Wie wir bereits berichtet haben, hatte im März die Grünen-Fraktion des Gemeinderates die Kritik des Netzwerks Kernervierte zum unzureichenden Lärmschutz in einer Anfrage (hier) an die Stadt aufgegriffen. Sie fordern darin die Überprüfung der Lärmgutachten des Bahngutachters, die Offenlegung aller Lärmgutachten (einschließlich zum passiven Schallschutz) sowie regelmäßige Messungen durch die Stadt Stuttgart bzw. das Amt für Umweltschutz.
Jetzt – mittlerweile acht Monate später – wurde die Anfrage durch den Oberbürgermeister beantwortet und ins Netz gestellt. Lesen Sie hier. Die Antwort ist für alle vom Baulärm durch Stuttgart 21 betroffenen Anwohner niederschmetternd. Sie verweist auf die alleinige Zuständigkeit des Eisenbahn-Bundesamtes bei der Prüfung der Lärmprognosen in den schalltechnischen Detailgutachten und den laufenden Messungen. Wie heißt es so schön in der Antwort des Oberbürgermeisters: „Der Landeshauptstadt sind insoweit keine Aufgaben zugewiesen. Sie hat jedoch Verständnis für die Sorgen der Anwohner und steht im Kontakt mit dem Projektträger und dem EBA.“
Diese Haltung – mag sie formalrechtlich auch richtig sein – ist ein Armutszeugnis der Stadt Stuttgart. Nur in Kontakt stehen, reicht in diesem Fall nicht aus. Die Stadt Stuttgart drückt sich hier um den Schutz ihrer Bürger, die fast ein Jahrzehnt vom Baulärm der größten Baustelle Europas massiv belastet werden. Einem Bauprojekt, das sie als Projektpartner der Bahn, mit auf den Weg gebracht hat und finanziell unterstützt.
Welche gravierenden Folgen diese Weigerung der Stadt – hier auch die Interessen ihrer Bürger zu vertreten- haben kann, zeigte die heutige Bezirksbeiratssitzung in Untertürkheim. Sabine Reichert-Hebel, Bezirksbeirätin der Grünen-Fraktion, berichtete über ihre Recherchen als Vertreterin des Infobündnis Zukunft Schiene – obere Neckarvororte – zum Thema Lärm: Im Juli 2013 legte der Gutachter der Bahn dem Eisenbahn-Bundesamt ein schalltechnisches Detailgutachten zu den geplanten Rammarbeiten an der Benzstraße vor. Dieses Gutachten prognostizierte mit 27 dB(A) über den zulässigen AVV-Richtwerten massive Lärmüberschreitungen. Ursprünglich prognostizierte der Gutachter bei der Planfeststellung nur Lärmwertüberschreitungen von max. 7 dB(A). Das Eisenbahn-Bundesamt bat daraufhin schriftlich das Amt für Umweltschutz der Stadt Stuttgart um eine fachliche Bewertung. Bis heute hielt es das städtische Amt – mit dem Hinweis auf die hohen Arbeitsbelastungen – nicht für nötig, darauf zu antworten. Daraufhin wurden den Untertürkheimer Bewohnern nächtliche Lärmpegel von knapp 100 dB (A) und massive Rammarbeiten zugemutet. Ohne ein angemessenes Schutzkonzept, wie z.B. eine Hotelunterbringung. Ohne, dass das Eisenbahn-Bundesamt als Aufsichtsbehörde eingeschritten wäre.
Dies ist ein Skandal, der auf dem Rücken der betroffenen Bürger ausgetragen wird. Auch das Eisenbahn-Bundesamt ist mit der Aufsicht über das Megaprojekt und den laufenden Planänderungen überfordert. Wie die zahlreichen Anfragen der Netzwerke beim EBA gezeigt haben, rangiert das Thema Lärmschutz bei der zuständigen Aufsichtsbehörde unter ferner liefen. Der Stadt ist dies bekannt. Sie sieht dennoch keinen aktiven Handlungsbedarf.
Dem grünen Oberbürgermeister Fritz Kuhn muss man in diesem Fall ein Zitat seines CDU-Vorgängers Prof. Dr. Wolfgang Schuster unter die Nase reiben, der sich zumindest in einem StZ-Interview (hier) zur Verantwortung der Stadt in Sachen Lärmschutz bekannte:
„Wir werden als Stadt streng darauf achten, dass die Dinge, die in der Vergangenheit fest vereinbart worden sind, von der Bauherrin auch eingehalten werden – damit die Bürgerschaft von der Baustelle möglichst wenig beeinträchtigt wird. Das gilt etwa im Blick auf den Lärmschutz oder mögliche Verkehrsbehinderungen, aber auch im Blick auf die Überwachung des Grundwassermanagements. Das werden wir zum Schutz unserer Mineralquellen mit eigenen Experten penibel begleiten.“