Die Stuttgarter Zeitung hat heute (hier) über die Anwohner in Stuttgart Wangen berichtet, die wegen des Tunnelbaus seit Wochen unter den Meißel- und Sprengarbeiten leiden. Wir hatten bereits letzte Woche darüber berichtet. Die Situation hat sich in den letzten Nächten nochmals deutlich verschärft. Die Meißelarbeiten lassen die Anwohner der Nähterstraße und Umgebung seit Tagen nicht mehr schlafen. In dem StZ-Beitrag ist von 45 dB(A) die Rede. Dabei wird leider nicht erwähnt, dass diese 45 dB(A) nicht im Außenbereich, sondern im Schlafzimmer gemessen wurden. Anwohner haben sich daher verzweifelt am Wochenende in E-Mails an die Verantwortlichen der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH gewandt. Die Bahn will jetzt mit den Betroffenen ausloten, ob statt der Meißelarbeiten auch ausnahmsweise Sprengungen im Nachtzeitraum durchgeführt werden können, so die StZ.
Sicherlich ist es vernünftig, eine Lösung über den die Anwohner am wenigsten belastenden Vortrieb zu suchen. Das Netzwerk Wangen wird sich jedoch noch an den Vorstand der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH und die Bürgerbeauftragte Alice Kaiser wenden, da das Vorgehen der Bahn in Wangen im Hinblick auf die Einhaltung der Planfeststellung und die Zusage der Bahn nach Transparenz zahlreiche Fragen offen lässt:
- Warum soll plötzlich entgegen den Auflagen aus der Planfeststellung ein kürzerer Nachtzeitraum für den Lärmschutz gelten? Wann wird das Gutachten der Landesbergdirektion im Internet veröffentlicht?
Nach der Planfeststellung bei Stuttgart 21 gelten für den Lärmschutz ausdrücklich die Regelungen der AVV-Baulärm. Diese sieht einen erhöhten Schutz der Anwohner im Nachtzeitraum zwischen 20 Uhr Abends und 7 Uhr morgens vor. Die Bahn argumentiert jedoch, dass aufgrund eines Gutachtens der Landesbergdirektion nach der DIN 4150 Sprengungen im Zeitraum zwischen 6 Uhr Morgens und 22 Uhr Abends zulässig sei. Dieses Gutachten liegt weder den Anwohnern vor, noch ist es auf der Webseite veröffentlicht.
Es ist auch rechtlich nicht nachvollziehbar, dass ein Schreiben einer Behörde bzw. eine DIN-Norm die rechtlichen Auflagen der AVV-baulärm bzw. der Baugenehmigung zum Lärmschutz, die durch das Eisenbahn-Bundesamt nach einem umfangreichen Planfeststellungsverfahren erteilt wurde, plötzlich aushebeln soll. Die DIN 4150 soll laut Planfeststellungsbescheid lediglich für den Erschütterungsschutz herangezogen werden. Zumal die DIN 4150-2 zwar für die Messüberwachung der Erschütterungen von einem Beurteilungszeitraum zwischen 6 bis 22 Uhr ausgeht. Aber nach nach Ziffer 3.7.4 deutlich strengere Ruhezeiten berücksichtigt werden müssen, d.h.werktags von 6.00 bis 7.00 und von 19.00 bis 22.00, sonn- und feiertags zwischen 6.00 bis 22.00. Hier ein Auszug aus der DIN 4150-2:
Nach den Nebenbestimmungen des Planfeststellungsbeschlusses zum PFA 1.6a (S.38) ist die Bahn insbesondere verpflichtet, die o.g. Ruhezeiten der DIN 4150 bei ihren Bauarbeiten zu berücksichtigen.
2. Warum wurden bis heute keine Messgutachten im Internet veröffentlicht, die die monatelangen Lärmbelastungen im Wangener Wohngebiet aufzeigen?
