Im letzten Bericht zum Vortriebsstand haben wir es bereits erwähnt. Das Eisenbahn-Bundesamt hat Ende November 2016 die Planänderung zur Erweiterung des Hebungsfeldes im Kernerviertel sowie die „Präzisierung des Rückverankerungsbereichs für die Tunnelanschlagwand“ genehmigt. Den Bescheid der 7.Planänderung im PFA 1.2. finden Sie hier. Welche Gebäude im Kernerviertel im Vorfeld des Tunnelvortriebs angehoben werden sollen, geht aus dieser Folie hervor:
Über die geplanten zusätzlichen Hebungsinjektionen hatten wir Anfang des Jahres 2016 zwei Beiträge (Beitrag 1 / Beitrag 2) veröffentlicht. Die Stuttgarter Zeitung berichtete im März 2016 (hier) über die Konflikte mit den betroffenen Eigentümern, die von der Planänderung überrascht waren und über die Risiken dieser Hebungsinjektionen Aufklärung verlangten. Wir wollen daher einige Punkte dieses Bescheides in Auszügen kurz vorstellen.
- Begründung
Die Bahn begründete im Dezember 2015 auf zwei Informationsveranstaltungen für die Eigentümer, dass die Hebungsinjektionen auf ein größeres Gebiet ausweitet werden, da sich die Technik weiterentwickelt habe. Größere Flächen könnten von einem Schacht aus erreicht werden. Im StZ-Bericht heißt es : „Deshalb könne mit relativ geringem Aufwand die Sicherheit für die Gebäude erhöht werden“. Warum die Bahn dieses teure Hebungsverfahren für weitere Gebäude im Kernerviertel einsetzt, obwohl ihr Tunnelbausachverständige noch zweieinhalb Jahre zuvor in einer geotechnischen Stellungnahme zur Gebäudesicherheit trotz prognostizierter 4-5cm vortriebsbedingter Senkung für nicht erforderlich gehalten hatte, war für viele Eigentümer nicht nachvollziehbar. Es wurde ihnen kein Gutachten präsentiert, aus der sich die Erforderlichkeit dieser zusätzlichen Schutzmaßnahme ergibt.
Das EBA zielt in seinem Bescheid jedoch weniger auf die technische Machbarkeit als auf die Erforderlichkeit ab. So heißt es auf Seite 4: „Im Zuge der fortgeschrittenen Planung und auf Empfehlung des Tunnelbausachverständigen sieht die Vorhabenträgerin Hebungsinjektionen im Anfahrbereich des Hbf Süd nun ein weiteres Hebungsfeld in Richtung Verzweigungsbauwerk im Bereich der Bebauung Urbanstraße/ Schützenstraße vor. Die zusätzlichen Hebungsinjektionen sollen die prognostizierten Senkungen und Auswirkungen auf die betroffenen Gebäude weiter begrenzen bzw. deren präzise Steuerung ermöglichen. Hierbei macht die Vorhabenträgerin sich den fortgeschrittenen Stand der Technik zu Nutze, der das Ausführen längerer Bohrungen ermöglicht, als dies zum Zeitpunkt der Planung der ursprünglichen Hebungsfelder möglich war. Die Maßnahme dient dem zusätzlichen Schutz der Gebäude.“
Und in der Begründung zum sofortigen Vollzugs des Bescheides spricht das EBA Klartext: „Die Errichtung des mit dieser Planänderung beantragten Hebungsfeldes ist erforderlich für das Auffahren des Anfahrbereichs zwischen Südkopf des Hbf und dem Verzweigungsbauwerk.“
2. Funktionsweise
Der Bescheid führt dazu folgendes aus: „Hierfür werden ausgehend von drei Schächten fächerförmig horizontale Bohrungen zwischen Tunnelfirsten und Gebäudefundamenten hergestellt. Von den Gebäudefundamenten wird ein Mindestabstand von 4-5 Meter eingehalten. Durch das abschnittsweise Einpressen von Zementsuspension erfolgt eine Vorverdichtung des Bodens, außerdem stellen sich Hebungen ein, die die Gebäude vor Beginn des Tunnelvortriebs um ein verträgliches Maß anheben. Nachträgliche Injektionen im Laufe des Vortriebs sind möglich und werden durch ein Messprogramm gesteuert. Nach Abschluss der Arbeiten verbleiben die Zementsuspensionen funktionslos im Boden.“
Weder die Präsentation der Bahn auf den beiden Informationsveranstaltungen noch der Planänderungsbescheid des EBAs nennen konkrete Werte sowohl für die prognostitizerte vortriebsbedingte Absenkung als auch für die Anhebung der Gebäude im Vorfeld des Vortriebs. Die geotechnische Stellungnahme zur Gebäudesicherheit vom März 2013, die für diesen Bereich eine vortriebsbedingte Senkung von 4-5cm prognostiziert, wird nicht erwähnt.
