Gestern wurde in Stuttgart deutschlandweit der erste Feinstaubalarm ausgerufen und kaum einer ist dem Aufruf gefolgt, auf das Auto freiwillig zu verzichten. Dies war Wasser auf den Mühlen der Umweltverbände und der Bürgerinitiative Neckartor, die das Konzept des Luftreinhalteplans („Luftreinhaltung light“) im Vorfeld scharf kritisiert hatten. Die Umweltverbände AGVL aus Leonberg, der VCD Kreisverband Stuttgart, das Klima- und Umweltbündnis KUS und die BI Neckartor hatten einen öffentlichen Brief an Verkehrsminister Winfried Hermann und Oberbürgermeister Fritz Kuhn verfasst.
Die beiden Stuttgarter Zeitungen berichteten ausführlich über diesen ersten Tag, an dem dann tatsächlich die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide massiv überschritten wurden. Auf der Webseite der BI Neckartor findet sich eine umfangreiche Sammlung der Meldungen. Doch es wurde in der Stuttgarter Presse mit keinem Wort erwähnt, dass die Innenstadtluft nicht nur durch den Autoverkehr belastet wird, sondern auch noch durch den Baustellenbetrieb von Stuttgart 21 und den zahlreichen Baustellen im Zentrum. Ein getwittertes Foto vom Kriegsberg zeigt den Baubetrieb auf der nördlichen „Tiefbahnhof“-Baustelle morgens kurz nach neun Uhr:
Dabei verursachen laut Umweltbundesamt Baustellen in Innenstädten durch mobile Maschinen und Geräte erhebliche Schadstoffemissionen. Deren Emissionen gesundheitsschädlicher Feinstaubpartikel liegen heute etwa so hoch wie die des gesamten Straßenverkehrs. Bei Stickoxiden ist es etwa ein Viertel. Mehr dazu finden Sie auf der Seite der BI Neckartor. Die Netzwerke hatten sich vor einem Jahr nach dem „Blauen Brief aus Brüssel“ in einem Schreiben an den Oberbürgermeister Fritz Kuhn gewandt und ein Luftbelastungsszenario für den Baustellenbetrieb von Stuttgart 21 gefordert.
Nach einer Analyse der Landesanstalt LUBW sind im Jahr 2014 allein 14 der 64 Überschreitungstage in Stuttgart auf den Baustellenbetrieb zurückzuführen. Ein Messergebnis, das sich erstaunlicherweise nicht in den Messgutachten der Bahn für Stuttgart 21 wiederfindet. Für 2015 sind keine Analysen veröffentlicht. Dennoch liegt es auf der Hand, dass auch hier der Baustellenbetrieb zur Zunahme der Belastungstage beigetragen hat. Die 2 Tage, die Ferpress auf Nachfrage als Antwort von der Stadt Stuttgart erhalten hat, erscheinen da vergleichsweise niedrig.
Wenn die Stadt Stuttgart die Einhaltung der EU-Richtlinien zum Gesundheitsschutz ihrer Bürger wirklich ernst nimmt, dürfte man ab der Einführung von verpflichtenden Fahrverboten auch vor einer vorübergehenden Stilllegung der Baustellenbetriebe im Stuttgarter Kessel nicht zurückschrecken. Alles andere wäre vor allem im Kernerviertel rund um das Neckartor, Deutschlands „dreckigster“ Kreuzung in direkter Nähe zu Europas größter Baustelle, nur halbherzig und wenig erfolgsversprechend.
Ein wichtiger Hinweis: Das OK Lab sucht noch Paten und Spenden für die Feinstaubmessgeräte.