Auf mehrfaches Nachhaken des Netzwerks Wangen hat jetzt die Bahn Gutachten zu Lärm und Erschütterung auf der Webseite des Kommunikationsbüros (unten) eingestellt. Das Messgutachten vom 18.11.2014, nachdem die Sprengungen im Nachtzeitraum zwischen 20 bis 7 Uhr nach der AVV-Baulärm nicht zulässig sind, wurde jedoch von der Webseite genommen. Dafür wurde ein Messgutachten zum Lärm vom Juli 2015 eingestellt, dass nicht von der Bahn, sondern von der Baufirma bzw. der ARGE beauftragt wurde. In diesem wurde lediglich am Zwischenangriff selbst (Messpunkt: Viehwasen 18) über 6 Tage die Lärmwerte gemessen. Der Tunnelvortrieb war zu diesem Zeitpunkt (20.7-26.7.2015) bereits über 200 Meter von der Messstelle entfernt. Dies zeigt ein Ausschnitt aus der Biss-Karte, in dem wir den Vortrieb eingezeichnet haben:
Eine Lärmmessung im Wohngebiet, wie noch im Messgutachten vom November (Messpunkt Im Degen/Jägerhalde), wurde nicht durchgeführt. Das neue Messgutachten weist auch jeweils nur einen Messwert pro Stunde auf. Ob es sich um einen Mittel- oder Maximalwert handelt, ist nicht erkennbar. Das November-Messgutachten beschränkte sich auf eine Stunde Messzeitraum und wies minutengenau die gemessen Werte aus. Nur über diese Skalierung war der hohe Immisionsswert einer Sprengung, der den im Nachtzeitraum zulässigen Spitzenpegel überschritt, auch erkennbar. Das von der Bahn veröffentlichte Lärm-Messgutachten Ende Juli ist daher völlig ungeeignet die mehr als 250 Meter entfernte Lärmsituation im Wohngebiet Nähterstraße abzubilden. Dass der nächtliche Spreng-und Meißelvortrieb nach der AVV-Baulärm im Wohngebiet zulässig ist, kann nicht daraus abgeleitet werden.
Unverständlich ist auch, dass nur ein einziges Messgutachten zum Lärm seit Baubeginn im Juni 2014 veröffentlicht wurde. Dabei ist die Bahn bzw. die Baufirma nach dem Messkonzept verpflichtet, aller 4-6 Wochen Messungen durchzuführen.
3. Warum wurde bis heute keine Messgutachten im Internet veröffentlicht, die die monatelangen Erschütterungsbelastungen im Wohngebiet aufzeigen? Warum wurden keine Erschütterungsmessungen im Wohngebiet nach den Vorgaben des Messkonzepts beim höchsten Konfliktpotential durchgeführt?
Auch die erstmals veröffentlichten Messgutachten über die durch den Sprengvortrieb verursachten Erschütterungen wurden nur an den über 200 Metern entfernten Messpunkten im Industriegebiet (Messpunkte Ulmerstraße 241 und 255 und Viehwasen 18) und nicht im Wohngebiet durchgeführt. Die Erschütterungsmessungen beinhalten auch nur den Luftschall, der am Zwischenangriff Ulmerstraße entstand und somit nicht für die spezifische Situation der Gebäude. Die Sprengungen und Meißelarbeiten kommen als Erschütterungen/Körperschall auf die Fundamente der Wohngebäude an und werden erst dort wieder in Luftschall umgewandelt. Diese Werte, die dann auf die Häuser des Wohngebietes eingewirkt haben, sind in keinem der Messgutachten enthalten.
Dabei ist die Bahn bzw. die Baufirma nach dem vom Eisenbahn-Bundesamt genehmigten Messkonzept zum PFA 1.6a verpflichtet, bei Sprengungen jeweils an dem Gebäude zu messen, bei dem das höchste Konfliktpotential besteht. So heißt es im Messgutachten unter Punkt 4.2.1.1. wie folgt:
„IB-E1 „ZA Ulmer Straße“ – AN Bau. Die Notwendigkeit für die Durchführung von erschütterungstechnischen Beweissicherungsmessungen besteht in diesem Immissionsbereich lediglich dann, wenn zur herstellung des Zwischenangriffs Lockerungssprengungen oder Vortriebssprengungen erforderlich werden. In diesen Fällen sind die Messpositionen so zu wählen, dass die Beweissicherungsmessungen stets an dem Gebäude durchgeführt werden, für das im Einzelfall das höchste Konfliktpotential besteht.„
4.Warum werden die Anwohner in Wangen bis heute nicht über den aktuellen Vortriebstand informiert?
Betroffene Anwohner in Wangen klagen, dass sie von der Bahn nicht über den aktuellen Vortriebsstand informiert werden, d.h. unter welchem Gebäude die Vortriebsarbeiten laufen. So beklagte sich ein Hauseigentümer verärgert darüber, dass die Bahn im Sommer kurzfristig zum Ferienbeginn die Besitzeinweisung vor dem Regierungspräsidium mit der Begründung beantragt hatte, dass die Unterfahrung seines Hauses in der Nähterstraße zum 31.08.2015 ansteht. Die Behörde ließ trotz Urlaubsbeginn keine Terminverschiebung zu. Wir hatten darüber berichtet. Die Vortriebsarbeiten haben jedoch bis heute sein Haus nicht erreicht.