Dabei müssten für die Baufirmen Vorgaben existieren, wie beispielsweise beim Hebungsverfahren beim Bau des Leipziger City-Tunnels. Auch dort wurde das Compensation-Grouting-Verfahren bei der sehr knappen Unterfahrung von 31 innerstädtischen Gebäuden angewendet, allerdings nicht unter einer Hangbebauung. Hier ein Auszug aus der Publikation „Sichere und schadlose Ausführung innerstädtischer Tunnelvortriebe. Das Beispiel City-Tunnel Leipzig“ von Andreas Irngartinger aus dem Jahr 2012, in der von klar definierten Grenzwerten die Rede ist:
„Auf Basis der Bodengutachten und von Berechnungen der Entwurfsplanung wurden für die Ausführungsplanung als planerische Vorgabe gebäudespezifische Grenzwerte vorgesehen. So gab es unter anderem die bauvertragliche Vorgabe, eine maximale Setzung von 20 mm an der Geländeoberkante nach der ersten Schildfahrt und eine maximale Setzung von 30 mm an der Geländeoberkante nach der zweiten Schildfahrt einzuhalten. Gebäudespezifische maximal zulässige Winkelverdrehungen zeigt das Bild 3. Hierbei ist hervorzuheben, dass Winkelverdrehungen bis zu 1 : 1.200 (tan α des Setzungswinkels) während der gesamten Sicherungsmaßnahme und der Schildfahrt einzuhalten waren. Um diese Grenzwerte der Winkelverdrehung einhalten zu können, sollten die Gebäude vor der Durchfahrt der TBM im Rahmen von Vorhebungen um circa 50 % der prognostizierten Setzungen angehoben werden“.
3. Wasserrechtliche Belange
Im Bescheid heißt es u.a. dazu auf Seite 9f: „Durch die zusätzlichen Bohrungen und Injektionen nach dem Compensation Grouting Verfahren (CGV) entstehen für das Grundwasser keine zusätzlichen negativen Auswirkungen. Im Hinblick auf den Heil- und Mineralwasserschutz sind keine negativen Auswirkungen zu erwarten. Diese Auffassung teilt auch das im Verfahren beteiligte Amt für Umweltschutz der Stadt Stuttgart. […] Durch die Hebungsinjektionen wird eine zusätzliche Verpressgutmenge von ca. 700 qm Zement-Bentonit-Suspension in den Boden eingebracht, was im direkten Bauwerksbereich zu einer Anreicherung von leicht löslicher Substanzen, insbesondere Natrium-, Kalium- und Calziumhydroxiden und damit einer zunehmenden Alkalisierung führt. Gegebenenfalls in das Grundwasser eingetragene Suspensionsanteile können jedoch durch die Bauwasserhaltung gefasst und so weitgehend wieder ausgebracht werden (siehe Stellungnahme ARGE WUG vom 10.12.2015).“
4. Immissionsrechtliche Belange
a) Baubedingte Immissionen (Lärm)
Dazu schreibt das EBA ab Seite 11f u.a.: “ Die Erweiterung des Hebungsumfeldes bedeutet eine zusätzliche Anzahl von Bohrungen und Verpressvorgängen, wodurch sich jedoch die der bisherigen Planung zugrundegelegten Beurteilungspegel nicht ändern, lediglich der Zeitraum der Geräuschemission verlängert sich. […] Die Herstellung der Schächte und die Bohrungen würden im Tagzeitraum durchgeführt. Der Betrieb der Injektionspumpen muss jedoch jederzeit, auch nachts, möglich sein, um unverzüglich auf die sich zeigende Notwendigkeit einer Injektion reagieren zu können. Dies sei auch so in den Detailgutachten angesetzt worden… Die Verpflichtung zur Abschirmung des Schachtes wurde als Nebenbestimmung in diese Entscheidung aufgenommen.“
Nach dem schalltechnischen Detailgutachten vom 14.10.2015 S. 66 wird „bei den Injektionspumpen […] von einem durchgehend homogenen Betrieb über 24 h ausgegangen. Die beurteilte Schalleistung der als Punktschallquellen dargestellten Pumpen beträgt gemäß Anhang 2.5.2 folglich jeweils LWAr= 81dB(A)“.
