbeit reingesteckt, vor allem in dieser Station. Wir haben uns mit den Anwohnern zusammengesetzt. Es gibt hier auch viele Tonstudios. Da mussten wir echt aufpassen, dass keinerlei Vibrationen oder Geräusche die Anlieger stören.“ Deshalb liegen die Schienen in der Station auf Sprungfedern. Jones nennt sie „schwebende Schienen“.

Der Erfolg des Projekts beruht auf  realistischen Zahlen mit einer detallierten Planung im Vorfeld, in der alle Risiken eingepreist werden. Bei den Crossrail Projekten arbeitete der erfolgreiche Projektsteuerer Klaus Grewe (StZ/Deut.Baublatt) mit, der 2013/14 für kurze Zeit auch als Mitglied im Beirat zu Stuttgart 21 saß und nach seinem Ausscheiden ein bemerkenswertes Interview der StZ (hier) zu den „Wunschzahlen“ bei diesem Projekt gegeben hatte. 2015 sprach er in einem Interview mit dem gpm-blog (hier) über die „Macht der kleinen Zahlen“.

Die Tagesschau berichtete im März 2017 (hier): „Das Crossrail-Team hat gelernt von den Olympischen Spielen 2012 und von den Pannen bei der Eröffnung des Heathrow-Terminals 5 – und gibt jetzt sein Wissen weiter an Projektplaner, die aus aller Welt nach London reisen.“

Die Welt schrieb vor knapp 14 Tagen in einem Artikel über die regelmäßig aus dem Ruder laufenden deutschen Großprojekte (hier): „Deutschland könnte sich in einigen Punkten an der Planungsweise in Großbritannien orientieren, so Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur: „Das englische Modell etwa rechnet von vornherein mit einem Worst-Case-Szenario, also mit höheren Kosten. Das müssen wir nicht direkt übernehmen, aber wir könnten wenigstens mit ,real cases‘ arbeiten“, sagte Nagel der WELT AM SONNTAG.“

Ein zweites Crossrailprojekt ist geplant. So schrieb die HAZ im April 2016 (hier):  „Schon jetzt steht eine Erweiterung des Mammutprojekts Crossrail auf dem Papier, Crossrail II: Die Trasse soll nördlich von London in der Grafschaft Hertfordshire beginnen, ebenfalls durch London verlaufen und dort mit der Elizabeth Line und dem bestehenden U-Bahn-Netz verknüpft werden und in der südenglischen Grafschaft Surrey enden. Schatzkanzler George Osborne stellt im neuen Staatshaushalt 2016 insgesamt 80 Millionen Pfund für die Planung bereit, umgerechnet gut 100 Millionen Euro. Transport for London muss noch einmal denselben Betrag beisteuern.“

Die Erfahrungen aus dem Tunnelbauprojekt Crossrail mit über 500 Unterlagen wurden auf einer Webseite veröffentlicht.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Kosten, Tunnelbauprojekte außerhalb Stuttgarts, Zeitplan veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.