StZ berichtet über die vom Bahn-Gutachter prognostizierten Auswirkungen der Rammarbeiten für das untere Kernerviertel

Die Stuttgarter Zeitung berichtet heute in ihrer Printausgabe (hier) über die in einem Bahngutachten prognostizierten Auswirkungen der Rammarbeiten für den Tiefbahnhoftrog auf die naheliegenden Gebäude des unteren Kernerviertels. Für die Gründung des „Tiefbahnhofes“ müssen über 4.000 Ramm- /Bohrpfähle gesetzt werden. Das Gutachten ist bis heute nicht veröffentlicht. Das Netzwerk Kernerviertel weist daraufhin, dass die Bahn trotz Nachfragen von Seiten des Netzwerks bis heute nicht die Anwohner darüber informiert hat. Dabei will die Bahn nicht nur für den Tiefbahnhoftrog, sondern auch am Südkopf, daunter auch am Baufeld 25, in unmittelbarer Nähe der Gebäude Rammpfähle setzen. Dies ist bislang nicht von der Planfeststellung abgedeckt und die Auswirkungen in einem erschütterungstechischen Gutachten abgeklärt. Das EBA und die Bahn sehen keinen Handlungsbedarf.

Die von der StZ zitierte Untersuchung vom 13.06.2013 prognostiziert für den Südkopf bzw. für die Gebäude im unteren Bereich des Kernerviertels bei Rammarbeiten bereits in 75 bis 125 Metern Entfernung starke Beeinträchtigungen. Da der Bahn eine zeitliche Beschränkung der Rammarbeiten auf nur wenige Stunden (1,5 bis 3,5 Stunden) täglich aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar sei, könnten die Grenzwerte der DIN 4150 nicht eingehalten werden. So seien laut der Untersuchung die zu erwartenden Einwirkungen auf die Gebäude der Sängerstraße 3 und der Willy-Brandtstr. 18 und 30, dem Hotel Meridian, als „stark spürbar“ einzustufen. Der Gutachter kommt zu dem Schluss, dass für die Dauer der Rammarbeiten sich „erhebliche Belästigungen“ für die Anwohner ergeben werden. Zwar seien bauliche Schäden nicht zu erwarten, jedoch müsse mit EDV-Ausfällen wegen der starken Erschütterungen gerechnet werden. Entgegen dem Transparenzversprechen der Bahn, dass alle Gutachten und Messungen zu den Immissionen bei Stuttgart 21 veröffentlicht werden, sucht man diese erschüttterungstechnische Untersuchung vergeblich auf der Homepage des Kommunikationsbüros. Wir veröffentlichen daher einen Auszug:

Rammarbeiten 1

Rammarbeiten 2

Über die von ihrem Gutachter prognostizierten Auswirkungen der Rammarbeiten für das Kernerviertel hatten die Vertreter der Bahn auf dem Podium bei der letzten Veranstaltung im Rathaus trotz vorher eingereichten schriftlichen Fragen des Netzwerks Kernerviertel mit Hinweis auf dieses Gutachten und mündlicher Nachfragen kein Wort verloren. Auch Peter Fritz, der Immissionsschutzbeauftragte für Lärm und Erschütterung und verantwortliche Verfasser des Gutachtens äußerte sich nicht. Stattdessen informierte ein Bahnvertreter bei einem rein technisch gehaltenen Vortrag über die Rammpfähle nebenbei, dass auch im Baufeld 25, das unmittelbar neben den Wohnhäusern der Sängerstraße liegt, statt Bohrpfähle Rammpfähle gesetzt werden sollen.

Dies ist jedoch nicht durch die vom EBA im Jahr 2013 genehmigte 11. Planänderung zur veränderten Gründung des Tiefbahnhofs und seiner Anfahrbereiche am Süd- und Nordkopf abgedeckt. Ursprünglich sah die Planfeststellung 2005 für den Südkopf eine Flachgründung mit einer Bodenplatte vor. Wegen der Gefahr von zu starken Setzungen beantragte die Bahn 2012 stattdessen eine kombinierte Platten-/Bohrpfahlgründung. 2013 genehmigte das Eisenbahn-Bundesamt in der 11.Planänderung diese bauliche Änderung.

In einem immissionsrechtlichen Gutachten vom 20.04.2012, das der 11.Planänderung vorausging war,  ist ausdrücklich davon die Rede, dass durch die geplante Bohrpfahlgründung keine zusätzlichen Betroffenheiten durch Erschütterungen auftreten würden. In diesem Gutachten wird vom Gutachterbüro Fritz an verschiedenen Stellen die Vorteile einer Bohrpfahlgründung gegenüber die einer wegen Erschütterungen belastenden Rammpfahlgründung herausgestellt. Zudem heißt es auf Seite 10f im Gutachten:

