Kritiker rechnen 11 bis 14 Milliarden Kosten für Stuttgart 21 (update)

Die beiden Stuttgarter Zeitungen (StZ / StN) berichten heute über die Pressekonferenz, auf der der Stuttgarter Architekt Roland Ostertag, der Projektmanager und Tiefbauingenieur Peter Kappes und Peter Grohmann der Bahn vorwerfen, bei Stuttgart 21 die wahren Kosten zu  verschleiern. Aus ihrer Sicht liegen die Kosten des Großprojekt zum offiziell geplanten Zeitpunkt Ende 2022  inclusive Preissteigerungen und einem Risikozuschlag bei mindestens 9,8 Milliarden Euro, bei einer bereits absehbaren Verzögerung bis 2025 bei 12,6 Milliarden Euro.

Hinzu kämen noch rund 3,5 Milliarden für „…erhebliche „nicht-bahnverkehrliche Kosten“ enthalten, die in der Kalkulation der Bahn gar nicht vorkämen. Dazu gehören für den Architekten etwa Wiederherstellungen von Straßenzügen und Plätzen sowie landschafts- und gartenarchitektonische Planungen auf frei werdenden Flächen im Rosensteinpark oder die Kosten für den Neubau des Busbahnhofs am Flughafen. Insgesamt umfasst die Liste der S 21-Gegner mehr als 20 Punkte, deren Kosten sich auf mindestens 3,5 Milliarden Euro summieren.“ (Zitat StZ). Wie die Kritiker zu diesen Zahlen kommen, ist allerdings nicht im Netz veröffentlicht.

Die Bahn dementiert. Sowohl der Zeitplan als auch die Kostenrahmen seien stabil. In der Juni-Ausgabe des Projektmaganzins Bezug betont Manfred Leger, Vorstand der Projekt GmbH Stuttgart-Ulm GmbH, dies noch einmal ausdrücklich. Nach seiner Einschätzung sollen bis Ende 2015 10 Kilometer Tunnel für Stuttgart 21 vorangetrieben sein.

Dieses Ziel ist angesichts der Tatsache, dass davon rund 4 Kilometer maschinell mit der Tunnelvortriebsmaschine für die Oströhre des oberen Fildertunnels hergestellt werden, durchaus realistisch. Allerdings müssen noch bis 2019 weitere 49 Kilometer durch den geologisch schwierigen Stuttgarter Untergrund  vorangetrieben und die bergmännischen Strecken (insgesamt 43,7 Kilometer) für die Herstellung des Rohbaus in einem zweiten Arbeitsgang verschalt werden.

Die Einschätzung, dass die Kosten bei Stuttgart 21 am Ende nicht bei den derzeit angesetzten 6,8 Milliarden Euro, sondern eher Richtung 10 Milliarden liegen werden, ist nicht neu. In unserem Beitrag 59 Tunnelkilometer im Rohbau fertig bis 2019 – wie realistisch ist der Zeitplan von Stuttgart 21? haben wir darüber berichtet.

Über die Wirtschaftlichkeit von Stuttgart 21 beim aktuell angesetzten Kostenrahmen von 6,8 Milliarden Euro, bei dem die Finanzierung von 2,3 Milliarden Euro Mehrkosten bis heute ungeklärt ist, spricht jedoch keiner der Bahnverantwortlichen mehr. Bahn-Chef Rüdiger Grube hatte seit 2009 stets erklärt, Stuttgart 21 rechne sich nur bis zu einer „Sollbruchstelle“ von 4,53 Milliarden Euro. Im Zuge der Kostenexplosion wurde im Februar 2013 laut StZ-Bericht die Unwirtschaftlichkeit von Stuttgart 21 im Verkehrsausschuss des Bundestages thematisiert. Die Zeitschrift Lunapark des Bündnisses „Bahn für alle“ weist in ihrem Sonderheft zur Bilanz der Bahn AG darauf hin, dass Uwe Beckmeyer, seines Zeichens Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel, im Dezember 2014 bei einer Konferenz erneut die Unwirtschaftlichkeit von Stuttgart 21 erwähnt hatte:

„Zum Beispiel wird bei Stuttgart 21 eine Unmenge Geld eingesetzt für ein Projekt, das einen Kosten-Nutzenfaktor von unter Eins hat. Diese Gelder fehlen beim Ausbau von Bahnstrecken von den Häfen in Norddeutschland.“ Das sagte Uwe Beckmeyer, SPD, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und langjähriger verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, in seinem Grußwort auf einer Konferenz der Bahnindustrie am 12. November 2014 vor über hundert Vertretern der Bahnindustrie.“

Update: 19.06.2015: Doch als Konsequenz aus dieser Unwirtschaftlichkeit zieht der SPD-Politiker nicht den Schluss, ein unwirtschaftliches, aus dem Ruder laufendes Großprojekt auch aus haushalts- bzw. aktienrechtlichen Gründen zu stoppen. Sondern, so schreibt Johannes Hauber, ehem. Betriebsratsvorsitzender von Bombardier Transportation; President Industrial Railway Committee, in der Zeitschrift Lunapark:

„In einem privaten Gespräch des Verfassers mit Herrn Beckmeyer direkt nach dessen Rede, entgegnete dieser auf die Prognose, S 21 werde mit hoher Wahrscheinlichkeit 10 Milliarden Euro oder mehr kosten, wie folgt: „Dann müssen die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg die Mehrkosten übernehmen.“

Dass dabei letzlich der deutsche Steuerzahler und die Bevölkerung eines Bundeslandes und einer Stadt für ein  „eigen(un-)wirtschaftliches Projekt“ der Deutschen Bahn mit Milliarden gerade stehen soll, ist skandalös. Bereits bei 4,5 Milliarden Euro finanziert nicht der Bund und die Bahn, sondern das Land BW und die Stadt Stuttgart auch durch indirekte Beiträge das Bahnprojekt Stuttgart 21. Nicht umsonst wehren bislang das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart die bereits aktuell von der Bahn eingestandenen Mehrkosten von 2,3 Milliarden Euro mit Hinweis auf den vor der Volksabtimmung vereinbarten Kostendeckel ab. Doch die Bahn hat bereits ggf. eine gerichtliche Klärung der „Sprechklausel“ aus dem  Vertrag von 2009  angekündigt.

Die Auswirkungen dieser vertrackten Lage bekommen ganz besonders die Anwohner des Großprojektes  zu spüren. Es zeichnet sich bereits in der Anfangsphase des Baus von Stuttgart 21 die Tendenz ab, dass keiner der Projektpartner -weder die Stadt Stuttgart noch das Land BW- für die vom Baustellenbetrieb betroffenen Bürger öffentlich Stellung beziehen möchte. Weder bei den im Zuge von Einsparmaßnahmen gekürzten Entschädigungen für die Unterfahrungsrechte, noch bei den unzureichenden Haftungsregelungen, noch bei der Nichteinhaltung der Immissionsschutzauflagen aus der Baugenehmigung. Höchstwahrscheinlich aus Sorge, dass man später für dadurch bedingte Bauverzögerungen und damit auch Mehrkosten vor Gericht haftbar gemacht werden könnte.

Damit ist den von Stuttgart 21 betroffenen Anwohnern nicht im geringsten geholfen. Das traurige Wort von der Besatzungsmacht“ Bahn zieht Kreise. Eine Unterstützung der Stadt Stuttgart für ihre Bürger, allein schon bei der Überwachung der Immissionsschutz-auflagen, wäre – wie die Netzwerke immer wieder eingefordern- dringend notwendig.

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