Gestern berichteten Dr. Florian Bitzer, Leiter Technische Fachdienste für Stuttgart 21, und Peter Fritz, der Immissionsschutzbeauftragte der Bahn für Lärm und Erschütterungen, im Umwelt- und Technikausschuss der Stadt (UTA) über die Immissionen an den S-21-Baustellen. Die beiden Stuttgarter Zeitungen (StZ / StN) berichteten darüber, dass nach dem Vortrag der Bahnvertreter Kritik von Seiten der Grünen-Stadträte über die Kluft zwischen Theorie und Praxis kam. Der Fraktionsvorsitzende Peter Pätzold wies darauf hin, dass die Bürger bei Rückfragen oder Anträge auf Einsicht in die Messdaten, wie jetzt geschehen in Wangen und Untertürkheim, „von Pontius zu Pilatus“ geschickt werden. Mehr darüber finden Sie in unserem Beitrag vom 18. Januar (hier). Dass hier betroffene Bürger nur die versprochene Transparenz einfordern und nicht mit Mails – wie der CDU-Stadtrat Phillip Hill im UTA unterstellte – den Informationsserver der Bahn lahm legen, versteht sich von selbst.
Dr. Bitzer musste einräumen, dass die nächtlichen Sprengungen in Wangen wegen der Lärmüberschreitung nicht zulässig waren. Seine Erklärung ist erstaunlich. Die Firmen wären damals noch nicht über die geltende Lärmvorschrift AVV-Baulärm (statt der TA Lärm) informiert gewesen. Er wies jedoch daraufhin, dass zukünftig die Bahn bei nächtlichen extremen Lärmwerten wie in Untertürkheim oder Wangen den betroffenen Anwohnern Hotelübernachtungen anbieten werde:
„Bauen sei nun einmal mit Lärm verbunden, sagte Bitzer, äußerte aber Verständnis dafür, dass die betroffenen Bürger in Untertürkheim und Wangen sich darüber beschwerten, wenn sie nachts aus dem Bett fielen. Es handele sich bei S 21 aber nun einmal unzweifelhaft um ein Projekt von öffentlichem Interesse. In einem solchen Fall dürfe dem Einzelnen vorübergehend auch einmal mehr zugemutet werden. Sollte bei den Betroffenen diese Einsicht nicht vorhanden sein, sei man bereit, deren Beschwerden aufzunehmen. Auf freiwilliger Basis würden bei künftigen außergewöhnlichen Ereignissen Anwohnern das Angebot unterbreitet, in Hotels zu nächtigen.“
Schön, dass die Bahn sich bereit erklärt, doch Beschwerden von Bürgern, die mit Lärmwerten bis zu 100 dB(A) Nachts aus dem Schlaf gerissen werden, anzunehmen. Dr. Bitzer erwähnte jedoch nicht, dass dies und die Hotelunterbringung kein großzügiges Entgegenkommen der Bahn ist, sondern die Bauherrin sich mit diesem Schritt der durch die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes bestätigten Rechtlage lediglich annähert. Er erwähnte ebenfalls nicht, dass nach den Planfeststellungsbescheiden nicht die Bahn, sondern eigentlich das EBA als Aufsichtsbehörde für die Entscheidung über die Schutzmaßnahmen zuständig ist. Mehr dazu in unserem Beitrag vom 20.Dezember 2014 (hier).
Nicht berichtet wurde, dass die Grünen-Stadträtin Clarissa Seitz im UTA mehr Transparenz für die Bürger einforderte und u.a. wegen der nicht mit der Bauplanung abgestimmten Lärmplanung für das Kernerviertel, der bislang nicht veröffentlichten Gutachten zum passiven Lärmschutz und der nicht umgesetzten Einbindung von Betroffenen im Arbeitskreis Immissionsschutz nachhakte. Leider erfolglos. Die Bahnvertreter verwiesen beim Gutachten für den passiven Schallschutz auf den Datenschutz, obwohl selbst Eigentümer über UIG-Anträge lediglich die Werte ihres Hauses, aber nicht Einsicht in die Berechnungsgrundlagen bzw. das diesen zugrundgelegte Baugeschehen erhalten. Und auch die Teilnahme von betroffenen Bürgern oder Bürgerinitiativen am Arbeitskreis Immissionsschutz lehnten die Bahnvertreter ab, obwohl dies selbst in der letzten Lenkungskreis-Präsentation der Bahn (hier) als wichtige Maßnahme zum Immissionsschutz aufgeführt wurde. Auch hier klaffen Theorie und Praxis bei der Bahn weit auseinander.