Über den maschinellen Vortrieb beim Fildertunnel. Vortrag an der Uni Stuttgart von Dipl.-Ing. Thomas Berner, Teamleiter Technik

Vor zweieinhalb Jahren hielt Dr. Martin Wittke als Geschäftsführer der WBI GmbH , die als Tunnelbau-Sachverständige bei Stuttgart 21 und der Neubaustrecke fungieren,  einen  Vortrag am geotechnischen Institut der Universität Stuttgart über die Herausforderungen beim Bau des Fildertunnels.

Gestern war wieder der Fildertunnel Gegenstand einer Vorlesung am geotechnischen Institut der Universität Stuttgart. Dieses Mal gehalten von Dipl.-Ing. Thomas Berner, seit 2012 Teamleiter Technik für den PFA 1.2. bei der DB Projekt Stuttgart-Ulm GmbH und davor weltweit bei zahlreichen Tunnelbauprojekten im Einsatz. Da der Fildertunnel fast zu 80% aufgefahren wurde und seit Ende Oktober die Tunnelvortriebsmaschine zu ihrer letzten Schildfahrt startete, war der Vortrag im Wesentlichen ein Rückblick. Wir möchten die aus unserer Sicht wichtigsten Punkte seines Vortrags kurz wiedergeben:

Vortriebskonzept

  • Nach der Planfeststellung sollten die beiden Röhren des mit rund 9,5 Kilometern längsten Tunnel bei Stuttgart 21 konventionell mit einem Zwischenangriff in Degerloch aufgefahren werden. Bei der Ausschreibung, bei der auch verschiedene Varianten mit maschinellen Vortrieb Grundlage waren, kam ein Nebenangebot eines Bewerbers zum Zuge, das unter Einsatz einer Tunnelvortriebsmaschine für den oberen und unteren Fildertunnel und unter Wegfall des Degerlocher Zwischenangriffs das wirtschaftlichste war. Die beiden Abschnitte eignen sich wegen der „homogenen“ Geologie für den maschinellen Vortrieb. Der mittlere Fildertunnel wurde wegen des Übergangs zur Anhydritzone mit konventionellen Vortrieb geplant.
  • Der Tunneldurchmesser wurden durch die geplante Geschwindigkeit des Zugverkehrs auf der jeweiligen Strecke bestimmt: oberer Fildertunnel 4,8 m , der unterere Fildertunnel mit 4,65m. Wegen der zunehmenden Länge war die Auffahrtoleranz im unteren Fildertunnel größer. Dennoch wurde beim Ende der dritten Schildfahrt vor der Wendekaverne eine Abweichung von nur 14 mm erreicht.
  • Die Bemessung der Wandstärke der Tübbinge als Innenschale war abhängig von der Geologie. Im oberen Fildertunnel beträgt sie 45 cm, im unteren Fildertunnel entlang des anhydrithaltigen Gesteins als „Risikolastfall“ 60 cm. Dies wirkt sich auf das Gewicht des einzelnen Tübbingteils aus. Im oberen Abschnitt wiegen diese jeweils 9, im unteren Abschnitt 13 Tonnen. Die Betongüte wurde im unteren Fildertunnel mit Blick auf einen möglichen Quelldruck für ungewöhnlich starke Belastungen (C70/85) ausgelegt. Die Bemessung der Wandstärken im mittleren Fildertunnel im Übergangsbereich zum Anhydrit wurden im Vortrag nicht erwähnt.
  • Beim Vortrieb des Fildertunnels ist wegen der wechselhaften Geologie eine Multi-Mode-Tunnelvortriebsmaschine von der Firma Herrenknecht im Einsatz, die flexibel bei der Ortsbruststützung reagieren kann.

Maschineller Vortrieb im oberen Fildertunnel

  •  Wie bereits Dr. Martin Wittke bereits in seinem Vortrag 2016 ausführte, wurde der maschinelle Vortrieb im oberen Fildertunnel wegen der geringen Unterfahrung der Gebäude im  Fasanenhof und wegen der prognostizierten starken Senkungen mit Druckluftunterstützung realisiert. Zu Beginn der ersten Schildfahrt wurde unter einem Waldgebiet die Auswirkungen einer niedrigen (0,4 bar, bis zu 72,6 mm Senkung) und hohen (1-2 bar, teilweise Hebungen) Druckluftunterstützung getestet. Bei der Unterfahrung der Gebäude und der Stadtbahn U 6 blieben dann die Senkungen innerhalb der prognostizierten Toleranzen.
  • Die durchschnittliche tägliche Vortriebsleistung lag im oberen Fildertunnel bei der ersten Schildfahrt bei 10,1 m pro Tag, bei der zweiten 11,4 m. Innerhalb der Strecke gab es abhängig vom jeweiligen Gestein starke Schwankungen. Im Stubenstandstein mit einem hohen Quarzanteil musste das Schneidewerkzeug („Schneidrollenwechsel“) wegen höheren Verschleiß häufig ausgetauscht werden. Bei der 3.Schildfahrt von Degerloch Richtung Innenstadt durch den Anhydrit musste der Meißel auch wegen der Optimierung der Werkzeuge nur vier Mal ausgetauscht werden.
  • Der Rückbau und das Zurücksetzen der Maschine im Vorfeld der zweiten Schildfahrt war das „Highlight“. Die hinter dem Vortriebskopf gelagerten Portalwagen, die sog. Nachläufer, konnten noch relativ leicht umgesetzt werden. Der Bohrkopf hingegen musste mit den durch die örtlichen Verhältnisse begrenzten Möglichkeiten zerlegt und hydraulisch über Gleitkufen auf dem Wagon verschoben werden. Für die zweite Schildfahrt war ein neuer Stahlmantel (Schildmantel) erforderlich, da der erste nach der Demontage im Berg verblieb.

