Gestern hatten die Netzwerke eine Informationsveranstaltung für ihre Mitglieder und eingeladene Gäste auf dem Programm. Auf die Veranstaltung wurde bereits am Montag im Innenstadtteil in einem größeren Bericht der beiden Stuttgarter Zeitung (hier) über den unzureichenden Lärmschutz bei Stuttgart 21 und den erneuten Brief an den OB hingewiesen. Am Freitag erschien ein ausführlicher Beitrag (hier) im Innenstadtteil der beiden Stuttgarter Zeitungen.
Dr. Tobias Lieber, Rechtsanwalt der auf das Planungs- und Umweltrecht spezialisierten Kanzlei Bannasch Friedrich und Schotten aus Freiburg, stellte die rechtlichen Knackpunkte und die Defizite beim Lärmschutzkonzept von Stuttgart 21 vor. Er ging insbesondere auf sein immer noch unbeantwortetes Schreiben vom 21.10.2104 an das EBA ein. Das EBA habe bis heute nicht in einem nach der Planfeststellung erforderlichen förmlichen ergänzenden Verfahren, bei dem die Betroffenen auch informiert und angehört werden müssen, über den erforderlichen aktiven und passiven Schallschutz auf Basis umfassender schalltechnischen Detailgutachten entschieden. Zumal die Gutachten, die ihm bekannt seien, nicht den Erfordernissen der Planfeststellung entsprächen. Nach den Vorgaben der Planfeststellung sind auch vorrangig aktive Schallschutzmaßnahmen zu prüfen. Bei der Entscheidung hat das EBA die aktuelle Rechtslage zu beachten, nach der die Richtwerte der AVV-Baulärm einzuhalten sind. Ab diesen Werten sind die betroffenen Anwohner durch passive Lärmschutzmaßnahmen zu schützen. Der in der Planfeststellung noch enthaltene Aufschlag von 5 db(A) und die 2-Monatsfrist sei mittlerweile von der höchstrichterlichen Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht als rechtmäßig beurteilt worden. Damit müsste in Stuttgart ein deutlich höherer Kreis von Betroffenen Anspruch auf passive Schallschutzmaßnahmen haben. Viele direkt vom Lärm Betroffene nutzten die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Es konnten jedoch einige drängende Fragen zum zulässigen Baubetrieb an den Sonn- und Feiertagen nicht abschließend geklärt werden. Die Folien seines Vortrages können Sie hier abrufen.
Prof. Dr. Uwe Dreiss skizzierte die Rechtslage und den Verhandlungsstand mit der Bahn zu den Gestattungsverträgen. Unter anderem auch zu den immer noch auseinander-liegenden Positionen der Bahn und der Eigentümer in der Frage der Haftung.Die Geschäftsführung der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH hat zwar angekündigt, dass sie jetzt im Dezember neue Gestattungsverträge den Eigentümern vorlegen wird. Erste Reaktionen von Anwohnern aus der Frühlingshalde zeigten, dass die darin enthaltenen Regelung dem Stand entsprechen, die Vertreter der Netzwerke bereits Ende September zum Gespräch mit der Bahn erhalten und als nicht aureichend abgelehnt hatten.Die Folien seines Vortrages mit den Rechtsgrundlagen, den Auszügen aus den Gestattungsverträgen der Bahn sowie den Gegenentwürfen der Netzwerke finden Sie hier.
Zum Schluss des Abends berichtete ein Hausbesitzer aus der Nähe von Ulm sehr anschaulich über die zahlreichen negativen Erfahrungen, die er und seine Nachbarn bereits mit der Bahn als Bauherrin machen mussten. Sie hatten mit den Netzwerken Kontakt aufgenommen, weil sie an einem Informations- und Erfahrungsaustausch interessiert sind.
Ihre Häuser werden nur in 9 bis 15 Meter vom derzeit in Bau befindlichen Albabstiegstunnel unterfahren. Die Tunnelvortriebsarbeiten mit zahlreichen Sprengungen laufen bereits unter seinem Grundstück, obwohl die Bahn keine Unterfahrungsrechte besitzt. Weder hat er bislang mit der Bauherrin einen Gestattungsvertrag abgeschlossen, noch fand eine förmliche Besitzeinweisung der Bahn statt. Durch die Sprengungen, die das Gebäude regelmäßig erschüttern sind bereits jetzt zahlreiche Risse an seinem Gebäude und denen der Nachbarn aufgetreten. Die Bahn lehnt Übernahme der Schäden ab, da auch nicht einmal vor dem Bau eine Beweissicherung durchgeführt wurde. Auf sein Betreiben wurde neben einem Messgerät zur Messung der Erschütterungen im Erdgeschoss auch eines am Dachstock aufgestellt. Allerdings sieht er sich jetzt angesichts der ablehnenden Haltung der Bahn gezwungen, selbst ein Riss-Monotoring und Lärmschutzmessungen durchzuführen.
Die Entschädigungsangebote der Bahn decken weder die Wertminderung seines Hauses und des Grundstücks noch die Belastung, die auf ihn durch zukommen werden, wenn in wenigen Metern Tiefe ICEs mit 250 Stundenkilometer durch den Bahntunnel rauschen. Auch die in der Planfeststellung zugesagten Masse-Feder-Systemen stehen derzeit bei der Bahn auf dem Prüfstand. Angesichts der vielen Streitpunkte hat er jetzt einen erfahrenen Rechtsanwalt aus Stuttgart eingeschaltet.
Weniger aussichtsreich ist die Situation seiner Nachbarin, deren Haus nur in 9 Meter unterhalb des Kellers unterfahren wird. Sie hatte vor Jahren den Vertrag der Bahn mit eine vergleichsweise läppische Entschädigung gutgläubig unterschrieben und stellt jetzt entsetzt fest, welche in keinem Verhältnis stehenden Belastungen damit verbunden sind. Es deutet sich jedoch vorsichtig an, dass die Bahn ihr doch noch einen ersten Schritt entgegenkommen will.
Neben den Rissen an den Gebäuden haben die zahlreichen unterirdischen Sprengungen noch eine anderes Problem „zu Tage befördert“. Seither bevölkern Ratten, die ihre gewohnten unterirdischen Laufwege verloren haben, ihre Gärten. Allein an einem Abend tummelten sich 80 bis 90 Ratten um die Häuser. Dieses Problem ist sicherlich noch mit Hilfe eines Kammerjägers behebbar. Doch die Sorgen um den Wert und die Sicherheit der Immobilie, die kommenden Belastungen durch den Bahnverkehr und der Ärger über den Umgang mit der Bahn waren ihm und seinen Nachbarn aus Lehr verständlicherweise deutlich anzumerken.