„…. Beim DB Südkopf sind Bohrpfähle, ggf. mit Mantel- oder Bohrpfahlpressung, der Vorzug vor Ortbeton-Rammpfählen zu geben. Dies zum einen deshalb, weil es mit Ortbeton-Rammpfählen nicht sicher gelingt, die planmäßig statisch erforderlichen Einbindetiefen im sehr mürben, teilweise auch mürben Gipskeuper herzustellen, es sei denn es vorher Auflockerungsbohrungen vorgenommen werden. Zum anderen sind Erschütterungswirkungen bei der Herstellung von Ortbeton-Rammpfählen zu berücksichtigen. Wegen der Erschütterungsproblematik im Nahbereich des Planetariums wurden im Bereich der Überquerung des Dükers Hauptsammler Nesenbach anstatt der ursprünglich in den Planungen der Planfeststellung geplanten Rammpfähle Bohrpfähle vorgesehen….“

Das Netzwerk Kernerviertel hatte sich daher seit Ende April 2015 in zwei Schreiben an das Eisenbahn-Bundesamt gewandt und auf die nicht von der Planfeststellung abgedeckten  Rammarbeiten im Baufeld 25 hingewiesen. Dem EBA liegt bis heute auch kein erschütterungstechnisches Gutachten vor, das die Beeinträchtigungen durch Rammarbeiten in unmittelbarer Nähe zu den Gebäuden des Kernerviertels prognostiziert. Das EBA sieht keinen Handlungsbedarf und verweist auf die Einschätzung der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH, nachdem es sich bei den Rammarbeiten um ein „immissionsarmes“ Bauverfahren handele, das generell durch die Planfeststellung abgedeckt sei.

Diese Antwort sowie die Informationspolitik der Bahn gegenüber den betroffenen Anwohnern ist absolut unbefriedigend. Das Netzwerk Kernerviertel wird sich in dieser Angelegenheit nochmals an das EBA und an den Vorstand der DB Projekt wenden.

Für das Baufeld 16 in der Mitte der Troges laufen bereits seit März die ersten Rammarbeiten, die jedoch aufgrund des weichen Untergrunds noch ohne größere Erschütterungen vonstatten gehen. Möglicherweise geht die Bahn davon aus, dass der Untergrund auch für den Südkopf durchweg so butterweich ist wie im Baufeld 16, das sich im Talgrund des ehemaligen Nesenbachtals befindet. Diese Einschätzung steht jedoch im Widerspruch zum erschütterungstechnischen Gutachten von 2013, das sicherlich auch die zahlreichen Erkundungsbohrungen am Südkopf (siehe Folie von Prof. Lächler aus der 6.Schlichtung) mit berücksichtigen musste.

Allerdings weist der Prüfgutachter des Eisenbahn-Bundesamtes, Prof. Dr. – Ing. Kurt-Michael Borchert, in einem veröffentlichten Vortrag daraufhin, dass die Bestimmung der Bodenkennwerte und die darauf aufbauende geotechnische Prüfung auch aufgrund der heterogenen Bodenverhältnisse im Stuttgarter Baugrund sehr komplex seien. Wir haben darüber berichtet. So schreibt Borchert: “Insbesondere wenn örtlich, wie bei der Baumaßnahme Stuttgart 21 dann auch noch lokal variierende Baugrundverhältnisse vorkommen (stark variierende Verwitterungsgrade des Gipskeupers, Möglichkeit des Vorliegens von Dolinen) ist die Ermittlung von standortspezifisch „korrekten“ bodenmechanischen Kennwerten keine einfache Aufgabe.” 

In seinem vor kurzem an der Universität gehaltenen Vortrag monierte er, dass die Wahl des Bodenprofils zum Teil von den Baufirmen nicht begründet sei. Es wurden punktuelle Bohraufschlüsse für die Bemessungen verwendet. Bodenkennwerte wurden teilweise interpoliert (Annahme von Eigenschaften zwischen bekannten Punkten) aber auch regelwidrig extrapoliert (Annahme der Eigenschaften weiter entfernter Punkte außerhalb des untersuchten Bereichs).  “Eine räumliche Variabilität des Baugrundes”, so der Prüfer “sei jedoch bei diesem “Linienbauwerk” zu berücksichtigen.” Auf Nachfrage des Netzwerks Kernerviertel erklärte er auf der Veranstaltung, dass er für den Südkopf eine Bohrpfahlgründung geprüft habe.

Man kann von daher nur spekulieren, dass das für den Südkopf in der 11.Planänderung genehmigte Bohrpfahlkonzept doch nicht so tragfähig war und stattdessen jetzt Rammpfähle zum Einsatz kommen sollen. Dennoch ist nach Einschätzung des Netzwerks das EBA als Aufsichts- und Genehmigungsbehörde verpflichtet, Änderungen in der Ausführungsplanung in einem erschütterungstechnischem Gutachten abzuklären. Soweit dieses erhöhte Betroffenheiten für die Anwohner prognostiziert, ist ein formales Planänderungsverfahren mit einer Anhörung der Betroffenen durchzuführen. Doch diesen Schritt, der der Bahn wieder Zeit kosten würde, wollte man sich offensichtlich sparen.

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