Konventioneller bergmännischer Vortrieb im mittleren Fildertunnel

  • Nach Aussage von Thomas Berner verlief der Sprengvortrieb aus technischer Sicht im konventionellen, bergmännisch aufgefahrenen mittleren Fildertunnel problemlos.  Es wurden die geplanten Abschlagslängen erreicht. Die Belastungen der von den Sprengungen betroffenen Degerlocher Anwohner erwähnte er nicht.
  • Die Abdichtungsbauwerke in der Übergangszone zum Anhydrit erwähnte er auch nur auf Nachfrage nach seinem Vortrag. Auch diese seien problemlos zu realisieren gewesen. Insgesamt habe man deutlich weniger Wasser als erwartet angetroffen.
  • Auch die Baulogistik des mittleren Fildertunnels lief über das Filderportal neben der Autobahn. Für die Baulogistik wurde u.a. auch der Tunnelabschnitt Richtung dem ursprünglich geplanten Zwischenangriff Sigmaringer Straße genutzt, da dieser einen größeren Tunnelquerschnitt aufwies.
  • Nach dem der mittlere Fildertunnel bergmännisch aufgefahren war, wurde die Tunnelvortriebsmaschine durch diesen Abschnitt mittels Gleitkufen auf der Gleitbahn von am Boden liegenden Sohltübbingen (90 Stück mit insgesamt 180 Meter Länge) durchgezogen.

Maschineller Vortrieb im unteren Fildertunnel

Beim unteren Fildertunnel ging Herr Berner weniger auf den Anhydrit, als auf den speziell entwickelten Ringspaltmörtel, die Wendekaverne und die Baulogistik ein.

  • Beim maschinellen Vortrieb im unteren Fildertunnel kommt ein speziell für die Verhältnisse im quellfähigem Anhydrit entwickelter, phosphathaltiger Ringspaltmörtel zum Einsatz. Der Ringspaltmörtel soll beim maschinellen Vortrieb die Ortsbrust zwischen Gebirge und Tübbing sichern. Wegen des quellfähigen Anhydritgesteins durfte jedoch kein Mörtel zum Einsatz kommen, der im Trocknungsprozess (Filtrat-) Wasser abgibt. Die ausgefällten, schwerlöslichen Phosphate verhindern den Kontakt mit Wasser, in dem eine harte Schicht aus Calziumphosphat zwischen Ringspaltmörtel und Anhydrit gebildet wird. Statt Zement wird Hüttensand als Bindemittel verwendet. Wegen der Länge des Fildertunnels muss ein Zwei-Komponenten-System zum Einsatz kommen, das vor Ort „auf Knopfdruck“ die richtige Homogenität und Konsistenz besitzt. Ein schnell fester Beton sorgt für weniger Verformungen beim Vortrieb. Der Spezialmörtel wurde in Groß- und Pumpversuchen entwickelt und von  Instituten auf die geforderten Materialeigenschaften getestet. Wichtig war auch der Nachweis, dass der Ringraum um den Tübbing vollständig verfüllt wird. Die Erfahrungen mit dem speziell entwickelten Ringspaltmörtel bei der dritten Schildfahrt durch den unteren Fildertunnel waren laut Herrn Berner gut.
  • Am Ende der dritten Schildfahrt musste die Tunnelvortriebsmaschine durch die 11,60 m breite und 12,85 m hohe Wendekaverne um 180 Grad auf hydraulischen Pressen gewendet werden. Der Bohrkopf wurde auf einem Luftkissen manövriert. Anders als ursprünglich geplant, konnte das Wendemanöver in nur wenigen Tagen realisiert werden.
  • Um die Innenstadt zu entlasten, erfolgt auch bei der jetzt angelaufenen vierten Schildfahrt die Baulogistik, d.h. die Anlieferung der Tübbinge und der Abtransport des Aushubs per Förderband, über das Filderportal.
  • Im Sommer soll die Tunnelvortriebsmaschine wieder Degerloch erreichen. Nach Abschluss der vierten Schildfahrt werden noch die restlichen sieben Querschläge, die alle 500 Meter vorgesehen sind, mit einem Sprengvortrieb aufgefahren.
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