Diesen Montag feierte die Projektgesellschaft den Durchschlag der Tunnelvortriebsmaschine. Die Maschine erreichte nach fünfjähriger Bauzeit auf ihrer vierten und letzten Schildfahrt unter Degerloch ihr Ziel. Ungefähr 15 der insgesamt 19,8 Kilometer des Fildertunnels wurden maschinell aufgefahren und in einem Arbeitsvorgang mit Tübbingen innenverschalt. Die Maschine wird jetzt zerlegt. Die beiden Stuttgarter Zeitungen (StZN 1 /StZN 2/StZN 3/StZN 4/ StZPlus) und der SWR (hier) berichteten ausführlich darüber. Informationen findet man auch auf der Webseite der Projektgesellschaft (Pressemitteilung /Video).
Die StZ erinnert daran, dass auf den Fildern mit dem Bau des anschließenden Flughafenabschnitts noch nicht einmal begonnen wurde. Das Aktionsbündnis kritisierte in seiner Pressemitteilung (hier) den Fildertunnel wegen des Höhenverlaufs, dem Bau durch den quellfähigen Anhydrit und den Brandschutzstandards als „dümmsten Tunnel Deutschlands“ und rief zur „Flaschenhals“-Demonstration während der Feierlichkeiten am Filderportal auf. Einen Eindruck von der Demonstration und der Feier vermittelt Wolfgang Rüter in seinen Fotos (hier).
Mit dem Abschluss des maschinellen Vortriebs sind aktuell mit 48,389 km rund 82,3 % der 58,8 Tunnelkilometer für Stuttgart 21 und rund 95% der innerstädtischen Tunnel vorgetrieben:
Wie man an den Zahlen erkennen kann, fehlen beim Fildertunnel noch bergmännisch aufzufahrende 406 Meter. In den beiden Vortriebsgrafiken der Projektgesellschaft vom 9.September sind dies die weiß eingezeichneten, leider nur schwer zu erkennenden Strecken unter dem Kernerviertel und den Tunnelquerschlägen im unteren Fildertunnel:
Von den noch aufzufahrenden 406 Metern entfallen 208 Meter auf die Verbindungsbauwerke des unteren Fildertunnels (für die noch gesprengt werden muss) und 198 Meter auf den Vortrieb unter dem Kernerviertel mit der außerst schwierigen Geologie. Bei der Oströhre fehlen noch 120 Meter, bei der Weströhre 78 Meter. Wegen des weichen Gesteins werden die Häuser im Vorfeld mit Hebungsinjektionen angehoben.
Von daher ist für die Anwohner im Kernerviertel entgegen der Aussage von Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Video ab Minute 0:55) leider noch keine Entwarnung angesagt. Es gab auch keinen maschinellen Vortrieb unter dem Kernerviertel. Und es ist auch entgegen der Aussage von S21-Gegner Matthias Hermann im SWR (Video ab Minute 1:59) nicht damit zu rechnen, dass unter dem Kernerviertel im weichen, ausgelaugten Gipskeupergestein Anhydrit anzutreffen ist. Die ist erst unter der Uhlandshöhe und Gänsheide bis hoch zur Gemarkung von Degerloch der Fall.
Denn der jetzt maschinell fertig gestellte untere Fildertunnel durchfährt mit seinen beiden 3,63 Kilometer langen Röhren nahezu vollständig den quellfähigen Anhydrit im unausgelaugten Gipskeuper. Dies zeigt eine Grafik der Tunnelbausachverständigen WBI von 2013 (rote Gesteinsschicht):
Ingesamt rechnete die Bahn beim Fildertunnel mit ca. 8,2 Kilomter Tunnelbau im anhydritführenden Gebirge. Die Bahn und WBI sind jedoch überzeugt, dass in diesem Tunnel wegen der hohen Überdeckung kein Wasserzutritt in den Anhydrit zu erwarten sei. Im mittleren Fildertunnel in der Übergangszone zum Anhydrit wurden Abdichtungsbauwerke erstellt. Beim maschinellen Vortrieb im quellfähigen Gestein kam ein Spezialmörtel für die Verbindung der Tübbinge zu Einsatz, der im Trockungsprozess kein Wasser an die Umgbung abgibt. Über die Schwierigkeiten und Besonderheiten des Fildertunnels aus der Sicht der Tunnelbausachverständigen und Ingenieure haben wir in zwei Beiträgen 2016 (Wo liegen die Probleme beim Bau des Fildertunnels? Über den Univortrag von Dr. Martin Wittke) und 2018 (Über den maschinellen Vortrieb beim Fildertunnel. Vortrag an der Uni Stuttgart von Dipl.-Ing. Thomas Berner, Teamleiter Technik) berichtetet.
Im Gegensatz zu den beiden anderen, den Anhydrit durchfahrenden Bad Cannstatter und Fuerbacher Tunnel folgten die vom Aufsichtsrat der DB AG beauftragten KPMG-Gutachter beim Fildertunnel der Einschätzung von WBI und machten als kritischen Bereich lediglich pro Tunnelröhre die Übergangsbereiche zum Anhydrit aus. Stärkere Hebungen als 10 cm an der Innenschale und Hebungen auch an der Geländeoberfläche einschließlich Gebäudeschäden bezifferten die KPMG- Gutachter damals 2015 beim Fildertunnel bis zur Inbetriebnahme mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit von 1%.
Kritische Geologen, wie Dr. Jakob Sierig (u.a. Videovortrag und Folien 2016), Dr. Hermann Behmel und Dr. Ralf Laternser, schätzen dies anders ein und wiesen darauf hin, dass auch in der mächtigen Anhydrit-Schicht des unteren Fildertunnels vertikale Durchlässigkeiten, Störungen und undichte Bohrkernverfüllungen ggf. Wasserwegsamkeiten eröffnen und damit auch langfristig das Risiko des Wasserzutritts und der Quellungen entlang der anhydritführenden Schicht gegegeben sei.