5. Warum werden bis heute bei den betroffenen Anwohnern keine Messgeräte aufgestellt, die die konkrete Belastung durch Lärm in den Gebäuden messen? Wann erfolgt die Installation und wann erhalten die Anwohner regelmäßige schriftliche Informationen auch über die Erschütterungsmessungen?
Nach dem Planfeststellungsbeschluss PFA 1.6a ist die Bahn verpflichtet, die Erschütterungen, die auf die einzelnen Gebäude einwirken regelmäßig zu messen und im Hinblick auf die Einhaltung der DIN 4150 zu überwachen. Anwohner berichten darüber, dass das von der Bahn vor kurzem installierte Messgerät lediglich die Anzahl der Sprengungen und die Werte wireless aufzeichnet. Jedenfalls haben sie von der Bahn bis heute keine schriftlichen Information über die Erschütterungswerte erhalten. Erforderlich sind auch Messgeräte zur Messung des Lärms in den Innenräumen der Wohngebäude.
6. Wie will die Bahn die Anwohner bei nächtlichen Sprengungen schützen, wenn sich diese ausnahmsweise damit einverstanden erklären? Warum ist der Antrag auf Nachtsprengungen bereits erfolgt, ohne mit den Anwohnern vorher zu kommunizieren?
Auch wenn die Anwohner sich bereit erklären, dass ausnahmsweise im Nachtzeitraum gesprengt werden kann, so müssen die Rahmenbedingungen vorher schriftlich abgeklärt werden. Das heißt, wie viele Sprengungen im Nachtzeitraum jeweils geplant sind, mit welchen Erschütterungen bzw. Lärm zu rechnen ist und wie gemessen wird. Falls die Immissionsbelastung doch dazu führt, dass die Anwohner ebenfalls wieder nicht (ein-)schlafen können, müssen den Anwohnern selbsverständlich von der Bahn Hotelübernachtungen bzw. Entschädigungen für die nächtlichen Lärmbelastungen angeboten werden. Die Bahn hatte sich nach den Erfahrungen mit den Rammarbeiten in Untertürkheim bereit erklärt, den Anwohnern zukünftig bei belastenden Bauarbeiten im Nachtzeitraum eine Hotelunterbringung anzubieten. Auch sieht der Planfeststellungsbescheid zum PFA 1.6a in den Nebenbestimmungen auf Seite 39 ggf. Entschädigungen nach §74 Abs.2 Satz 3 Verwaltungsverfahrensgesetz vor. Die Entscheidungen über die erforderlichen Schutzmaßnahmen sind jedoch nach der Planfeststellung dem Eisenbahn-Bundesamt auf Basis von Detailgutachten vorbehalten, die die Bahn vorlegen muss.
Dies erfordert, dass die Bahn vorher mit den Betroffenen in Wangen kommuniziert. Dies hat noch nicht stattgefunden. Stattdessen können die Wangener in der Untertürkheimer Zeitung (hier) lesen, dass die Ausweitung des nächtlichen Sprengvortriebs bereits beantragt sei. Damit käme die Bahn auch beim Vortrieb schneller voran. Kein Wort darüber, dass die Bahn sich weder in den vergangenen Wochen noch bei den beantragten Nachtsprengungen an die Auflagen der Baugenehmigung hält.
7. Wann findet erstmals seit 2012 wieder eine öffentliche Infoveranstaltung der Bahn in Wangen statt?
Die letzte öffentliche Infoveranstaltung der Bahn für die Bürger in Wangen fand vor fast drei Jahren Anfang Dezember 2012 statt. Im Kernerviertel hingegen lädt die Bürgerbeauftragte Alice Kaiser und Veronika Kienzle als Bezirksvorsteherin Mitte seit November 2013 zwei Mal im Jahr die Bahn zu einer öffentlichen Infoveranstaltung ein. Eine öffentliche Veranstaltung in Wangen, zu der nicht nur die vom Tunnelbau direkt betroffenen Anwohner eingeladen werden, ist dringend erforderlich. Viele der im Dezember 2012 und auf der Bezirksbeiratssitzung im Juli 2014 vorgestellten Informationen zum Zeitplan, die Zusagen für einen erschütterungsarmen Sprengvortrieb, die Überwachung der Immissionen sind nicht mehr aktuell bzw. wurden nicht eingehalten. Die damals präsentierten Unterlagen finden Sie hier.