b) betriebsbedingte Immisionen (Erschütterungen und sekundärer Luftschall)
Dazu schreibt das EBA ab Seite 12 u.a.: “ Sofern Eigentümer der unterfahrenden Gebäude durch die künstlich herbeigeführte Verfestigung des Untergrundes (Hebungsinjektionen) zusätzliche oder stärkere Erschütterungseinwirkungen durch den Eisenbahnbetrieb befürchten, wird auf die geltenden Nebenbestimmungen des PFB PFA 1.2. „Fildertunnel“ vom 19.08.2005 verwiesen. Im Bereich des zusätzlichen Hebungsfeldes ist im Tunnel der Einbau eines Masse-Federsystems vorgesehen. Damit ist die Entkoppelung der Bahnanlage von dem umgebenden Gebirge bereits gewährleistet. Die nach Beendigung der Hebungsinjektionen vorliegenden Untergrundsverhältnisse finden in der Dimensionierung des Erschütterungssystems dadurch Berücksichtigung, dass nach Fertigstellung der Rohbauarbeiten des Tunnels die der Prognose zugrunde gelegten Übertragungsfunktionen noch durch eine nach § 26 BlmSchG anerkannte Messstelle durch Messungen mit geeigneter Fremdanregung zu verifizieren sind. Eine abschließende Entscheidung über die letztlich umzusetzenden Schutzmaßnahmen hat sich das Eisenbahn-Bundesamt vorbehalten (siehe NB in Kapitel A.VIII., 2.1.4. und 2.1.5).“
5. Inanspruchnahme von Grundeigentum
Dazu heißt es auf S 13f des Bescheids : „Durch die vorliegende Planänderung werden gegenüber der Planfeststellung drei Grundstücke erstmals in Anspruch genommen [Anmerkung: die nicht unterfahren werden] Diese Grundstücke werden vorübergehend während der Bauzeit, insbesondere durch oberirdische Messeinrichtungen, wie Schlauchwaagen, sowie dinglich durch das erweiterte unterirdische Hebungsfeld belastet. Die übrigen Grundstücke, die vom Planänderungsverfahren betroffen sind, wurden bereits durch die ursprüngliche Planfeststellung belastet. Sie werden durch die Planänderung zusätzlich in Anspruch genommen (Messeinrichtungen, Schlauchwaagen) und /oder es erhöht sich der Umfang der dinglichen Belastung (v.a. Erweiterung des Hebungsfelds).“
Das EBA hatte diejenigen Eigentümer, die der Bahn gegenüber keine privatwirtschaftliche Einverständniserklärung abgegeben hatten, angeschrieben. Alle gegenüber dem EBA gemachten Einwendungen der Eigentümer hinsichtlich der Form der von der Bahn eingeforderten Einverständniserklärung, der Unabhängigkeit des Gutachters der Bahn, der Haftung bei Schäden und Betrieb, Mietkürzungen und Wertminderung der Wohnung, dem Risiko von nachträglichen Setzungen sowie Forderungen nach einer Umkehr der Beweislast weist die Behörde in ihrem Bescheid ab S.15f zurück.
Eine Risikoaufklärung, die Eigentümer gefordert hatten, fand nicht statt. Eigentümer, die dieser Planänderung nicht zugestimmt haben, werden vom Regierungspräsidium Stuttgart vorzeitig eingewiesen.